25 Jahre Frust - Die Türkei und die EU
13. April 2012Wer in Istanbul eine der beiden Brücken über den Bosporus in Richtung Osten überquert, wird auf der anderen Uferseite mit einem Schild begrüßt. "Willkommen in Asien" steht darauf geschrieben. In diesem Hinweis steckt die ganze Problematik einer EU-Mitgliedschaft der Türkei. Sie kreist um die Frage, ob ein muslimisches Land, das geografisch weitgehend zu Asien gehört, ein Teil Europas sein kann. Zumindest für die Türkei ist die Frage seit langem beantwortet. Bereits am 14. April 1987 stellte das Land seinen Antrag auf Mitgliedschaft in der damaligen Europäischen Gemeinschaft, dem Vorläufer der Europäischen Union. Seitdem sind 25 Jahre vergangen; wesentliche Fortschritte hat es jedoch nicht gegeben. Immerhin erhielt die Türkei 1999 den Kandidatenstatus und seit 2005 finden formelle Beitrittsverhandlungen statt. Diese Gespräche sind aber "ergebnisoffen" angelegt, so dass ein konkreter Beitrittstermin in den Sternen steht.
"Überdehnung der EU"
Nach wie vor haben einige EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich Vorbehalte gegen eine Aufnahme der Türkei und treten mehr oder minder offen auf die Bremse. Der deutsche CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok etwa meint, sowohl der EU als auch der Türkei fehlten die Voraussetzungen für eine türkische Vollmitgliedschaft. "Ich glaube, dass die Europäische Union, so wie sie heute ist, ein großes Land wie die Türkei nicht verkraften würde, das wäre eine Überdehnung der Europäischen Union." Aber man müsse sehen, dass auch die Türkei die Voraussetzungen bisher nicht erfülle.
Konfliktpotential gibt es besonders beim Schutz von Minderheiten, bei der Religionsfreiheit, der Gleichberechtigung von Frauen und in der Zypernfrage. Vor allem der Streit um die Mittelmeerinsel hat dafür gesorgt, dass die Beitrittsverhandlungen seit 2006 stocken. Die Regierung in Ankara erkennt das EU-Mitglied Zypern nicht an. Türkische Truppen halten zudem den Norden Zyperns besetzt. Zum Teil ist man in der EU auch der Meinung, dass die Türkei weder geographisch noch kulturell zu Europa gehört und im Falle einer Mitgliedschaft zur Last fallen könne.
Signal an die islamische Welt
Beitrittsbefürworter betonen dagegen die geostrategische Bedeutung des Landes. Das Gewicht der europäischen Wirtschaft in der Welt sei geschrumpft; nur mit einer Erweiterung könne die EU Macht und Einfluss wahren. Ein weiteres Argument ist, dass eine Aufnahme der Türkei ein Signal für die in der EU lebenden Türken ebenso wie für andere muslimische Länder wäre. Europa würde so zum Abbau der Spannungen zwischen der westlichen und der islamischen Welt beitragen. Der Erweiterungskommissar der EU, Stefan Füle, ist immerhin der Überzeugung, dass die Türkei ein wichtiges Land für die EU ist, etwa im Energiesektor. Außerdem seien "die Beitrittsverhandlungen der beste Hebel, den wir haben, um der Türkei bei der Modernisierung zu helfen".
Derzeit sind die Fronten verhärtet; die Verhandlungen treten auf der Stelle. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wirft der EU immer offener eine "Hinhaltepolitik" vor, während Brüssel befremdet auf die aggressiven Töne aus Ankara reagiert und auf weitere Demokratisierungsbemühungen beharrt. "Es gibt auf beiden Seiten Frustrationen", sagte Erweiterungs-Kommissar Füle kurz angebunden, als er auf die Unstimmigkeiten angesprochen wurde. "Europas fremder Freund" betitelte die "Frankfurter Rundschau" einen Artikel zu den türkisch-europäischen Beziehungen. Mittlerweile scheint die Türkei genug davon zu haben, an Europas Tür anzuklopfen. Erdogan weist gerne darauf hin, dass sein Land im Gegensatz zur derzeitigen Krisen-EU einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung erlebe und auf die EU nicht angewiesen sei. So wächst in Erdogans Regierung das Selbstvertrauen, während eine Mitgliedschaft an Glanz verliert.
Deutschlands Chefdiplomat, Außenminister Guido Westerwelle, versuchte bereits mehrfach die Wogen in der zunehmend emotional geführten Debatte zu glätten. Es gehe darum, dass die Türkei fair und respektvoll behandelt werde und "dass die Türkei weiß, dass Europa zu dem Prozess, den wir verabredet haben, auch steht. Selbst wenn wir alle nicht wissen, wie denn am Schluss das Ergebnis dieses Prozesses sein wird". So sei es zwischen der Europäischen Union und der türkischen Regierung verabredet worden.
Europa als Christenclub?
Reinhard Bütikofer, deutscher Grünenabgeordneter im Europaparlament, meint, dass es in den Diskussionen nicht nur um politische oder wirtschaftliche Kriterien geht. Er sieht hinter den Vorbehalten auch kulturelle Vorurteile gegenüber der Türkei und vermisst Toleranz auf europäischer Seite: "Welche Vorstellungen von der Identität Europas haben wir? Ist Europa ein Christenclub, dann sind die Türken draußen. Ist Europa bereit, die europäische Geschichte des Islam ernst zu nehmen, dann muss man auch die Türkei als Bewerber ernsthaft berücksichtigen." Doch offene Befürworter einer türkischen Vollmitgliedschaft findet man selten im Europaparlament - trotz aller offiziellen Bekenntnisse in Brüssel.
Für neuen Schwung in den Beitrittsverhandlungen fehlt es an prominenten Stimmen. Bundeskanzlerin Angela Merkel aber auch andere Regierungschefs halten sich mit Äußerungen zur Türkei merklich zurück. Lediglich Altkanzler Gerhard Schröder rührt die Werbetrommel für einen EU-Beitritt. So schrieb er in einem Beitrag für "Welt-Online": "Ohne die Türkei versinkt die EU im Mittelmaß." Der SPD-Politiker verwies auf das rasante Wachstumstempo und prognostizierte, dass die Türkei in 20 Jahren die viert- oder fünftgrößte Wirtschaft Europas sein werde. Dann führe an ihr kein Weg mehr vorbei. Doch vorläufig bleibt es nur bei Worten. Schröder hat im Chor der EU-Mächtigen schon lange keine Stimme mehr.