30 grüne Jahre
Die Grünen haben das politische System der Bundesrepublik und die deutsche Parteienlandschaft nachhaltig verändert. Ein Rückblick auf 30 Jahre Grüne im Bundestag.
Wer hätte das damals gedacht?
Exakt vor 30 Jahren, bei den Bundestagswahlen am 6. März 1983, gelang den Grünen der Einzug in den Bundestag. Damals wurden sie von vielen als politische Eintagsfliege, chaotischer Haufen, gar als Bürgerschreck abgetan. Die wenigsten rechneten damit, dass die Grünen die erste, auf Bundesebene erfolgreiche Parteineugründung seit den 1950er Jahren sein und sich dauerhaft etablieren würden.
Der weite Weg von der "Anti-Parteien-Partei" zum Regierungspartner
Bei ihrer Gründung sahen sich die Grünen als Gegenentwurf zu den herkömmlichen Parteien. Dementsprechend bunt war das Potpourri an Themen und Gruppierungen, das sich im Januar 1980 zusammenschloss: Aktivisten aus der Umwelt-, Friedens-, Anti-Atomkraftbewegung, Menschenrechts-, Frauen- und Dritte-Welt-Gruppen und der ein oder andere Prominente wie der Künstler Joseph Beuys.
Der Einzug in das Parlament
Fröhlich und vor Selbstbewusstsein nur so strotzend zogen die ersten grünen Parlamentarier am 29. März 1983 durch die Straßen am damaligen westdeutschen Regierungssitz Bonn in Richtung des Bundestagsgebäudes: Gerd Bastian, Petra Kelly und Otto Schily (von links nach rechts). Die Grünen stellten insgesamt 28 von 520 Sitzen.
Der "Turnschuhminister"
Joschka Fischer war der erste Grüne, der Landesminister wurde, und zwar Umweltminister des Bundeslandes Hessen. Dass er bei seiner Vereidigung im Dezember 1985 Sportsakko, Jeans-Hemd und - was man auf dem Bild nicht sieht – Turnschuhe trug, sorgte für Riesenwirbel und ist heute Historie: Die Turnschuhe sind im Deutschen Museum in Offenbach ausgestellt.
Am Thema vorbei
"Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter." Der Wahlslogan verkannte die Stimmung im Jahr der Einheit 1990 völlig. Die Partei lehnte die Art und Weise, wie sich der Einigungsprozess vollzog, ab. Die Quittung kam am Wahlabend: Die Grünen (West) flogen aus dem Parlament heraus, die Grünen (Ost) holten acht Sitze. Dass Ost- und West-Grüne getrennt antraten, war ein einmaliger Vorgang.
Fundis gegen Realos
Von Anfang an knirschte es zwischen den zwei Lagern: den "Fundis", die Fundamentalopposition betrieben und Regierungsbeteiligungen ablehnten, und den "Realos", Realpolitikern, die das politische System von innen verändern wollten. Im April 1991 kam es zum Showdown, dem großen Knall: Die Wortführerin der Fundis, Jutta Ditfurth, trat mit viel Getöse aus und mit ihr etliche andere.
Ein Schock, der tief saß
Im Oktober 1992 wurden die Leichen von zwei Grünen der ersten Stunde gefunden: die charismatische Pazifistin Petra Kelly und ihr Lebensgefährte, der Ex-General Gerd Bastian. Ermittlungen zeigen, Bastian habe die schlafende Petra Kelly erschossen und dann sich selbst: ein Beziehungsdrama oder gemeinschaftlicher Freitod? Letzteres scheint unwahrscheinlich.
Die Grünen werden erwachsen
Die Partei hatte sich anfangs Prinzipien auferlegt, die sich im Alltag als unpraktikabel erwiesen: zum Beispiel die Ämterrotation, wonach nach der Hälfte der Amtszeit die Abgeordneten ausgewechselt werden sollten. Und: Nicht Personen, sondern Themen sollten im Fokus stehen. Im Wahlkampf 1994 setzten die Grünen erstmals auf eine Person als Zugpferd, den Wortführer der Realos Joschka Fischer.
Der politische Generationswechsel
16 Jahre lang hatte Helmut Kohl (CDU) Deutschland regiert. 1998 war damit Schluss. SPD und Grüne gewannen die Bundestagswahl und stellten die erste rot-grüne Bundesregierung. Bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am 20. Oktober 1998 waren der designierte Kanzler Gerhard Schröder (SPD, li), Joschka Fischer (Mitte) und der künftige Finanzminister Oskar Lafontaine (SPD, re) in Sektlaune.
Die Farbbeutel-Attacke
Es ging um das politische Überleben von Rot-Grün. Auf einem Sonderparteitag im Mai 1999 stritten die Grünen erbittert über die deutsche Beteiligung an NATO-Luftschlägen gegen das damalige Jugoslawien im Kosovokrieg. Joschka Fischer, Vizekanzler und Außenminister, wurde als Kriegstreiber beschimpft und mit einem Farbbeutel beworfen, der ihn so unglücklich traf, dass sein Trommelfell riss.
Der Atomausstieg
Im Juni 2000 unterzeichnete die rot-grüne Bundesregierung mit den deutschen Energieversorgern (hier Kanzler Schröder, re, und E.On-Chef Hartmann, li) die Vereinbarung über den Ausstieg aus der Atomenergie. Demnach sollte das letzte Kernkraftwerk hierzulande 2021 abgeschaltet werden. Die Grünen waren damit am Ziel: Das Abschalten der Kernkraftwerke war eines ihrer zentralen politischen Anliegen.
Die Basis revoltiert die eigene Partei
Vielen Atomkraftgegnern ging der Ausstieg nicht schnell genug. Dass nun ausgerechnet ein grüner Umweltminister die Wiederaufnahme der umstrittenen Atommüll-Transporte in den berühmt-berüchtigten Castor-Behältern anordnen musste, sahen einige an der grünen Basis als Verrat. Demonstranten in Lüneburg stellten Minister Jürgen Trittin im November 2001 als Marionette der Energieversorger dar.
Gibt es ein Leben nach Joschka?
Gut ein halbes Jahr nach Ende von Rot-Grün zog sich Joschka Fischer aus der aktiven Politik zurück. Im Juni 2006 verabschiedete er sich von den grünen Parlamentariern: hier mit Renate Künast (li) und Fritz Kuhn (re). Innerhalb wie außerhalb der Partei wurde die Frage laut: Was ist die Partei ohne Joschka Fischer, ihrem rhetorisch versierten Zugpferd, der wie kein Zweiter die Grünen verkörperte?
Kein Untergang des Autolandes
Für die Partei war es eine Sensation, für ihre Gegner ein Schock: Im November 2011 wurde Winfried Kretschmann zum ersten grünen Ministerpräsidenten gewählt – ausgerechnet im Autoland Baden-Württemberg. Obwohl auch in der Landeshauptstadt Stuttgart seit Oktober 2012 der Grüne Fritz Kuhn Oberbürgermeister ist, rollen nebenan bei Porsche und Daimler immer noch die Autos vom Band…
Rückbesinnung auf urgrüne Prinzipien
Trotz aller Häutungen sind die Grünen vielen Überzeugungen treu geblieben. Beispiel Basisdemokratie: Ihre Spitzenkandidaten für den kommenden Bundestagswahlkampf hat die Partei nicht von oben dekretiert, sondern sie hat ihre Mitglieder befragt. Sie wählte - für manche überraschend - die ostdeutsche Protestantin Katrin Göring-Eckardt und den westdeutschen Parteilinken Jürgen Trittin.