1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Verschwörungsmythen

Der Direktor BBC World Service Group: „Der Erfolg der öffentlich-­rechtlichen Rundfunkanstalten bei der Bekämpfung der Desinformation im Gesundheitsbereich ist eines der stärksten Argumente für unsere eigene Existenz“.

Artikelbild Weltzeit 3 | 2020 | Verschwörungsmythen
Bild: picture alliance/ZUMA Press/Tampa Bay Times

Vor 18 Monaten waren die Verschwörungstheorien von QAnon außerhalb eines engen Kreises von Journalisten, die sich mit Desinformationen auskennen, kaum bekannt. Die vorwiegend US-amerikanische Gruppierung setzt auf Verschwörungstheorien, wonach etwa eine internationale pädophile Gruppe die US-Wahl für sich nutzen wollte, um eine Ära übermächtiger Regierungsgewalt einzuleiten. Damit verbunden: eine massive Einschränkung von Individualrechten. 

QAnon war eines der wichtigen Themen der letzten Tage vor den US-Präsidentschaftswahlen, auch weil der noch amtierende US-Präsident es vermieden hatte, sich von ihnen zu distanzieren. Die großen Tech-Plattformen in den USA kamen zu dem Urteil, dass die Verbreitung von QAnon-Beiträgen eine erhebliche Bedrohung für die Integrität der US-Demokratie darstelle. Im Sommer begannen sie, einige der häufigsten Botschaften und Hashtags auf ihren Plattformen zu blockieren. Das Verifizierungsteam der BBC hat festgestellt, dass Proxy-Hashtags wie #SaveOurChildren und #SaveTheChildren insgesamt 1,5 Millionen Mal auf Twitter verwendet wurden und mehr als 28 Millionen Interaktionen auf öffentlichen Facebook- und Instagram-Posts erzeugten. 

Was bedeutet das für die Nutzenden hier in Großbritannien und weltweit? Die Washington Post veröffentlichte im Oktober einen Bericht, wonach QAnon-Thesen amerikanische Familien spalten. Eltern und deren Kinder waren demzufolge uneins, ob die „Mainstream-Medien“ es versäumt hätten, Verschwörungstheorien zu entlarven und darüber zu berichten. Unser Verifizierungsteam bei BBC Monitoring kam zu einem ähnlichen Bild im Vereinigten Königreich.

“Wenn gravierende Umstände eintreten, beginnen Menschen zu hinterfragen, wem sie vertrauen können.”

Die Aktivitäten von QAnon und ähnlichen Verschwörungsgruppierungen stellen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vor eine schwierige Frage. Einerseits sehen wir es als einen wesentlichen Teil unseres Auftrags an, auf gefährliche Desinformationen hinzuweisen. Auf der anderen Seite verstärken wir eine nachweislich falsche Information, indem wir auf diese eingehen, selbst wenn wir sie als Desinformation kenntlich machen. Für die Anhänger der QAnon-Bewegung dient die Tatsache, dass die „Mainstream-Medien“ die Bewegung als Verschwörung bezeichnen, als weiterer Beweis dafür, dass ihre Geschichten wahr sind und dass die öffentlichen Medien mit anderen zwielichtigen Gestalten konspirieren, um sie zu unterdrücken.

Unser globaler Kampf gegen das Covid-19-Virus erleichtert es fragwürdigen Akteuren, das Vertrauen in die Medien zu untergraben. In Großbritannien verbreiten Verschwörungstheoretiker wie David Icke wilde Geschichten über geheimnisvolle globale Kader oder über eine vermeintliche Impfpflicht. Icke, der als Sportreporter bekannt wurde, missbrauchte einen Auftritt in der Hauptsendezeit von BBC1, um zu verkünden, dass er in Wirklichkeit der Sohn Gottes sei. Seine Behauptungen sind alle nachweislich falsch und verdienen keine öffentliche Bühne. 

Covid-19: Querdenken089 Corona Denier Demo in Munich

Das Vermischen hartnäckiger Verschwörungstheorien mit Covid-19-Desinformation ist eine besonders beunruhigende Entwicklung, die redaktionelle Herausforderungen mit sich bringt. Die Zeitung The Times veröffentlichte im Oktober einen Bericht über russische Social Bots, die in Sozialen Netzen suggerierten, dass die neuen Covid-19-Impfstoffe Gesundheitsrisiken bergen, da sie auf dem Gewebe von Affen basierten. Die auffälligste Karikatur, die die Journalisten in den Bots gefunden hatten, zeigte den britischen Premierminister nach Einnahme des Impfstoffs als „Bigfoot“-Figur. 

Bei der Enthüllung der Geschichte geriet The Times in die Kritik, weil sie durch Veröffentlichung der Karikatur der QAnon-Bewegung einen öffentlichen Raum biete und damit Misstrauen bei Maßnahmen der öffentlichen Gesundheit schüre. 

Das öffentliche Gesundheitswesen hat innerhalb einer Generation enorme Fortschritte gemacht, was auch zu Selbstzufriedenheit geführt hat. Ich erinnere mich, dass ich mir als Kind der schrecklichen Auswirkungen der Kinderlähmung bewusst war. Damals akzeptierten Eltern die Notwendigkeit einer Polio-Impfung. Heute, da die Kinderlähmung in vielen Teilen der Welt ausgerottet ist, empfinden Menschen die Bedrohung als geringer, da sie deren Auswirkungen nicht mit eigenen Augen erleben können. Wir haben schon in Zeiten gelebt, in denen es weniger akzeptabel war, die etablierte medizinische Wissenschaft in Frage zu stellen. Und selbst wenn man es getan hätte, hätte man nicht in einer digitalen Echokammer Tausende Gleichgesinnte gefunden.

“Für QAnon dient die Tatsache, dass die „Mainstream-Medien“ die Bewegung als Verschwörung bezeichnen, als weiterer Beweis dafür, dass ihre Geschichten wahr sind.”

Der Erfolg des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei der Bekämpfung der Desinformation im Bereich Gesundheit bleibt eines der stärksten Argumente für unsere eigene Existenz. Wenn gravierende Umstände eintreten, beginnen Menschen zu hinterfragen, wem sie vertrauen können.

Wir haben in den ersten Phasen der Pandemie einen enormen Anstieg der Nutzungszahlen auf BBC-Webseiten verzeichnet. Es beruhigte mich, dass unsere Nutzenden in schwierigen Zeiten das Gespür dafür haben, wohin sie sich wenden können. Es zeigt auch den Wert des Vertrauens in unsere Sender-Marken, die über Generationen hinweg aufgebaut wurden.

Aber es ist eine fragile Struktur, da die Institutionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in vielen europäischen Ländern und auch in anderen Teilen der Welt bedroht sind. Wir sollten unsere Anstrengungen verdoppeln, um gemeinsam mit einer Stimme zu sprechen. Angesichts der gegenwärtigen Bedrohung für die Gesundheit unserer eigenen Bevölkerung haben wir die Pflicht, den Kampf zur Verteidigung dieses Vertrauens in die öffentliche Gesundheit fortzusetzen.

Jamie Angus

Jamie Angus arbeitet seit 1999 für BBC News. Er war Redakteur des Today-Programms und von The World at One für BBC Radio 4 tätig und bekleidete eine Reihe von Funktionen in der BBC World Service Group, zuletzt als stellvertretender Direktor.