DW Freedom of Speech Award an Tobore Ovuorie verliehen
„Auf keinen Fall dürfen wir zulassen, dass unsere Stimme zum Schweigen gebracht wird. Wir müssen uns weigern, uns der Diktatur anzupassen. Auf diese Weise werden wir Licht in die Dunkelheit bringen und unsere verschiedenen Gesellschaften, Gemeinschaften und Länder werden zu gesünderen, sichereren und besseren Räumen für uns alle und für die kommenden Generationen werden.“ Das sagte die Preisträgerin des diesjährigen Freedom of Speech Award der DW, Tobore Ovuorie, bei der Verleihung im Rahmen des Global Media Forum in Bonn.
Annalena Baerbock, Bundesvorsitzende und Kanzlerkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen, sagte in einem Impulsvortrag: „Die Meinungs- und Pressefreiheit sind vor langer Zeit unter Druck geraten, weit vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie. Aber die Pandemie hat repressive Tendenzen weltweit verstärkt und intensiviert.“
„Nur wenn unterschiedliche Perspektiven und Meinungen frei artikuliert werden können, wenn uns Informationen aus verschiedenen Quellen zur Verfügung stehen, kann sich jede und jeder von uns eine eigene Meinung bilden und eigene Fragen und eine persönliche Haltung entwickeln“, so Baerbock. „Erst dann wird deutlich, dass es immer eine Alternative und immer eine Wahl gibt. Genau das macht die Meinungs- und Pressefreiheit so ‚gefährlich‘ für repressive Regime – und gleichzeitig so unverzichtbar für die Gesellschaft und die Politik, in autoritären ebenso wie in demokratischen Staaten.“
DW Freedom of Speech Award 2021
Bei der anschließenden Verleihung des Freedom of Speech Award der DW sagte Intendant Peter Limbourg: „Tobore Ovuorie ist bei ihren Recherchen über den Handel mit jungen Frauen von Afrika nach Europa auf extreme Herausforderungen gestoßen. Sie machte die Behörden auf das Schicksal mehrerer Tausend Opfer aufmerksam, die ohne die Arbeit dieser mutigen Journalistin nicht zum Handeln gezwungen gewesen wären.“
Preisträgerin Ovuorie aus Nigeria sagte in ihrer Dankesrede: „Journalistin zu sein ist in Nigeria schwierig. Wir kämpfen um eine wirtschaftliche Grundlage für unsere Arbeit und kämpfen um den Zugang zu Informationen. Uns werden Türen vor der Nase zugeschlagen, wenn wir Fragen stellen, und wir werden schikaniert, eingeschüchtert, verhaftet und hinter Gitter gebracht. Ich kann getrost sagen, dass die freie Presse in meinem Land und den umliegenden afrikanischen Ländern, beispielsweise Kamerun, in einem schrecklichen Zustand ist.“
Ovuorie benutzte eine Metapher, um das Twitter-Verbot in Nigeria zu beschreiben: „Jetzt muss ich wie eine Diebin über den Zaun klettern und durch die Hintertür und die Fenster in meine Wohnung – Twitter – einsteigen, obwohl ich die Wohnungsschlüssel dabei habe. So geht es auch meinen Kolleginnen und Kollegen in Nigeria, seit das Twitter-Verbot von der Regierung über das Land mit nicht weniger als 200 Millionen Menschen verhängt wurde. In einer Demokratie sollte das nicht sein.“
Ovuorie forderte die „Regierungen der Welt dazu auf, auf die nigerianische Regierung einzuwirken, das Twitter-Verbot zu beenden. Die Demokratie sollte nicht weniger als vom Volk und für das Volk sein. Der kritische und differenzierte Journalismus in Nigeria schrumpft und die Demokratie wird durch die Einschränkung der Meinungsfreiheit geschwächt.“ Das Internet sei „ein großartiges Werkzeug für Journalismus und Demokratie“.
