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Politik

Österreich ein Jahr nach der Wahl

Elizabeth Schumacher ie
15. Oktober 2018

Vor genau einem Jahr, am 15. Oktober, haben die Österreicher gewählt, seit Dezember regiert eine rechtskonservative Koalition aus ÖVP und FPÖ. Wie hat sich das Land seither verändert? Aus Wien, Elizabeth Schumacher.

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Österreich Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache
Demonstrieren stets Einigkeit: Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ)Bild: Reuters/L. Nieser

Die Stimmung ist derzeit gut in Wien: Die konservative ÖVP und die rechte FPÖ regieren in harmonischer Einigkeit. Kürzlich hat Österreich, das bis Jahresende den Vorsitz der EU- Präsidentschaftinnehat, sein Debüt bei der UNO-Vollversammlung in New York gegeben. Kurz darauf fand ein EU-Gipfel in Salzburg statt.

Lediglich die Großdemonstration vor gut einer Woche vor dem Sitz von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) trübt das Bild ein wenig: Circa 20.000 Gegner des österreichischen Kabinetts versammelten sich, um gegen Rassismus zu protestieren und vor einer Aufweichung demokratischer Strukturen zu warnen. Doch Proteste gegen die Regierung sind in dieser Größenordnung in Österreich die Ausnahme. Vielmehr erfreuen sich Kanzler Sebastian Kurz und seine Koalition weiterhin vieler Unterstützer, die mit ihrer Sympathie für deren Kurs auch nicht hinter dem Berg halten.

Österreich Wien Protest gegen neue Regierung
Massenproteste gegen die österreichische Migrationspolitik sind eher die Ausnahme.Bild: Getty Images/AFP/J. Klamar

Eine derart offenkundige Unterstützung rechter Politik auf breiter Front kennt man in Deutschland (noch) nicht. Als die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) 2016 ins deutsche Parlament einzog, war die Empörung vielerorts groß, das Land nahm eine eingehende Selbstanalyse vor. Wo die AfD sich versammelt, gibt es Proteste. Wenn Rechtspopulisten versuchen, aus einer Tragödie Kapital zu schlagen, und Ressentiments gegen Flüchtlinge schüren, werden sie meist von Gegendemonstranten zahlenmäßig übertroffen.

Aber in Österreich scheinen viele Menschen auch ein Jahr nach der Wahl gleichgültig gegenüber der Tatsache, dass die ÖVP sich auf ein Bündnis mit der rechten FPÖ eingelassen hat. Die mit der Ideologie des Nationalsozialismus verbandelte Partei hat allein in den letzten zwölf Monaten einige handfeste Skandale vorzuweisen. 

Das Ziel: "Illegale Migration" bekämpfen

Als die neue Regierung im Dezember 2017 vereidigt wurde, wurde dies zwar von Demonstrationen begleitet. Genauso laut aber brachten auch viele Österreicher ihre Unterstützung der neuen Regierung zum Ausdruck - und tun es bis heute. Jüngeren Umfragen zufolge würden immer noch jeweils circa 34 Prozent die ÖVP und circa 24 Prozent die FPÖ wählen. Bei der tatsächlichen Wahl im letzten Jahr hatte die ÖVP gut 31 Prozent erhalten, die FPÖ knapp 26 Prozent.

"Sie setzen sich für uns Österreicher ein", sagt Paul, ein Geschäftsmann aus Wien, der seinen vollen Namen lieber nicht nennen will. Pauls Freunde nicken zustimmend. "Wir müssen Leute abweisen, die herkommen, nur um Sozialleistungen einzukassieren", so der 38-Jährige zur Einwanderungspolitik von ÖVP und FPÖ.

Es gibt auch Kritik an Österreichs neuem Kurs. Dieser sei drakonisch, ist vor allem aus dem Ausland zu hören. Solchen Vorwürfen hält Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal entgegen, Österreich habe als ein Hauptankunftsziel von Asylbewerbern auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise eine besondere Rolle gespielt.

