1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

50 Jahre Ostermärsche für den Frieden

22. April 2011

Seit Anfang der 1960er Jahre finden auch in Deutschland zum Osterfest Demonstrationen von Pazifisten und Kritikern der Atompolitik statt. Ostermärsche gibt es bis heute. Es war ein weiter Weg, und er hat etwas bewirkt.

https://p.dw.com/p/10x2B
Teilnehmer eines Ostermarsches tragen ein Transparent mit der Aufschrift "50 Jahre Ostermarsch" (Foto: dpa)
Bild: dpa
Ein Junge bläst einen Luftballon auf mit der Aufschrift "Die Bombe muß weg", aufgenommen am 15.04.1963 während des Ostermarsches in Frankfurt am Main (Foto: dpa)
Ostermarsch in Frankfurt am Main 1963Bild: picture-alliance/ dpa

Die Idee, mit einem Marsch zu Ostern für den Frieden und gegen die Atompolitik zu demonstrieren, stammt ürsprünglich aus Großbritannien. Dort gab es die Ostermärsche schon in den 1950er Jahren. Als dann der erste deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer erklärt, Nuklearwaffen seien lediglich eine "Weiterentwicklung der Artillerie", fühlen sich deutsche Pazifisten provoziert. Eine solche Verharmlosung wollen sie nicht akzeptieren. Sie greifen die britische Idee auf und marschieren los: Von Hamburg nach Bergen Hohne in Niedersachsen, wo damals amerikanische Soldaten mit ihrem Waffenarsenal stationiert waren. Dort wurden die Demonstranten, im Anzug und mit Schlips bekleidet, mit Buhrufen empfangen.

Andreas Buro, Mitbegründer der Ostermärsche (Foto: dpa, 2008)
Andreas BuroBild: picture-alliance/ dpa

Andreas Buro, heute 83, hat jenen ersten Ostermarsch in Deutschland mitorganisiert und miterlebt. Er erinnert sich, dass sich an einem schneekalten, regnerischen Tag gerade einmal 20 Leute auf den Weg gemacht hatten. "Es war wie ein ewiges Spießrutenlaufen."

An einem Ostermarsch teilzunehmen, verlangte in den frühen 1960er Jahren noch sehr viel Mut. Viele Menschen trauten sich einfach nicht, ihre Meinung öffentlich zu machen. Andreas Buro hörte daher immer wieder: "Ich marschier ja mit, aber ich komme erst hinter meinem Dorf dazu."

Ostermarschierer störten das Weltbild

Die Zurückhaltung vieler Deutscher, sich den Demonstranten anzuschließen, hatte Gründe: die Mehrheit der Deutschen fühlte sich schlicht in ihrem damaligen Weltbild gestört. Andreas Buro bekommt heute noch eine Gänsehaut, wenn er daran denkt, dass seine Mitstreiter manchmal von einem ganzen Pulk von Menschen umringt waren, die auf die Ostermarschierer verbal losgingen. "Manchmal wusste ich nicht, wie ich die auseinanderbringen sollte." Immer wieder kam das damals beliebte Argument "wenn es Dir nicht passt, dann geh doch nach drüben". Mit "drüben" war die DDR gemeint, die aus westdeutscher Sicht als Vorposten der Sowjetunion für das Böse schlechthin stand. Immer wieder wurde ja argumentiert, dass jederzeit die Russen Westdeutschland angreifen könnten und man sich doch wehren müsse.

Friedensdemonstration in Bonn 1982 (Foto: AP)
Friedensdemonstration in Bonn 1982Bild: AP

Prominenz schafft der Bewegung Anerkennung

Nach und nach nehmen immer mehr Prominente an den Ostermärschen teil. Die so genannte außerparlamentarische Opposition von linken, alternativen und ökologischen Gruppen und Parteien zeigt ihre Wirkung. Man kann seine Meinung offener zeigen, weil immer mehr Menschen mitmachen, die Stimmung in der Bevölkerung verändert sich. Die Ostermärsche werden wahrgenommen. Man sieht: da trauen sich Menschen etwas. Es ist wie ein Ventil der Gesellschaft. Auch der bekannte Autor Erich Kästner ist dabei und betont, dass der Protest völlig ideologiefrei sei. Ein Zeichen in den Zeiten des Kalten Kriegs zwischen den Machtblöcken USA und Russland.

Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll eröffnet im Bonner Hofgarten eine Großkundgebung gegen die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen (1983) (Foto: dpa)
Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll im Bonner Hofgarten 1983Bild: picture alliance / dpa

Ein Gedicht jener Tage:

Marschieren wir gegen den Osten? Nein!
Marschieren wir gegen den Westen? Nein!
Wir marschieren für eine Welt,
die von Waffen nichts mehr hält.
Denn für die Welt ist das am besten."

In den 1980er Jahren erleben die Ostermärsche ihren Höhepunkt. Als in Deutschland neue amerikanische Mittelstreckenraketen stationiert werden sollen, nehmen bundesweit hunderttausende Menschen die Gelegenheit wahr, ihre Forderung öffentlich zu machen: Abrüstung!

SPD-Präsidiumsmitglied Erhard Eppler auf einer Friedens- und Abrüstungsdemonstration 1981 (Foto: dpa)
SPD-Präsidiumsmitglied Erhard Eppler auf einer Friedens- und Abrüstungsdemonstration 1981Bild: picture alliance / dpa

Die Märsche werden zum Happening, zu Großveranstaltungen. Plätze und Wiesen verwandeln sich in ein Meer aus Plakaten, gehalten von jungen und alten Menschen. Die Reden halten Politiker, die wahrgenommen werden. Einer von ihnen war der Sozialdemokrat Erhard Eppler, der das damalige Sicherheitskonzept heftig kritisierte. "Militäraktionen mit Atomwaffen sind das Angebot eines Selbstmords".

Die Ostermärsche in Deutschland mit bis zu einer Million Teilnehmern helfen mit, die Friedensbewegung international bedeutender zu machen. Netzwerke entstehen.

Geschichte bestätigt Ostermarschierer

Ostermarsch-Kundgebung 2010 in Stuttgart, Transparent der Partei "Die Linke" mit der Aufschrift "Bundeswehr raus aus Afghanistan" (Foto: dpa)
Ostermarsch-Kundgebung 2010 in StuttgartBild: picture-alliance/dpa

Anfang der 1990er Jahre ist der Zenit dann überschritten. Andere Themen beherrschen die politische Tagesordnung. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands verändert sich auch das Verhältnis zwischen den USA und dem neu entstehenden Russland, eine neue Weltordnung wird sichtbar. Die Beteiligung an den Ostermärschen nimmt deutlich ab, neue Anliegen kommen hinzu. Etwa die Forderung nach einem Rückzug der Soldaten aus Afghanistan.

Die Bedeutung der Friedens-Demonstration gehe aber nicht verloren, sagt Willi van Ooyen, der heutige Organisator der Ostermärsche: "Es ist uns immerhin gelungen, jeden Jahrgang mit rund 50 Prozent Kriegsdienstverweigerern auszustatten".

Rund 3000 Ostermarschierer bilden 1998 das traditionelle Friedenssymbol (Foto: AP)
Rund 3000 Ostermarschierer bilden 1998 das traditionelle FriedenssymbolBild: AP

Auch Winfried Nachtwei, langjähriger Sprecher für die Grünen im Bundestags-Unterausschuss für Abrüstung, hält die Ostermärsche nach wie vor für berechtigt: "Die Bundesregierung hat immer noch nicht auf unsere Forderung reagiert, die letzten Atomwaffen aus Rheinland-Pfalz zu beseitigen. Es bedarf also weiterhin des öffentlichen Drucks."

Wenigstens in einem Punkt dürfen sich die Ostermarschierer in ihrer jahrzehntelangen Tradition bestätigt sehen. In Washington setzt sich seit seinem Amtsantritt US-Präsident Obama für eine atomwaffenfreie Welt ein. Das freut auch Andreas Buro. Denn so etwas hätte er 1960 auf seinem ersten Ostermarsch nicht für möglich gehalten.

Autor: Wolfgang Dick
Redaktion: Hartmut Lüning