400 Millionen Euro für die Hochwasser-Opfer
21. Juli 2021Eine Woche nach Beginn der Hochwasserkatastrophe vor allem im Westen Deutschlands hat die Bundesregierung die millionenschweren Soforthilfen auf den Weg gebracht. Sie billigte eine entsprechende Kabinettsvorlage von Finanzminister Olaf Scholz und Innenminister Horst Seehofer. Damit sollen die schlimmsten Schäden an Gebäuden und kommunaler Infrastruktur beseitigt und besondere Notlagen überbrückt werden. Insgesamt geht es um rund 400 Millionen Euro, die je zur Hälfte vom Bund und von den Ländern getragen werden sollen.
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht
"Ziel dieser finanziellen Hilfen soll die Beseitigung unmittelbarer Schäden an Gebäuden, land- und forstwirtschaftlichen Produktionsmitteln, einschließlich der gewerblichen Wirtschaft, und der kommunalen und der wirtschaftsnahen Infrastruktur vor Ort sowie die Überbrückung von Notlagen sein", heißt es in der Vorlage.
"Flankiert werden sollen die staatlichen Finanzhilfen durch eine zielgerichtete Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, um Insolvenzanträge zu vermeiden, die unter ökonomischen Gesichtspunkten angesichts der voraussichtlichen Verfügbarkeit staatlicher Hilfsangebote auch unter Gläubigerschutzgesichtspunkten nicht erforderlich sind." Zudem schlägt der Bund Gespräche mit den Bundesländern über ein Absicherungssystem "für dieses, aber auch für künftige überregionale Schadensereignisse von erheblichem Ausmaß" vor.
Finanzminister Scholz rechnet insgesamt mit Milliardensummen für den Wiederaufbau in den Hochwassergebieten. Er verwies in Berlin darauf, dass bei der letzten Hochwasserkatastrophe bis heute rund sechs Milliarden Euro notwendig gewesen seien. Bei Bedarf werde der Bund auch mehr Geld zur Verfügung stellen. Der SPD-Politiker wörtlich: "Wir werden das tun, was erforderlich ist." Auch Innenminister Seehofer betonte, dass es am Geld nicht scheitern werde. "Dafür zahlen die Leute ja Steuern, dass ihnen in solchen Situationen geholfen wird. Nicht alles ist versicherbar."
Scholz machte zugleich deutlich, dass der Wiederaufbau unbürokratisch geschehen soll. "Wir wollen das ohne neue planrechtliche Regelungen machen. Wenn eine Brücke wieder hergestellt werden muss, wenn ein Haus wieder neu gebaut werden muss, wenn eine Schule wieder neu gebaut werden muss, muss man nicht ein neues Planfeststellungsverfahren auf den Weg bringen."
Versicherer fürchten teuerstes Jahr seit 2002
Auch die Versicherer kalkulieren mit zehnstelligen Summen: Man gehe von versicherten Schäden in Höhe von vier bis fünf Milliarden Euro aus, teilte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen mit. "Die Schäden dürften sogar noch über denen des August-Hochwassers im Jahr 2002 von 4,65 Milliarden Euro liegen." Die Überschwemmungen der vergangenen Tage in Bayern und Sachsen seien in dieser Rechnung noch nicht enthalten.
Damit zeichnet sich für die Versicherungen das schadensträchtigste Jahr seit 2002 ab. Damals lag der versicherte Unwetterschaden laut GDV bei 10,9 Milliarden Euro. Bereits im Juni hatten Starkregen und Hagel einen geschätzten versicherten Schaden von 1,7 Milliarden Euro verursacht.
Rettungseinsätze kostenfrei
Über die Akuthilfe hinaus plant die Regierung einen Aufbaufonds. Über dessen Höhe soll erst entschieden werden, wenn das Ausmaß der Schäden in den kommenden Wochen genauer absehbar ist. Der Bund will den Ländern zudem die Kosten für Rettungseinsätze von Bundespolizei, Technischem Hilfswerk und Bevölkerungsschutz erlassen. Auch die Bundeswehreinsätze in den Überschwemmungsgebieten sollen nicht in Rechnung gestellt werden. Zur Bewältigung der Schäden sollen auch Mittel aus dem EU-Solidaritätsfonds beantragt werden.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) betonte im ZDF, dass die Hilfen nun schnell und unbürokratisch ausgezahlt werden müssten. Schließlich gebe es Unwetteropfer, die nach dem Hochwasser gar nichts mehr hätten - "nicht mal eine Kreditkarte". Das bundesweit angestrebte Datum für Klimaneutralität, die Deutschland bislang für das Jahr 2045 anpeilt, will Laschet trotz der Extremwetterereignisse in seinem Bundesland nicht vorziehen. Die Zielmarke 2045 sei bereits "ein Riesenkraftakt".
Laschet hatte am Dienstag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei ihrem Besuch im schwer betroffenen Bad Münstereifel begleitet. Wie zuvor schon in Rheinland-Pfalz zeigte sich Merkel tief betroffen. Die Schäden seien "erschreckend", sie habe "Menschen gesehen, die alles verloren haben". Die Stadt sei "so schwer getroffen, dass es einem wirklich die Sprache verschlägt". Die Kanzlerin fügte hinzu: "Das einzige, was tröstet, ist die Solidarität der Menschen."
Polizei sucht Vermisste
Inzwischen ist die Zahl der Todesopfer auf mindestens 172 gestiegen: Aus Rheinland-Pfalz wurden 125 und aus NRW 47 Unwetter-Tote bestätigt. In beiden Bundesländern wird nicht ausgeschlossen, dass noch weitere Opfer gefunden werden. Die Suche nach Vermissten geht weiter.
sti/ml/jj (dpa, rtr, AFP)