Kenneth Roth, Executive Director von Human Rights Watch, hielt eine der Laudationes für Ovuorie. Er sagte: „Die Deutsche Welle hat mit der Wahl von Tobore Ovuorie für den diesjährigen Freedom of Speech Award eine hervorragende Wahl getroffen. Wir hören von Journalisten, die über ihre Pflicht hinausgehen, um eine Geschichte zu recherchieren. Tobore Ovuorie hat einen Schritt getan, der einfach unvorstellbar war. Sie wurde auf die Schrecken des Sexhandels aufmerksam, indem sie mit einigen der Opfer sprach. Aber um ihre Notlage besser zu verstehen, schloss sie sich ihnen an. Sie versetzte sich in eine Lage, in der Schläge und Vergewaltigungen vorhersehbar waren. Sie ahnte nicht, dass sie um ein Haar ermordet werden würde. Ich kann mir keine mutigere Journalistin vorstellen. Ihre Leidenschaft, die Wahrheit ans Licht zu bringen – die Not der Opfer und die Grausamkeit ihrer Verfolger aufzudecken – brachte sie dazu, einen Sprung zu wagen, den nur sehr wenige Journalisten jemals den Mut und das Pflichtgefühl aufbringen konnten zu wiederholen. Sie ist eine Inspiration für jeden, der die Wahrheit herausfinden will.
Diese Leidenschaft für die Wahrheit ist unerlässlich, um Verbrecher und missbräuchliche Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. Gräueltaten geschehen hinter verschlossenen Türen. Es braucht jemanden mit dem Engagement und der Hingabe von Tobore Ovuorie, um diese Türen aufzubrechen.“
Die Laudationes von Roth und Antoaneta Vassileva (Council of Europe) können Sie hier nachlesen.
Verletzungen der Pressefreiheit weltweit
In einem GMF-Interview sagte heute die belarussische Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja sagte im GMF-Interview: „Es gibt keine Opposition in Belarus. Nur das Regime und die Mehrheit, die Bürger, die mit Politik nichts zu tun haben.“ Der respektlose Umgang der Regierung Lukaschenko mit der Pandemie und das Erscheinen neuer Kandidaten auf der politischen Bühne, darunter Tichanowskajas Ehemann Sergej Tichanowski, hätten Menschen neue Sichtweisen eröffnet und den Wunsch nach Demokratie gestärkt. Zudem hätten Online-Medien, vor allem aus dem Ausland, der Bevölkerung Fakten und Informationen anstelle vorgefertigter Meinungen geliefert.
Tichanowskaja bat Journalist*innen weltweit, dafür zu sorgen, dass Belarus nicht von der Nachrichtenagenda verschwinde. Die Berichterstattung über die Demonstrationen sei abgeebbt. Tichanowskaja sagte, Journalisten müssten die Diskussion über drei Themen aufrechterhalten: Druck auf das Regime, das Verhalten der Justiz gegenüber Staat und Bürgern sowie Unterstützung für Journalist*innen in Belarus, insbesondere die inhaftierten. „Jeder Journalist in Belarus ist inzwischen zur [potenziellen] Zielscheibe geworden“, so Tichanowskaja.
Ausblick auf die Highlights des 2. Konferenztages
Morgen ab 10 Uhr sprechen weitere internationale Medienexpert*innen und Politiker*innen bei der überwiegend virtuellen Medienkonferenz mit mehr als 4.000 Teilnehmenden aus über 160 Ländern. Zu den Gästen zählen die liberianische Friedensnobelpreisträgerin Leymah Roberta Gbowee, Taiwans Digitalministerin Audrey Tang, Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum aus den USA, die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Michelle Müntefering, die britisch-türkische Schriftstellerin Elif Shafak und US-Autor Timothy Snyder.
Die Teilnahme am virtuellen Global Media Forum ist kostenlos. Das Programm und die Online-Registrierung finden Sie auf der Webseite gmf.dw.com. Sie erhalten anschließend per E-Mail den Link zum Livestream.
Das DW Global Media Forum ist Deutschlands einzige internationale Konferenz für Medienschaffende aus der ganzen Welt. Gemeinsam mit ihren Hauptpartnern, dem Auswärtigen Amt, dem Land Nordrhein-Westfalen, der Stiftung Internationale Begegnung der Sparkasse in Bonn und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, bietet die DW Medienschaffenden eine einzigartige Gelegenheit für interdisziplinäre Diskussionen mit Meinungsführenden aus verschiedenen Bereichen rund um die drängenden Themen unserer Zeit.