3000 Euro für Gas: Wird Heizen Luxus?
29. Juli 2022Viele Menschen in Deutschland bekommen in diesen Tagen unerfreuliche Post. Die Energieversorger geben die gestiegenen Gaspreise an ihre Kunden weiter. Mehr als jede zweite Wohnung in Deutschland wird mit Gas beheizt. Im Herbst 2021 kostete die Kilowattstunde durchschnittlich rund sechs Cent. Inzwischen sind es etwas mehr als 13 Cent, doch der Preis kann regional auch viel höher sein. 25 Cent pro Kilowattstunde verlangt beispielsweise der Energieriese Vattenfall von Neukunden in Berlin.
Vom 1. Oktober an wird es noch teurer. Über eine solidarische Umlage sollen alle Gaskunden zusätzlich bis zu fünf Cent pro Kilowattstunde zahlen. Das Geld soll den Gasimporteuren zugutekommen, die weniger Gas aus Russland geliefert bekommen und deswegen woanders teurer einkaufen müssen. Der Gasimporteur Uniper ist finanziell so angeschlagen, dass der Bund einsteigen musste.
Verdreifachte Preise
Ein durchschnittlicher Vierpersonen-Haushalt in einer 100 Quadratmeter großen Wohnung, der 18.000 Kilowattstunden pro Jahr verbraucht, zahlte im vergangenen Herbst noch 1080 Euro für Erdgas. Nimmt man den aktuellen Preis und addiert auch noch die fünf Cent für die Gas-Umlage hinzu, dann wären es jährlich 3240 Euro. Das entspricht einem durchschnittlichen Monatseinkommen in Deutschland. Auf der Grundlage der Vattenfall-Preise würde die Rechnung noch viel höher ausfallen.
Während es in Deutschland noch sommerlich warm ist und die meisten Heizungen abgedreht, dämmert es immer mehr Mietern und Hauseigentümern, dass es ab Herbst sehr ungemütlich werden könnte. Jetzt noch die Gasheizung auszutauschen, kann kaum funktionieren. In gut drei Monaten fängt die Heizperiode an.
Heizlüfter sind fast ausverkauft
Anruf bei einem Heizungsinstallateur. Die Auftragsbücher sind voll, einen Termin für eine Inaugenscheinnahme der alten Heizung kann er frühestens im Oktober anbieten. Dazu kommt Materialmangel. Wärmepumpen, die mit Strom betrieben werden, sind kaum noch zu bekommen. Bis die Anlage eingebaut wäre, könnten viele Monate vergehen.
In Bau- und Elektromärkten sind Brennholz, mobile Heizlüfter, Radiatoren und Heizstrahler teilweise schon ausverkauft. Techniker warnen, dass die Stromversorgung für eine hohe Zusatzbelastung durch solche Geräte nicht ausgelegt sei und es an kalten Tagen zu lokalen Netzüberlastungen kommen könnte.
Hannover legt einen Energiesparplan vor
Seit Monaten fordert Wirtschaftsminister Robert Habeck die Bürger auf, Energie einzusparen. Auch Strom. Ein großer Teil wird zwar mit Wind und Sonne erzeugt, knapp 14 Prozent aber mit Gas. Berlin schaltet deswegen die Beleuchtung von 200 Sehenswürdigkeiten ab. In vielen Kommunen sind in Schwimmbädern die Wassertemperaturen bereits abgesenkt worden, in den Duschräumen kommt nur noch kaltes Wasser aus der Brause.
Als eine der ersten Kommunen in Deutschland hat die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover einen konkreten Sparplan vorgelegt. In der nächsten Heizperiode soll die Raumtemperatur in den städtischen Gebäuden bei maximal 20 Grad liegen, für Technik- und Lagerräume gilt eine Spanne von 10 bis 15 Grad. Sehenswürdigkeiten sollen auch hier nicht mehr angestrahlt werden, alle öffentlichen Brunnen werden abgeschaltet. In Schwimm- und Freibädern, aber auch in Sport- und Turnhallen wird kein warmes Wasser mehr aus den Duschen kommen.
