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"Der Mord an Jamal Khashoggi ist unser aller Geschichte"

­Hatice Cengiz findet bei der Helmut Schmidt Lecture 2022 eindringliche Worte für den Kampf für Gerechtigkeit. Die DW, Medienpartnerin der Helmut Schmidt Lecture 2022, drehte das Filmporträt der Menschenrechtlerin.

Istanbul Hatice Cengiz Verlobte des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi
Bild: DW

Berlin, 11. November 2022. Ihr Fazit klingt ernüchternd: "Wir leben in einer der dunkelsten Zeiten für die Menschlichkeit. Wer in hundert Jahren zurückblickt auf heute, wird sehen, dass die Politik rein wirtschaftliche Interessen verfolgte", stellte die türkische Menschenrechtlerin Hatice Cengiz gestern bei der zweiten Helmut Schmidt Lecture in Berlin fest. Auf Einladung der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung (BKHS) sprach sie unter dem Motto "Speaking up!" über Angriffe auf Pressefreiheit und wertebasierte Politik. In Gesprächen mit Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundestagsabgeordneten diskutierte sie zudem die heikle Gratwanderung zwischen Menschenrechten und Gaslieferungen aus Saudi-Arabien.

Als ihr Verlobter, der Journalist Jamal Khashoggi, vor vier Jahren im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul von Auftragsmördern umgebracht wurde, veränderte sich das Leben der Nahostexpertin schlagartig. Hatice Cengiz hat seit dem Mord ihr Leben dem Kampf für Pressefreiheit, Menschenrechte und Gerechtigkeit gewidmet. In eindringlichen Worten schilderte sie, wie ihr persönliches Schicksal plötzlich im Zentrum der weltweiten medialen Aufmerksamkeit stand und ihr klar wurde: "Ich muss sprechen. Sprechen, um für Menschenrechte zu kämpfen, trotz aller Schwierigkeiten. Es ist, als würde man einen dornigen Pfad entlanggehen, es ist wichtig, aber schwierig."

So fordert sie seit vier Jahren, dass der Auftraggeber des Mordes, der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, zur Rechenschaft gezogen wird und Khashoggis Tod nicht ungesühnt bleibt. 

Heute beobachtet sie den Balanceakt der westlichen Politik zwischen Werten und staatlichen Interessen: Angesichts des fortwährenden russischen Kriegs gegen die Ukraine bemühen sich Regierungen, die Energieversorgung ohne russische Importe sicherzustellen. Politiker wie US-Präsident Joe Biden, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron oder Bundeskanzler Olaf Scholz haben sich wieder mit dem saudischen Kronprinzen getroffen, der nach dem Mord an Jamal Khashoggi politisch isoliert war. Es ist ein Balanceakt, der, wie der Kuratoriumsvorsitzende der BKHS, Peer Steinbrück, in seiner Begrüßungsrede hervorhob, nicht aufzulösen ist; "doch es ist die große Stärke unserer Demokratie, dass wir nicht nur darüber debattieren können, sondern unterschiedliche Meinungen und Kritik anhören und zulassen."

Hatice Cengiz ist sich sicher: Sie steht noch ganz am Anfang ihres Wegs, denn es ist mehr denn je an der Zeit, die Stimme zu erheben für Menschenrechte und für mehr Menschlichkeit in der Politik. Sie betonte in ihrer Rede die Bedeutung von wertegeleiteten Entscheidungen: "Eine Welt, die sich von menschlichen Werten entfernt, sieht einer Krise ins Angesicht, die ebenso bedrohlich ist wie die Energiekrise oder die Gefahr einer nuklearen Krise. Ein Leben ohne menschliche Werte bedeutet das Ende der Menschheit."

Auch in der anschließenden Talk-Runde stand die Frage nach dem politischen Spagat zwischen der Wahrung der Menschrechte und einer sicheren Energieversorgung in Anbetracht der aktuellen Lage im Vordergrund. Das Gespräch wurde moderiert von der Spiegel-Journalistin Susanne Koelbl, die lange in Saudi-Arabien gelebt und recherchiert hat und Jamal Khashoggi als Kollegen gut kannte. 

Ihren Besuch in Berlin nutze Hatice Cengiz außerdem für Einzelgespräch mit Vertreter*innen der Bundesregierung. Die BKHS organisierte dafür eigens ein politisches Rahmenprogramm, darunter ein Treffen mit Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen). Mit ihm sprach sie über die veränderten Beziehungen Deutschlands zu Saudi-Arabien und eine mögliche Unterstützung der Bundesregierung im Rahmen einer wertegeleiteten Außenpolitik für ihren Einsatz für Gerechtigkeit im Fall Khashoggi.

Zur Helmut Schmidt Lecture erschien zudem das BKHS Magazine mit Essays, Fotos, Statements und Prosa von bekannten Policy-Expert*innen, Journalist*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen. Die aktuelle Ausgabe "Speaking up!" enthält u.a. Beiträge von Hatice Cengiz, dem russischen Schriftsteller und Putin-Kritiker Viktor Jerofejew, dem DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf, der WDR-Journalistin Georgine Kellermann und dem polnischen Dokumentarfilmer Bart Staszewski.

Diese Pressemitteilung wurde herausgegeben von der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung.