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Der Journalismus und die Terror-Falle

Der 11. September 2001 markiert eine Zäsur – auch für die Berichterstattung. 17 Jahre und viele Terrorakte später denken Medienmacher und -kritiker noch immer über das Verhältnis von Terrorismus und Journalismus nach. 

Deutschland Breitscheidplatz am Morgen nach dem Anschlag in Berlin
Bild: DW/F. Hofmann

Im Spätsommer 2002 begannen die Dreharbeiten zum Spielfilm „September“. Der deutsche Regisseur Max Färberböck wollte die Terroranschläge des 11. September filmisch verarbeiten. Gedreht wurde unter anderem in der Berliner Voltastraße, im News-Studio der Deutschen Welle. Denn 9/11 war ein Medienereignis, das musste auch ein Spielfilm widerspiegeln. Die Bilder der einstürzenden Doppeltürme hatten globalen Nachrichtenwert, sie entfalteten eine Wirkung, die die Terroristen sicherlich einkalkuliert hatten. 
In der Diskussion über das Verhältnis von Terrorismus und Journalismus wird immer wieder eine ‚symbiotische Beziehung‘ beklagt, eine ungesunde, ja gefährliche Wechselwirkung. Wer wollte bestreiten, dass Berichte über Akte extremer politischer Gewalt gut sind für Quote und Auflage?

Die Fragen, die sich dem Journalismus stellen, wiegen schwer: Bieten Journalisten den Terroristen die mediale Bühne, ohne die ein Terrorakt gar nicht erst ausgeführt würde? Machen sich die Medien durch eine sensationsheischende und emotionalisierte Berichterstattung zu Komplizen? Al-Kaida-Pate Ayman al-Sawahiri sagte es 2004 ganz unverblümt: Der dschihadistische Kampf finde zur Hälfte auf dem Medienschlachtfeld statt. 

Man kann nicht nicht berichten 

Terrorakte sollen das Gefühl größtmöglicher Verunsicherung und Angst erzeugen – und das geht nur bei entsprechender Berichterstattung. Tappen Journalisten also berufsethisch in eine Falle, die ihnen fanatisierte Gewalttäter gestellt haben? Diesem Dilemma – so einige durchaus ernst gemeinte Vorschläge – sei nur zu begegnen, indem gar nicht mehr über Terrorangriffe berichtet wird. 
Gern wird dann angeführt, dass Lokalzeitungen in Deutschland ja auch nicht mehr über Suizide berichten würden, um bei latent Lebensmüden keinen Nachahmer-Effekt hervorzurufen. Solche Ratschläge sind gut gemeint, aber sie helfen nicht weiter. Denn selbst wenn sich ein derartiges „Schweigegelübde“ der traditionellen Medien verabreden ließe – ein Tweet, ein paar Posts in Sozialen Medien, und es wäre Makulatur. Den Medien würde Zensur unterstellt, die Glaubwürdigkeit traditioneller Häuser und etablierter Marken wäre nachhaltig beschädigt. 

Terrorakte sind mittlerweile zu groß, um nicht mehr über sie zu berichten. Folgten terroristische Gewalttäter lange Zeit der Logik, dass nicht die Zahl der Opfer die entscheidende Größe ist, sondern allein der Faktor Angst zähle, so hat sich diese Gleichung mit 9/11 geändert. Der Terrorismus ist immer massenmörderischer geworden. Der Flughafen-Anschlag von Brüssel, das Gemetzel im Musikclub Bataclan in Paris, die Todesfahrt auf der Uferpromenade von Nizza – drei Terrorakte, die wahllos Opfer in möglichst großer Zahl erzeugen wollten, und die allesamt jeden, der über sie berichten musste, vor große handwerkliche Herausforderungen stellte.  

Die Anschläge im September 2001 hatten viele Redaktionen, vor allem in Europa, recht unvorbereitet getroffen. Kaum jemand schaffte es, angemessen zu berichten: Mit langen Live-Sendestrecken, die das Ereignis abbildeten; mit Einordnungen, die zeitnah analysierten, was über die Attentäter und ihre Hintergründe nach und nach bekannt wurde. So gesehen wirkte 9/11 gerade im deutschen Journalismus wie ein Modernisierungsschub. Heute ist auch die DW Breaking-News-fähig und sieht sich, wie andere Medienunternehmen auch, ständig herausgefordert, ihre Berichterstattung über Terrorismus zu reflektieren. 

Ist Terrorismus Krieg? Sicher nicht in der klassischen Bedeutung des Begriffs, wohl aber in der Wahrnehmung derjenigen, die unmittelbar betroffen sind. Der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler spricht von „neuen Kriegen“, er beschreibt sie als „ein diffuses Gemisch unterschiedlicher Gewaltakteure“. In dieser Gemengelage sei „auch der religiös motivierte Terrorismus eine Strategie der Gewalt, die eine der Kriegsformen des 21. Jahrhunderts darstellen wird“.

Behutsamkeit besser als voreilige Spekulation

Der Journalismus wird sich darauf einzustellen haben. Journalisten müssen ihre Berichterstattung über Terrorismus ethisch reflektieren und handwerklich verfeinern. Dazu gehören: Ein überaus sorgsamer Umgang mit Bildern und Bekennertexten, ein penibles Gegenchecken von Informationen, ein skrupulöses Abwägen von Einschätzungen – auch auf die Gefahr hin, im  Einzelfall als ‚zu zögerlich‘ zu gelten. Behutsamkeit ist allemal besser als voreilige Spekulation über terroristische Hintergründe, die es so vielleicht gar nicht gibt. Der Amoklauf von München im Juli 2016 war ein unrühmliches Beispiel dafür, wie die Wechselwirkung aus Social Media und klassischen Medien entgleisen und zu Fehleinschätzungen führen kann. 

Für die USA der Jahre 2011 bis 2015 belegt eine Fallstudie der Georgia State University eine Schieflage: Danach bekommt die Berichterstattung über Terrorakte mit mutmaßlich islamistischem Täter fünf Mal mehr Platz in den Medien als jene Berichte über politische Gewalttaten, bei denen die Tatverdächtigen einen anderen weltanschaulich-religiösen Hintergrund hatten. Solche Befunde sollten Journalisten, vor allem solche in Entscheidungspositionen, sensibilisieren. Ist unsere  Berichterstattung angemessen – nicht nur was den Umfang angeht, sondern auch was Wortwahl und Fokussierung angeht? 

Terrorakte kommen aus dem Nichts – der Terrorismus aber hat immer eine Vorgeschichte, die aufgearbeitet werden muss. Terroristen verfolgen Interessen, die benannt werden müssen. Dazu gehört auch das Interesse, dass wir über ihre Gewalttaten berichten. Wer dieses Dilemma in der Berichterstattung konsequent benennt, mildert zumindest seine Nebenwirkungen. 

Text: Christian F. Trippe, Leiter Sicherheits- und Gesellschaftspolitik