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Jahr der Krisengipfel

27. Dezember 2011

Auch das nun zu Ende gehende Jahr 2011 hat keine Lösung der Schuldenkrise in Euroland gebracht - im Gegenteil. Die Politik wurde getrieben - von den Finanzmärkten und den Ratingagenturen. Ein Rückblick.

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Ein-Euromünzen (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

2011 jagten die Politiker von einem Krisengipfel zum anderen, die Finanzmärkte verlangten immer höhere Risikoaufschläge für Staatsanleihen, und die Ratingagenturen beurteilten die Bonität vieler Euro-Staaten immer skeptischer. Und ausgestanden ist die Krise noch lange nicht.

Axel Weber und Jürgen Stark (Foto: dpa)
Zurückgetreten: Axel Weber (r.) und Jürgen StarkBild: picture-alliance/dpa

Das schlimmste Krisenjahr für die europäische Währung begann mit einer guten Nachricht: Estland führte als 17. Land und als erste frühere Sowjetrepublik den Euro ein. Das baltische Land gilt als Finanz-Musterschüler. Doch schon im Februar kündigte Bundesbank-Präsident Axel Weber seinen Rücktritt an. Der Mann, der lange Zeit als aussichtsreicher Kandidat für das Amt des Präsidenten der Europäischen Zentralbank galt, hatte sich in der EZB nicht durchsetzen können. Ein halbes Jahr später trat auch EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark aus "persönlichen Gründen" zurück. Wie Weber gilt Stark als Stabilitätswächter und Kritiker der milliardenschweren Anleihekäufe durch die EZB.

Dafür gibt es auch gute Argumente. Immerhin verbietet der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union der EZB den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln, um die Unabhängigkeit der Notenbank zu sichern. Sie soll allein der Stabilität des Euro verpflichtet sein und nicht die Notenpresse für klamme Staaten anwerfen. Allerdings: Anleihekäufe durch die EZB sind nicht grundsätzlich verboten. Nur der "unmittelbare Erwerb" sei verboten, heißt es in Artikel 123 des EU-Vertrages. Damit ist gemeint, dass die EZB klammen Staaten direkt keine Schuldpapiere abnehmen darf.

Großeinkauf

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy (l) spricht neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (Foto: dpa)
Merkel, Sarkozy: Ein Gipfel jagt den nächstenBild: picture alliance/dpa

Aber am Sekundärmarkt aufkaufen darf sie schon, und zwar, wenn die Stabilität des Euro gefährdet ist. Und von dieser Regelung machte sie reichlich Gebrauch. Seit Mai 2010 hat die Zentralbank Bonds im Gesamtwert von 203,5 Milliarden Euro aufgekauft. Die EZB begründet die Käufe mit der Stützung der Märkte, sie drückt mit der Intervention aber auch die Zinskosten von Euro-Problemländern wie Italien und Spanien.

Derweil wurde in Brüssel ein Krisengipfel vom nächsten abgelöst. Im März beschlossen die 27 EU-Staaten ein umfangreiches Paket zur Sicherung des Euro. Der bisherige Rettungsfonds EFSF, der bis 2013 gilt, wurde auf insgesamt 500 Milliarden Euro aufgestockt. Ab 2013 soll er dann von dem 700-Milliarden-Euro-Fonds ESM abgelöst werden. Im August forderten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy die Gründung einer Wirtschaftsregierung der Eurozone. Zudem solle es eine Schuldengrenze für alle Euro-Länder geben. Die Einführung von Euro-Bonds war vorerst vom Tisch.

Politische Opfer

Ex-Ministerpräsident Giorgos Papandreou (Foto: dpa)
Abgang: Ministerpräsident PapandreouBild: picture-alliance/dpa

Im Oktober kam es sogar zu zwei Krisengipfeln innerhalb von vier Tagen. Spät in der Nacht wurde auf dem zweiten EU-Gipfel ein Schuldenschnitt für Griechenland beschlossen. Private Gläubiger sollen auf 50 Prozent ihrer Forderungen verzichten. Zudem beschlossen die Staats- und Regierungschefs ein weiteres Hilfspaket für Griechenland. Bis 2014 wird das Land zusätzlich 100 Milliarden Euro an Krediten erhalten. Weitere Gipfel-Entscheidungen: Systemrelevante europäische Banken müssen sich mit mehr Kapital ausstatten. Außerdem soll der Rettungsschirm EFSF durch eine sogenannte Hebelung eine größere Wirkung erhalten. Wie genau das geschehen soll, bleibt vorerst unklar.