"Wir sind unserer humanitären Verantwortung nachgekommen und haben ungefähr 80.000 Flüchtlinge aufgenommen. Das ist innerhalb der EU die zweithöchste Pro-Kopf-Rate", so Launsky-Tieffenthal. Dennoch betont er, dass Österreichs Hauptziel während seiner EU-Präsidentschaft sei, "illegale Migration zusammen mit den europäischen Partnern zu bekämpfen".

Opposition scheint hilflos

Seit der Wahl im letzten Jahr sei ein Großteil der Opposition "wie paralysiert", findet Paul Donnerbauer, Journalist und gebürtiger Salzburger. Donnerbauer hat über die jüngsten Skandale von Sebastian Kurz und der FPÖ berichtet - darunter etwa die Enthüllung, dass einige FPÖ-Abgeordnete früher Mitglieder von Neonazi-Burschenschaften waren.

Österreich Udo Landbauer ARCHIV
FPÖ-Politiker Udo Landbauer war Vizepräsident einer Burschenschaft, von der ein Liederbuch mit judenfeindlichen Texten auftauchteBild: Getty Images/AFP/D. Nagl

Er glaubt, dass die Wahl Österreich tief gespalten hat: "Die Menschen in den Städten wollten diese Regierung nicht, die Landbevölkerung dagegen schon." Seitdem seien die Regierungsgegner wie gelähmt und agierten hilflos.

Wenn es darum geht, Farbe gegen Rechts zu bekennen, ist die Situation in Österreich etwas anders gelagert als in Deutschland. Teil des Problems könnte sein, dass Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg nie wirklich mit seiner eigenen Nazi-Vergangenheit gebrochen hat. Viele übernahmen dankbar das von den Siegermächten verbreitete Narrativ, dass auch sie Opfer der Nationalsozialisten geworden seien, als Hitler Österreich 1938 eroberte, und nicht etwa willige Gehilfen des Holocaust. "Rechtes Gedankengut und rassistische Ideologien existieren seit 1945 fröhlich weiter vor sich hin. Sie wurden durch die Aussagen und Maßnahmen der FPÖ 'demokratisiert', wenn man so will", erklärt Donnerbauer.

Anders als Deutschlands AfD, die 2013 gegründet wurde, gehen die Ursprünge der FPÖ bis in das Jahr 1956 zurück. In den 1990er Jahren erlebte die Partei einen Boom auf regionaler Ebene. Und ihr jetziger Erfolg hat rechte Ansichten auch auf nationaler Ebene salonfähig gemacht. "Über die Jahre haben sie die Grenzen des Sagbaren und auch des Machbaren immer weiter verschoben", so Donnerbauer.

Vor diesem Hintergrund sei es nicht verwunderlich, dass "bei rechten Veranstaltungen nur mit wenig Widerstand zu rechnen ist". So gebe es bei Aktionen wie dem jährlichen Neonazi-Treffen in Bleiburg - einem der größten in Europa - oft weniger als hundert Gegendemonstranten. Dagegen kamen in Deutschland etwa nach den Neonazi-Protesten in Chemnitz 60.000 Menschen zusammen, um ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit zu setzen. 

Österreichs Rechte: Stolz und laut

Launsky-Tieffenthal widerspricht Vorwürfen, dass seine Partei feindlich gegenüber Juden eingestellt sei: "Die FPÖ hat sich von jeglicher Form des Antisemitismus distanziert". Keine Regierung habe mehr gegen Antisemitismus getan als die derzeitige, fügt der Sprecher sogar hinzu. Damit spielt er auf die Pläne für ein neues Holocaust-Denkmal in Wien an, und auch auf Kanzler Kurz' Solidaritätsbekundungen gegenüber Israels Premierminister Benjamin Netanjahu.

Für viele Deutsche ist es Teil ihrer Identität, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Entsprechend groß ist der Widerstand gegen die AfD. In Österreich scheint das Gegenteil der Fall zu sein: FPÖ-Unterstützer scheuen sich nicht, laut die Leistungen ihrer Regierung im Kampf gegen "illegale Migration" zu loben - und zu viele in Wiens eigentlich so kosmopolitisch anmutenden Cafés scheinen dem gerne zuzuhören.