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Medien in Afghanistan: Offener Brief an die Bundesregierung

Ein Hilferuf der Verlage, Redaktionen, Sender und Medienhäuser in Deutschland, die in den vergangenen 20 Jahren maßgeblich die Berichterstattung aus Afghanistan getragen haben.

Bundeswehr bereitet Evakuierung von Deutschen in Afghanistan vor
Bild: Hauke-Christian Dittrich/dpa/picture alliance

Eine gemeinsame Initiative von: DIE ZEIT, Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV), DER SPIEGEL, Deutsche Welle, Deutschlandradio, dpa, Reporter ohne Grenzen, stern, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, taz, RTL, n-tv und Arte.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
Sehr geehrter Herr Außenminister,

dieser Brief ist ein Hilferuf. Er ist unterschrieben von den Verlagen, Redaktionen, Sendern und Medienhäusern in Deutschland, die in den vergangenen 20 Jahren maßgeblich die Berichterstattung aus Afghanistan getragen haben.

Unsere Berichterstattung, die die deutsche Öffentlichkeit und Politik mit Analysen, Erkenntnissen und Eindrücken aus dem Land versorgt hat, war nicht denkbar ohne den Einsatz und den Mut der afghanischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die uns vor Ort unterstützt haben: den lokalen Journalistinnen und Journalisten, Stringern, Übersetzern und Übersetzerinnen.

All die Jahre teilten auch sie unseren Glauben an die freie Presse als unverzichtbares Element einer stabilen, friedlichen, auf Ausgleich bedachten Demokratie – ein Wert, den die deutsche Regierung in den letzten 20 Jahren in Afghanistan stark unterstützte.

Das Leben dieser freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist nun akut gefährdet. Der Krieg überrollt die afghanische Regierung in vielen Provinzen. Selbst das Leben in Kabul ist für Mitarbeiter internationaler Medienorganisationen extrem riskant geworden. Nach dem Rückzug der internationalen Truppen, auch der deutschen, wachsen die Sorgen, dass es gegenüber unseren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu Racheakten der Taliban kommt.

Allein in den vergangenen Wochen wurde der weltbekannte Fotograf Danish Siddiqui in Kandahar erschossen, starb eine Fernsehjournalistin in Kabul bei einem Bombenanschlag. Amdadullah Hamdard, der häufig für die ZEIT gearbeitet hat, wurde vor seinem Haus in Dschalalabad erschossen. Dutzende Journalistinnen und Journalisten wurden in den vergangenen Jahren ermordet, von den Taliban, vom "Islamischen Staat", von Unbekannten. Und fast nie hat die Regierung die Täter ermittelt. Es steht zu befürchten, dass solche Morde jetzt dramatisch zunehmen werden – und viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bedroht.

Internationalen Menschenrechtsorganisationen zufolge gibt es weltweit kaum ein Land, in dem Journalistinnen und Journalisten mittlerweile so gefährdet sind wie in Afghanistan.

Wir rufen Sie hiermit auf, ein Visa-Notprogramm für afghanische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher Medienhäuser einzurichten. Wir schließen uns damit Appellen britischer und US-amerikanischer Medien an ihre jeweiligen Regierungen an.

Die deutsche Regierung hat in den vergangenen Jahren mehrfach die zentrale Rolle anerkannt, die afghanische Übersetzer für die Bundeswehr innehatten, und die immense Gefahr, der sie wegen ihrer Tätigkeit ausgesetzt waren und sind. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung für sie ein außerordentliches Visaprogramm geschaffen. Ein solches Programm wird nun auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deutscher Medienhäuser dringend benötigt.

Ohne diese mutigen Afghaninnen und Afghanen hätten die deutsche Öffentlichkeit und die Politik nicht über die Rahmenbedingungen des 20-jährigen Bundeswehreinsatzes informiert werden können. Für das Engagement der Bundesrepublik in Afghanistan war die Arbeit dieser Menschen ebenso unverzichtbar wie die der Bundeswehrübersetzer.

So groß die Bedeutung dieser Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist, so überschaubar ist ihre Zahl, die nicht mehr als wenige Dutzend Menschen umfasst, einschließlich ihrer Familien.

Vergangene Woche hat die Biden-Regierung nach ähnlichen Appellen der US-Medien die dramatisch gestiegene Gefahr, der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausländischer Medien ausgesetzt sind, anerkannt und die Betroffenen in ihr Flüchtlingsprogramm für Afghanistan mit aufgenommen. Die britische Regierung hat angedeutet, dass auch sie eine ähnliche Entscheidung vorbereitet.

Wir sind der Überzeugung: Es gilt jetzt, keine Zeit mehr zu verlieren. Unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die das Land verlassen wollen, drohen Verfolgung, Verhaftung, Folter und der Tod.

Deshalb bitten wir Sie, rasch zu handeln.