Eine "Wärme-Polizei" soll es nicht geben
Auf die privaten Haushalte entfällt ein Drittel des Gasverbrauchs in Deutschland. Ihnen vorzuschreiben, wie viel Gas sie verbrauchen dürfen, wird schwer, denn davor sind sie gesetzlich geschützt. Zwar soll eine Verordnung kommen, die beispielsweise untersagt, private Pools im Winter mit Gas zu heizen. "Aber ich denke jetzt nicht, dass die Polizei alle Pool-Besitzer aufsucht und guckt, ob die Pools warm sind, so ist es nicht", sagt Wirtschaftsminister Habeck. Das sei auch kein Land, in dem er leben wolle.
Eine "Wärme-Polizei" werde es genauso wenig geben wie gesetzlich verordnetes Frieren. In der Corona-Pandemie habe sich gezeigt, dass Menschen sich auch freiwillig an Vorgaben gehalten hätten. Experten bezweifeln allerdings, dass man die derzeitige Energiekrise mit der Corona-Pandemie vergleichen kann. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, in dem 41 führende Ökonominnen und Ökonomen sitzen, hat bereits im Juni einen Brief an Minister Habeck geschrieben, in dem es heißt, dass Appelle fast nie etwas bewirken würden.
Die Preise wirken lassen
Die Verbraucher würden nur dann wirklich Gas sparen, wenn sie die Krise im Portemonnaie spüren würden. "Ein hoher Gaspreis ist der effizienteste Anreiz, den Verbrauch einzuschränken", heißt es in dem neunseitigen Brief, der der DW vorliegt. "Wenn das Preissignal außer Kraft gesetzt wird, etwa weil bestimmte Unternehmen oder die privaten Haushalte wissen, dass sie auf jeden Fall zu einem fixen Preis beliefert werden, haben sie keinen Anreiz mehr, beim Gasverbrauch zu sparen."
Den Gaspreis staatlich zu deckeln oder den Bürgern über das einmalig gezahlte Energiegeld in Höhe von 300 Euro hinaus weitere Finanzhilfen zu geben, davon halten Ökonomen wenig. Der Wissenschaftliche Beirat schlägt stattdessen vor, den Gasmarkt so zu regulieren, dass Gaskunden einen bestimmten Prozentsatz ihres Vorjahresverbrauchs zu einem gedeckelten Preis bekommen sollten. Haushalte, die mehr verbrauchen, müssten den deutlich höheren Preis zahlen.
Zurück ins Home-Office
Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung geht noch einen Schritt weiter und empfiehlt, denjenigen Prämien zu zahlen, die besonders viel Gas sparen. Doch das will Wirtschaftsminister Habeck auf keinen Fall. "Wenn jemand sagt, 'Ich helfe nur, wenn ich nochmal 50 Euro kriege', dann würde ich sagen: 'Die kriegst du nicht, Alter'", so Habeck in einem TV-Interview.
Stattdessen belässt es der Minister noch bei seinen Empfehlungen, weniger und kälter zu duschen, die Heizungsanlagen warten und optimaler einstellen zu lassen und die Raumtemperatur zu senken. Mit Blick auf die Corona-Pandemie und ab Herbst weiter steigenden Infektionszahlen könnte es auch sinnvoll sein, wieder mehr aus dem Home-Office zu arbeiten. Dann müssten die Bürogebäude nicht geheizt werden. In Studien wurde errechnet, dass rund fünf Prozent Energie eingespart werden könnte, wenn vermehrt zuhause gearbeitet wird.
Die Menschen nicht allein lassen
Aber würden die Unternehmen, die dann weniger Heizkosten haben, ihren Angestellten dafür einen finanziellen Ausgleich zahlen? Das ist genauso wenig geklärt wie viele andere Fragen in der aktuellen Energiekrise. Wie groß die Verunsicherung ist, zeigte sich bei einem Auftritt von Habeck in Bayreuth. Ein Gespräch mit Bürgern wurde von lauten Pfiffen und Buhrufen begleitet.
Die Protestierenden waren bei geschätzt mehreren hundert Teilnehmern insgesamt in der Minderheit. Doch wenn in den kommenden Wochen immer mehr Gaskunden hohe Rechnungen bekommen, die sie nicht bezahlen können, dürfte der Protest deutlich größer werden. Für die Bundesregierung und das ganze Land könnte es ein heißer Herbst werden. Das weiß auch Robert Habeck, der in Bayreuth versprach, man werde die Menschen mit den Energiekosten nicht allein lassen.
Der Artikel wurde erstmals am 28. Juli veröffentlicht und am 29. Juli aktualisiert.