328 Tage: Von der Revolution zum Staatsvertrag
Die Macht der Straße und ein folgenschwerer Versprecher: Die lange für unmöglich gehaltenene deutsche Einheit wird am 11. November 1989 über Nacht geboren und ist nach 328 Tagen vollendet. Stationen einer Revolution.
"...sofort, unverzüglich."
9. November 1989: Eher beiläufig verkündet Günter Schabowski die neue Reisefreiheit für DDR-Bürger. Was folgt, ist ein emotionaler Urknall der Geschichte. Noch am Abend der historischen Worte stürmen Tausende Ost-Berliner die Grenzübergänge. Im Westen werden sie begeistert empfangen.
Retter ohne Rückhalt
13. November 1989: Hans Modrow, SED-Bezirkschef in Dresden, soll retten, was zu retten ist. Vier Tage nach dem Mauerfall wählt ihn die Volkskammer zum Vorsitzenden des Ministerrats. Er steht auf verlorenem Posten, denn die Abgeordneten kündigen der bis dahin allmächtigen SED die bedingungslose Gefolgschaft auf.
Kohl ergreift die Initiative
28. November 1989: Der Zehn-Punkte-Plan Helmut Kohls, vorgestellt am 28. November im Bundestag, schlägt ein wie eine Bombe. Die Deutschen zeigten eine "wachsende Arroganz", schimpft Frankreichs Außenminister Roland Dumas. Tatsächlich wird niemand vorher konsultiert. Das Papier ist der Fahrplan hin zur staatlichen Einheit.
Die alte Garde tritt zurück
3. Dezember 1989: Unter dem Druck der Abstimmung mit den Füßen kapitulieren sowohl das Politbüro als auch das Zentralkomitee, die geschlossen zurücktreten – einschließlich Egon Krenz, der mit Zugeständnissen an die Bürgerrechtsbewegungen die DDR als Staat retten will.
Eine Frage des Tons und der Worte
19. Dezember 1989: Der Auftritt Helmut Kohls vor der Ruine der Dresdner Frauenkirche ist ein emotionaler Höhepunkt. Der Kanzler trifft in Wortwahl und Ton die Gefühle der mehreren Zehntausend Ostdeutschen. Er spricht von seinem Ziel der Einheit der Nation in Frieden und Freiheit. Das Ausland ist beeindruckt, die Menge begeistert.
Sturm auf die Stasi-Zentrale
15. Januar 1990: Die meisten Stasi-Zentralen in den Bezirken sind schon unter Kontrolle der Bürgerbewegungen. Nicht so die Zentrale in der Berliner Normannenstraße. Ohne Zeugen werden hier Beweise für die Machenschaften der staatlichen Schnüffler vernichtet. Als Demonstranten das verhaßte Stasi-Gebäude stürmen, sind schon viele Akten verloren.
Freie Wahl mit Überraschung
18. März 1990: Volkskammer-Wahl in der DDR. Vor allem Helmut Kohl mobilisiert die Massen. Der Kanzler bringt eine Million Menschen bei seinen Auftritten auf die Marktplätze und in die Fußgängerzonen. Doch die SPD gilt bei den Meinungsforschern als haushoher Favorit. Doch dann die Sensation: Kohls bürgerliche Allianz siegt klar vor der SPD.
Die D-Mark kommt
1. Juli 1990: Die Einheit ist längst ausgemachte Sache und die soziale Marktwirtschaft soll nun auch in Ostdeutschland eingeführt werden. In Bonn wird am 18. Mai ein Staatsvertrag für eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion unterzeichnet. Am 1. Juli ist es soweit: Die DDR-Bürger bekommen die D-Mark.
Gorbatschow sagt Ja zur Einheit
15./16. Juli 1990: Die Nato-Zugehörigkeit des vereinten Deutschland ist für die Moskauer Führung lange die höchste aller Hürden auf dem Weg zur Einheit. Doch die Nato beschließt eine betont defensive Ausrichtung für das Bündnis. Moskau ist beruhigt. Im Kaukasus holt sich Kohl das Ja Gorbatschows für eine Nato-Mitgliedschaft eines vereinten Deutschland ab.
Volkskammers große Stunde
23. August 1990: Die Abgeordneten der DDR-Volkskammer beschließen den Beitritt zur Bundesrepublik. Gregor Gysi, PDS-Chef, erntet für seinen Kommentar, das Parlament habe soeben nicht mehr und nicht weniger als "den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik beschlossen", nur Gelächter.
Letztes Feilschen vor Vertragsunterzeichnung
12. September 1990: Am Ende geht es nur noch ums Geld. Die Bonner Regierung bietet der Sowjetunion zwölf Milliarden D-Mark als Ausgleich für die Kosten des Abzugs der Roten Arme aus Ost-Deutschland. Zu wenig, befindet Gorbatschow. Kohl bleibt zunächst hart, legt aber dann noch ein drei Milliarden-Darlehen drauf. Der Weg ist frei für die Unterzeichnung des "Zwei-plus-Vier-Vertrages".
Tag eins des neuen Deutschland
3. Oktober 1990: In New York verzichten die Außenminister der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs auf alle Sonderrechte und die drei Stadtkommandanten West-Berlins entbinden sich von ihren Vorrechten. Die Volkskammer tagt zum letzten Mal, die DDR verlässt den Warschauer Pakt. Vor dem Reichstag wird um 0 Uhr die deutsche Flagge gehisst. Annähernd zwei Millionen Menschen sind mit dabei.