Äthiopien: Tigrays schwerer Weg zu dauerhaftem Frieden
2. November 2023Vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Äthiopien hatte Haftom Kidai, ein lebensfroher 25-jähriger junger Mann, keine militärische Erfahrung, trug nie eine Waffe und war in der Privatwirtschaft tätig. Das sollte sich jedoch ändern, als vor drei Jahren der bewaffnete Kampf zwischen der äthiopischen Regierungsarmee und den von der TPLF (Tigray People's Liberation Front) angeführten Tigray-Kräften ausbrach.
"Als der Krieg begann, drangen Soldaten der äthiopischen und eritreischen Streitkräfte in Tigray ein und begingen Gräueltaten. Ich habe dann eine Militärausbildung absolviert und mich wie die anderen jungen Menschen in Tigray dem Kampf angeschlossen", sagte Haftom gegenüber DW.
Haftom wurde an der Kampffront schwer verwundet, ist jetzt zur Hälfte gelähmt und lebt in einem Pflegezentrum der Armee in Tigrays Hauptstadt Mekelle.
Ein Wunsch: Gute Behandlung
Trotz all seiner Beschwerden hegt der junge Mann keinen Groll: "Ich habe für mein Land, für mein Volk und für mich selbst gekämpft. Ich bereue die Opfer nicht, die ich gebracht habe. Ich habe getan, was ich tun musste", sagt Haftom und fügt hinzu: "Aber jetzt sind wir alle hier, auch ich, behindert. Wir haben viele Forderungen und Bedürfnisse." Haftom wünscht sich nur eines: "Wenn ich eine gute Behandlung bekomme, will ich nichts anderes mehr."
Viele Äthiopier teilen ein ähnliches Schicksal und haben während des brutalen Krieges, der im November 2020 begann, große Verluste erlitten. Der Konflikt dauerte zwei Jahre, forderte viele Tote, Schwerverletzte, vertrieb Menschen aus ihren Häusern und fügte Millionen von Tigrayern wie Haftom Kidai physische und psychische Schäden zu.
Nach Verhandlungen mit beiden Konfliktparteien, die von der Afrikanischen Union (AU) in der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria vermittelt worden waren, unterzeichneten die regionalen Streitkräfte aus Tigray und die äthiopische Regierung am 2. November 2022 ein Abkommen über eine "dauerhafte Einstellung der Feindseligkeiten".
Wieder Leben in Mekelle
Nach dem Friedensabkommen schwiegen nicht nur die Waffen, sondern auch der Belagerungszustand, der in Tigray herrschte, wurde aufgehoben. Telefon- und Internetverbindungen, Transport, Handel und die humanitäre Hilfe kamen wieder in Gang.
Langsam kehrt in Mekelle nach dem Ende des Krieges wieder Leben ein. Auch die Bewohner der Stadt scheinen den Frieden zu genießen. Bilen Mitiku, eine Einwohnerin von Mekelle, sagt, dass es ein Segen sei, keine Schüsse, Flugzeuge oder Drohnen zu hören.
Mitiku zufolge scheint Tigray nach dem Friedensvertrag offener für die Welt zu sein, was Kommunikation und Transport angeht: "Wir haben nach drei Jahren im Dunkeln wieder Anschluss an den Rest der Welt gefunden", so die junge Frau zur DW.
Tigray: Menschen in humanitärer Not
Ein Jahr Frieden - und doch gebe es immer noch viele Dinge, die beunruhigend seien betont Mitiku. "Vieles bleibt unverändert, vieles bleibt im Dunkeln, vor allem unsere binnenvertriebenen Brüder und Schwestern sind nun schon fast vier Jahre aus ihrer Heimat vertrieben."
Internationale Hilfsorganisationen berichten von großen Herausforderungen, den Menschen in Not zu helfen. Dürre, Cholera- und Malaria-Ausbrüche und die Heuschreckenplage in den Regionen Afar, Amhara, Somali und Tigray, verschärften das Risiko der Ernährungsunsicherheit.
Nach Angaben des Amtes für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) gehöre die Unterstützung von Binnenvertriebenen und Rückkehrern weiterhin zu den obersten Prioritäten der Region Tigray.
Laut OCHA sind schätzungsweise eine Million Menschen seit dem letzten Konflikt im Jahr 2020 noch Binnenvertriebene. Mehr als 1,5 Millionen Binnenvertriebene kehrten seitdem zurück und benötigten Unterstützung. Die Vereinten Nationen warnen vor anhaltenden Gräueltaten, einschließlich Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Viele Menschen in Tigray fordern die vollständige Umsetzung des vor einem Jahr unterzeichneten Friedensabkommens. So auch Hagos Tesfay - er wurde vertrieben und lebt jetzt im Bezirk Erob, einem Dorf an der Grenze zu Eritrea. Sein Bezirk steht unter der Kontrolle der eritreischen Armee, sagt er der DW.
"Seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens sind Dienstleistungen wie Banken, Telekommunikation und Elektrizität, die in den meisten Gebieten von Tigray geschlossen waren, wieder geöffnet worden. Aber im Bezirk Erob hat sich nichts geändert. Der größte Teil des Distrikts Erob wird immer noch von der eritreischen Armee kontrolliert."
Noch kein echter Frieden
Auch Gebreselassie Kidane wurde aus der West-Tigray-Zone vertrieben, einer Zone, die jetzt unter der Kontrolle der Amhara-Kämpfer steht. "Vor drei Jahren, als der Krieg begann, verließen wir unsere Häuser und retteten unser Leben, aber der Alltag hier ist schwierig. Es gibt keine Grundversorgung, keine Hilfe", sagt er zur DW. Auch nach Beendigung des Krieges können wir nicht in unsere Heimat zurückkehren."
Die Alliance of Civil Society Organizations of Tigray (ACSOT) behauptet, das vor einem Jahr unterzeichnete Friedensabkommen sei nicht vollständig umgesetzt worden. Yared Berha, Leiter der Zivilgesellschaft von Tigray, findet: "Die Zentralsregierung tut nicht genug, um ihre Versprechen einzuhalten."
Auch Redaei Halefom, Kommunikationsleiter der Übergangsverwaltung von Tigray, fordert die äthiopische Regierung von Ministerpräsident Abiy Ahmed auf, die Verantwortung für den Abzug der ausländischen Truppen in Tigray und die sofortige Rückkehr der durch den Krieg vertriebenen Bürger zu übernehmen.
Halefom sagte gegenüber DW: "Wir erwarten von der Zentralregierung, dass sie alle Kämpfer aus den äthiopischen Verteidigungskräften in Tigray abzieht. Gemäß der Vereinbarung erwarten wir, dass Amhara-Kämpfer und eritreische Soldaten aus Tigray abgezogen werden."
Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.