Derweil fordert die Schuldenkrise in Euroland auch politische Opfer. Ende Oktober will der griechische Premierminister Giorgos Papandreou sein Volk über den Euro-Rettungsplan für sein Land abstimmen lassen. Er setzt damit alles auf eine Karte. Die EU ist völlig überrascht, die Börsen gehen weltweit auf Talfahrt. Der deutsche Aktienindex DAX verliert fünf Prozent. Später knickt Papandreou angesichts des massiven Drucks der internationalen Geldgeber ein, er zieht seinen umstrittenen Plan für eine Volksabstimmung zurück - und erklärt wenig später seinen Rücktritt.

Im November gerät auch Italien an den Finanzmärkten immer stärker unter Druck. Für zehnjährige Staatsanleihen muss das Land eine Rekordrendite von 6,7 Prozent zahlen. Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi verliert eine Abstimmung im Parlament, am 12. November tritt auch er zurück. Bei der vorgezogenen Parlamentswahl in Spanien erringt die konservative Volkspartei (PP) einen Erdrutschsieg. Die bisher regierenden Sozialisten von Premier José Luis Rodríguez Zapatero erleiden bei der von der Schuldenkrise geprägten Abstimmung ein Debakel historischen Ausmaßes. Der neue Ministerpräsident Mariano Rajoy stimmt seine Landsleute auf harte Zeiten ein.

Einschläge kommen näher

Die Anzeigetafel des Deutschen Aktienindex DAX im frueheren Parketthandelssaal der Deutschen Boerse (Foto: dapd)
Frankfurter Händler: "Schlimmer als nach der Lehman-Pleite"Bild: dapd

Derweil frisst sich die Schuldenkrise ins Herz der Euro-Zone. Nach Italien und Spanien gerät nun Frankreich immer tiefer in den Abwärtsstrudel. Das zweitgrößte Euroland könnte sein Top-Rating AAA verlieren, falls die Refinanzierungskosten dauerhaft hoch bleiben und wegen der Konjunkturflaute den Haushalt belasten, warnt die Ratingagentur Moody's. Die Zinsen, die Frankreich und Belgien für zehnjährige Staatsanleihen zahlen müssen, erreichen Höchststände. Spanien muss die höchsten Zinsen für Anleihen seit 14 Jahren zahlen.

Die Banken in der Eurozone müssen sich aus Mangel an Alternativen so viel Geld bei der Europäischen Zentralbank leihen wie seit zwei Jahren nicht mehr. Börsianern zufolge ist der Interbankenmarkt derzeit praktisch ausgetrocknet, weil das Misstrauen der Institute untereinander infolge der Schuldenkrise immer mehr zunimmt. "Es ist im Grunde noch schlimmer als zur Zeit der Lehman-Pleite 2008, weil die Staaten nun ebenfalls handlungsunfähig sind", so ein Händler an der Frankfurter Börse.

Rundumschlag

Anfang Dezember holt die US-Ratingagentur Standard & Poor's zum Rundumschlag in Europa aus: Sie droht Deutschland und praktisch allen anderen Euro-Ländern mit der Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit. In einem beispiellosen Schritt versieht S&P 15 Staaten mit einem negativen Ausblick, was binnen drei Monaten eine Herabstufung nach sich ziehen könnte. Das bisher mit der Top-Bonitätsnote AAA bewertete Deutschland könnte um eine Stufe abgewertet werden.

Euromünzen (Foto: AP)
2011 - Die bislang schwerste Bewährungsprobe für den EuroBild: AP

Für die Eurorettung nimmt die Europäische Union schließlich ihre Spaltung in Kauf: Der 16. EU-Gipfel hat einen beispiellosen neuen Vertrag für mehr Haushaltsdisziplin vereinbart, den Großbritannien jedoch nicht mitträgt. Damit haben Deutschland und Frankreich ihr Ziel bei dem Spitzentreffen in Brüssel nur zum Teil erreicht.

Die EU stärkt auch ihren Schutzwall gegen die gefährliche Schuldenkrise. So sollen bis zu 200 Milliarden Euro Notenbankgelder an den Internationalen Währungsfonds (IWF) fließen, damit dieser europäischen Krisenstaaten aus der Patsche helfen kann. Beim neuen Euro-Pakt sind die 17 Euroländer an Bord, hinzu kommen bis zu neun weitere Nicht-Euroländer. Diese müssen aber erstmal ihre Parlamente fragen.

Autor: Rolf Wenkel
Redaktion: Andreas Becker