250.000 Menschen demonstrieren in Prag
16. November 2019Aus dem ganzen Land reisten Menschen mit Plakaten und Flaggen an. Unmittelbar vor dem 30. Jahrestag der Samtenen Revolution ist es in Prag zu massiven Protesten gegen die Regierung gekommen. Hunderttausende Menschen nahmen an einer Großkundgebung auf der weitläufigen Letna-Ebene über der Moldau teil.
Tschechische Demokratie ist "krank"
Die Veranstalter vom Bündnis "Eine Million Momente für Demokratie" sprachen von einer Viertelmillion Teilnehmern. Die Polizei bestätigte die Zahl.
Die Demokratie in Tschechien sei krank, sagt der Organisator der Proteste, der Theologiestudent Mikulas Minar. Sie sei wie ein Garten, der mit Unkraut zuwuchere, wenn man sich nicht um ihn kümmere. Im Mittelpunkt der Kritik: Regierungschef Andrej Babis. Der Multimilliardär ist Gründer eines komplizierten Firmengeflechts, das von der Agrarwirtschaft über die Chemieindustrie bis zur Medienbranche reicht.
"Rücktritt, Rücktritt", forderten die Demonstranten bei der Kundgebung. Sie stellten Andrej Babis ein Ultimatum: Entweder er trennt sich bis Ende des Jahres von seinem Unternehmen oder er legt sein Amt als Ministerpräsident nieder. Der 65 Jahre alte Multimilliardär missbrauche seine Macht und stehe als Unternehmer und Politiker in einem ständigen Interessenkonflikt, heißt es.
Der Zeitpunkt der Proteste ist nicht zufällig gewählt: "Wir wollen, dass die Leute sich an die 'Samtene Revolution' erinnern", sagte Benjamin Roll der DW. Der Student ist Vizevorsitzender von "Eine Million Momente für die Demokratie". "Wir machen keine weitere Revolution oder so etwas - wir versuchen tatsächlich, das zu bewahren, was 1989 erreicht wurde."
Die Niederschlagung einer friedlichen Studentendemonstration am 17. November 1989 hatte den Beginn der Samtenen Revolution, der demokratischen Wende in der damaligen Tschechoslowakei, markiert. "Es sieht heute nicht so aus, wie wir uns das damals vorgestellt haben", sagte einer der Demonstranten. "30 Jahre nach der Samtenen Revolution haben wir eine Regierung, die von den Kommunisten toleriert wird", kritisierte eine andere Frau.
Babis hatte den Demonstranten im Vorfeld vorgeworfen, die "Atmosphäre des Jahrestags" zu missbrauchen. Ihre Beweggründe verstehe er nicht. Der gebürtige Slowake steht an der Spitze einer Minderheitsregierung aus seiner populistischen Partei ANO (Tschechisch für "Ja") und der sozialdemokratischen CSSD, die von den Kommunisten (KSCM) geduldet wird.
mir/rb (dpa, ap, rtr, Czech Radio)