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Alfred Grosser: Das Temperament, das Positive zu sehen

„Ich sage viel Böses über Deutschland in Deutschland und viel Böses über Frankreich in Frankreich. Mir nimmt das niemand übel“, sagte der deutsch-französische Politologe Alfred Grosser im Interview der DW.

Alfred Grosser Porträt
Bild: picture-alliance/dpa

Er sei „Befürworter der Versöhnung und Verständigung“ und besitze „das Temperament, das Positive zu sehen“, sagte Grosser.„Hoffnung darf man sich nicht nehmen lassen. Aber es stimmt, dass Europa in einem sehr schlechten Zustand ist.“ Seine größte Hoffnung sei „ein echtes Europa“. 

Der französische Präsident Emmanuel Macron habe „wirklich viel für Europa getan. Jetzt hat er gerade eine kleine [europäische] Armee vorgeschlagen. Die älteren Leute werden sagen, das ist schon einmal 1954 gescheitert. Aber es könnte noch mal werden. Und so stark ist keine der einzelnen europäischen Armeen, dass eine gemeinsame Armee nicht gut wäre.“

Vom Deutschen zum Franzosen

Auf die Frage, ob es ihm gelungen sei, im Laufe seines Lebens zu einem Franzosen zu werden, antwortete Grosser: „Zum Teil. Vieles in Frankreich ist auch zu kritisieren. Es gibt einen sehr starken Nationalismus. An die Erinnerung des Ersten Weltkriegs wird in meinen Augen zu viel festgehalten. Jetzt ist unser Präsident in die Gegend [der Kämpfe] gefahren, um zu zeigen, wie groß die Verbindung mit diesem Ersten Weltkrieg ist.“ 

In Frankreich nenne man ihn „La Grande Guerre“, „weil in diesem Krieg viel mehr Leute gestorben sind. Im Zweiten Weltkrieg sind, ich sage das keineswegs verächtlich, ein paar hunderttausend Franzosen gefallen. Im Ersten Weltkrieg waren es Millionen. Jede Familie hatte ihren Toten oder ihre Tote“, sagte Grosser. „Im Zweiten Weltkrieg hat man sich ein bisschen vor der Erinnerung gedrückt. Denn so ehrenhaft ist Frankreich in dieser Niederlage nicht gewesen.“

Der Zweite Weltkrieg sei nicht spurlos vorbeigegangen an Frankreich, so Grosser. Es habe einerseits die Resistance gegeben, andererseits Denunziationen. „Aber im Großen und Ganzen war es wirklich ein untergeordneter Weltkrieg. Für Frankreich, nicht für Deutschland. Für Deutschland waren es die größten Opfer.“

In beiden Ländern habe man nach den Weltkriegen alles getan, damit nichts vergessen werde. „All das soll nicht daran hindern, dass es einen echten Austausch zwischen Deutschen und Franzosen gibt“, sagte der Politologe. Zwar gebe es heute noch eine Generation, „die sich mit dem Begriff ‚die Deutschen‘ nicht abfinden kann. Aber im Großen und Ganzen ist auch die zweite und dritte Generation jetzt deutschlandfreundlich. Das negative Spiel ist aus.“ 

Kindheit im französischen Exil

„In der Schule wurde ich wunderbar aufgenommen. Nach einem Jahr war ich auf einem hohen Sprachlevel und sehr stolz. Es war keine Integration, es war wirklich eine Assimilation. Die Pfadfindergruppe war wunderbar, meine Schulkameraden auch“, sagte Grosser. „In der Frankfurter Schule wurde ich als kleiner Jude schlecht behandelt“, fügte er hinzu.

Grosser: „Ich war bei den jungen Pfadfindern. Sechs bildeten eine Gruppe, und jeder in dieser Gruppe war in einem Wettbewerb. (…) Ich siegte als Führer dieser Gruppe. Und ich sagte: Das ist doch ein bisschen merkwürdig, ich bin immer noch Deutscher.“

Er bereue „zutiefst“, mit seinen eigenen Kindern kein Deutsch gesprochen zu haben. „Vielleicht, weil ich nicht wollte, dass sie sich irgendwie als Deutsche fühlten.“

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