DTV-Jubiläum
14. August 2011"Erfunden haben wir das Taschenbuch nicht, aber wir haben etwas daraus gemacht" - dieser stolze Ausspruch des ersten dtv-Verlegers Heinz Friedrich ist im Rückblick keinesfalls eine Übertreibung. Rowohlt hatte dem Taschenbuch bereits 1950 den Weg auf dem deutschen Buchmarkt gebahnt. Sein Ruf war allerdings noch der eines minderwertigen Wegwerfartikels. Genau da setzte 1961 der neue Verlag an: dtv wollte das "Taschenbuch für Anspruchsvolle".
Den lesehungrigen Deutschen der jungen Bundesrepublik brachte dtv nun die Weltliteratur im erschwinglichen Taschenformat. Dazu damalige Nachwuchs-Autoren wie Günter Grass, Heinrich Böll oder Christa Wolf. Gleich der erste Titel des ersten Programms, Heinrich Bölls "Irisches Tagebuch", wurde ein Bestseller und ist es bis heute geblieben. Die Auflage liegt mittlerweile bei über einer Million.
Goethe in die Tasche stecken
Ebenfalls im Gründungsjahr wurde eine 45-bändige Goethe-Gesamtausgabe vorgestellt, ein Novum. "Klassiker", so dtv-Chef Wolfgang Balk, "hat man bis dahin wirklich nur im Hardcover gelesen. Dass plötzlich so ein Name wie Goethe mit dem Taschenbuch verbunden wird, das war sensationell."
dtv schreibt Bildungsgeschichte
Doch auch mit eigenen Reihen kommt dtv auf den Markt: der dtv-Atlas zur Weltgeschichte wird ein Klassiker, nicht zuletzt bei Schülern. Mit dem 1971 gestarteten Programm dtv junior zielt der Verlag erfolgreich auf ein junges Lesepublikum. Aus der Bildungsgeschichte der Bundesrepublik ist dtv seitdem nicht mehr wegzudenken.
Dabei war das Besondere des Verlags zunächst ein Geschäftsmodell, allerdings ein weltweit wohl einzigartiges: Elf führende deutschsprachige Verlage schlossen sich zusammen, um ihre Taschenbuchausgaben selbst zu vermarkten, anstatt die Lizenzen an Dritte zu verkaufen. Aus Konkurrenten wurden so Geschäftspartner, zumindest partiell. Für die Etablierung der Marke dtv war nicht zuletzt das Erscheinungsbild der neuen Taschenbücher entscheidend. Mit seinen farbigen Grafiken auf weißem Grund hat der Schweizer Künstler Celestino Piatti über 30 Jahre den optischen Auftritt des Verlags geprägt.
dtv, das war eine Erfolgsgeschichte, die sich in Zeiten der Expansion fast von selbst schrieb. Erstauflagen von 40.000 Taschenbüchern waren keine Seltenheit. Heute sind es manchmal nur 3000. Doch eine größer gewordene Konkurrenz auf dem Buchmarkt und die gleichzeitig immer weniger werdenden Gesellschafter zwangen dtv zu einer Neuorientierung. Von den ursprünglichen Gründern sind nur noch C.H.Beck und Hanser dabei.
Das Taschenbuch wird luxuriöser
Als Wolfgang Balk 1996 die Geschäftsführung übernahm, stand er daher vor der Frage, wie er unter diesen Bedingungen überhaupt noch genügend Titel auf den Markt bringen könnte. Und er hat wie zu Gründerzeiten "etwas daraus gemacht": Unter dem Label dtv-premium verlegt er jetzt auch Original- und deutsche Erstausgaben im sogenannten Softcover. Das war eigentlich nicht im Sinne der Gesellschafter, die es nun mit einer hauseigenen Konkurrenz zu tun bekamen. "Die haben das natürlich mit einem gewissen Misstrauen gesehen", so Balk.
"Auf der anderen Seite erkannten sie auch, dass sich der Verlag sozusagen erneuern muss." Der Erfolg bestätigt Balks Weg: Junge Schriftsteller wie Antje Ravic Strubel, Thomas Glavinic oder jüngst Judith Zander wurden hier bekannt gemacht und danach von Hardcover-Verlagen übernommen. Erfolg auf umgekehrtem Weg sozusagen.
Längst hat sich der einstige Verlag für anspruchsvolle Leser der Unterhaltungsliteratur geöffnet. Unverzichtbar, so Verleger Balk, "und aus der Erkenntnis geboren, dass über fünfzig Prozent der Leute, die eine Buchhandlung besuchen, einen Krimi verlangen. Mit Jussi Adler Olsen hat dtv einen Bestsellerautor des Skandinavien-Krimis im aktuellen Programm.
Taschenbuch behauptet sich
Was mal fürs Taschenbuch galt – preiswert, handlich und zum schnellen Gebrauch bestimmt – trifft heutzutage am ehesten auf das ebook zu. Dass es eines Tages das Taschenbuch ablösen könnte, sieht Wolfgang Balk nicht - auch dtv bietet seine Titel längst in elektronischer Form an. Für ihn ist das Taschenbuch immer noch zeitgemäß, zumal 2010, was den Umsatz angeht, das beste Jahr in der Geschichte des Verlags war.
Sowieso hat sich das Erscheinungsbild des Taschenbuchs immer mehr dem gebundenen Buch angenähert. Es ist nicht selten genau so groß und manchmal nur wenig preiswerter. Und hat da nicht der Schalk seine Hand im Spiel gehabt, wenn ausgerechnet die Jubiläumsedition des traditionsreichsten und einzigen konzernunabhängigen Taschenbuchverlags einem Hardcover zum Verwechseln ähnlich sieht?
Autorin: Gabriela Schaaf
Redaktion: Sabine Oelze