36. Max Ophüls Preis: Starker Filmnachwuchs
Der deutsche Filmnachwuchs geht an die sozialen Brennpunkte. Vom traditionellen Genrefilm wendet er sich zunehmend ab. Ein starker Jahrgang, ganz nah am wahren Leben.
Weggesperrte Jugend: "Freistatt"
Ein fulminantes Kinodebüt ist Marc Brummund gelungen. Erzählt wird die Geschichte eines 14-jährigen, der von seinen Eltern in die kirchliche Erziehungsanstalt Freistatt geschickt wird. Der Film spielt im Jahre 1968 und beleuchtet die bestialischen Erziehungsmethoden mancher Internate in der Bundesrepublik. Ein kraftvoll erzählter und überzeugend gespielter Debütfilm - auf jeden Fall preiswürdig.
Auf dem Drahtseil des Lebens: "Chrieg"
Eine ähnliche Geschichte zeigt der Schweizer Simon Jaquemet in seinem Debüt "Chrieg". Allerdings sind die Erlebnisse des aufsässigen Jungen Matteo in der Gegenwart angesiedelt. Wie "Freistatt" auch stellt "Chrieg" die Frage: Was machen Staat und Kirche mit jungen Menschen, die sich nicht stromlinienförmig anpassen und unterordnen wollen? Beides sind aufwühlende, wütende Filme junger Regisseure.
Phantastische Momente: "Die Liebe unserer Eltern"
Auch Thomas A. Szabós Debüt "Die Liebe unserer Eltern" spielt in einem Internat. Hier ist es die 17-jährige Mia, die Orientierung sucht und Fuß fassen muss in der Welt der Erwachsenen. Mia ist Waise. Szabó arbeitet phantastische Momente in seinen Film ein und verlässt damit als einer der wenigen Filmemacher des diesjährigen Max-Ophüls-Jahrgangs eine realistisch-naturalistische Erzählebene.
Psychologie auf dem Wasser: "Das Floss!"
Eine klassische Ausgangssituation hat Julia Kaiser für ihr Debüt "Das Floss!" gewählt: Ein Junggesellinnenabschied bringt eine Handvoll junger Menschen für ein paar Tage auf einem Hausboot zusammen. "Das Floss!" ist ein Kammerspiel unter freiem Himmel. Auf begrenztem Raum brechen zwangsläufig Konflikte auf. Ein gut fotografierter Film von einer der fünf Regisseurinnen beim Max Ophüls-Wettbewerb.
Höllische Versionen: "Der Bau"
Fast schon ein alter Hase ist Regisseur Jochen Alexander Freydank, der in Saarbrücken sein Kinodebüt "Der Bau" zeigte. Freydank gewann für seinen Kurzfilm "Spielzeugland" 2009 den Oscar für den besten Kurzfilm und inszenierte danach zwei Folgen für die Krimireihe "Tatort". In "Der Bau" erzählt der Regisseur eine kafkaesk anmutende Geschichte eines Neurotikers, brillant verkörpert von Axel Prahl.
Kampf gegen den Geschwindigkeitsrausch: "Driften"
Auch der in London geborene und in der Schweiz aufgewachsene Karim Patwa greift auf eine für Jungfilmer typische Geschichte zurück. Er beschreibt den Weg des jungen Robert, der nach einer Haftstrafe für Rowdytum am Steuer ins Leben zurückfinden will. Dabei begegnet er ausgerechnet der Mutter des von ihm überfahrenen Mädchens. "Drifter" ist überzeugend gespielte Sozialstudie und Melodrama in einem.
Paare und Passanten: "Ein Endspiel"
Einen anderen Regieansatz als die meisten Debütanten des 2015-Jahrgangs hat Lilli Thalgott für ihren ersten Film gewählt. Sie erzählt die Geschichte eines Paares, dass auf eine harte Probe gestellt wird, nachdem die Frau nach einem Selbstfindungsseminar noch einmal ganz neu anfangen will. "Ein Endspiel" wurde von einem Theaterensemble in Echtzeit und an ganz realen Schauplätzen frei improvisiert.
Schuld und Sühne: "Wir Monster"
Sebastian Ko blickt in seinem Debüt auf familiäre Abgründe. "'Wir Monster' ist ein Anti-Familienfilm", sagt der Regisseur. Die Geschichte der Eltern habe ihn dabei noch mehr interessiert als das Schicksal der Kinder: "Weil mir ihre Nöte und ihre Gedanken näher sind. Ich bin selber Vater." Eine ungewöhnliche Aussage für einen jungen Filmemacher beim Max Ophüls Preis in Saarbrücken.
Gesellschaftspanorama: "Nachspielzeit"
Viel vorgenommen hat sich Regisseur Andreas Piper für seinen zweiten Spielfilm "Nachspielzeit", ein Berliner Kiez-Drama, das auf verschiedene Milieus in der Großstadt blickt. "Nachspielzeit" vereint vielleicht allzu viele Erzählstränge, bietet aber eine Reihe wunderbar inszenierter Szenen und ein tolles Schauspielerensemble. Einer der besten Filme in diesem Jahr in Saarbrücken.
2015: Ein überzeugender Jahrgang
Insgesamt präsentierte sich in diesen Tagen ein starker Jahrgang beim wichtigsten deutschsprachigen Nachwuchsfilmfestival. Auffallend ist die handwerkliche Perfektion der allermeisten Debüts. Auch die vielen charismatischen jungen Schauspielerinnen und Schauspieler wussten zu überzeugen. Die Qualität der Filme beim Max Ophüls Preis 2015 lässt hoffen für die Zukunft des deutschen Kinos.