8000 Jahre sind ein Tag
18. April 2003Weltweit ist das Entsetzen über die Plünderung des irakischen Nationalmuseums in Bagdad groß. In seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung und vom Wert der Bestände her gesehen ist dieses Museum, nach weltweiter Übereinstimmung der Experten, mit den Nationalmuseen in Athen und Kairo gleichzusetzten. 8000 Jahre Kulturgeschichte, besonders die Entstehung der Schrift in der ältesten Stadt-Kultur der Erde, wurden hier dokumentiert.
Ein UNESCO-Vertreter in Jordanien sprach von rund 170.000 Kulturgegenständen, die Opfer der Plünderungen und Zerstörungen geworden seien. Der Vorsitzende des internationalen Rates für Denkmalschutz ICOMOS, Michael Petzet, spricht von einem "Verbrechen an der Menschheit". Gegenüber DW-WORLD erklärte er, "es ist unfasslich und widerspricht außerdem allen internationalen Konventionen. Ein minimaler Aufwand hätte genügt, das Geschehen zu verhindern".
Konventionen helfen nicht
Seit 1954 gibt es die Haager Konvention zum Schutz von Kulturgütern in bewaffneten Konflikten, die diesen Schutz eindeutig den siegreichen Truppen zuweist. 1972 wurde zudem eine UNESCO-Konvention zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut verabschiedet. Dieser sind aber die USA, ebenso wie Deutschland, immer noch nicht beigetreten. Der Irak besitzt nach Petzets Angaben ein sehr strenges Antikengesetz, das Ausfuhren praktisch vollständig verbietet. Bereits 1991 seien die innerirakischen Kämpfe nach dem ersten Golfkrieg für Plünderungen und Raubgrabungen genutzt worden, vieles sei später im internationalen Kunsthandel gelandet.
In seiner Funktion als quasi oberster Denkmalpfleger der Welt, bereiste Petzet auch Afghanistan. Das fundamentalistische Taliban-Regime verkaufte oder zerstörte dort die Kunstschätze des Landes ganz bewusst, doch auch nach dem Ende dieses Regimes gehe der Kunstraub dort unkontrolliert weiter. "In Afghanistan finden überall Raubgrabungen statt. Man könnte sogar behaupten, dass solche Banden mit Beginn des Krieges bereits auf dem Sprung waren." Ähnliche Vermutungen drängten sich nun auch im Falle des Irak auf, auch wenn das natürlich noch Spekulation bleibe.
Nahrung für Spekulationen
Doch zu Spekulationen geben eigenartige Details Anlass: Ausgerechnet der Bestandskatalog des irakischen Nationalmuseums scheint nun auch spurlos verschwunden zu sein, wie mehrere Zeitungen und Agenturen berichten. Damit wird ein Herkunftsnachweis bei zweifelhaften Versteigerungen zukünftig schwer fallen. Bereits im Januar 2003 traten Mitglieder der US-amerikanischen Lobby-Vereinigung der Kunsthändler und -Sammler mit Forderungen an ihre Regierung, im Falle eines Regime-Wechsels in Bagdad doch dafür zu sorgen, die allzu strengen irakischen Ausfuhrbestimmungen für Kulturgüter zu lockern. Die sich "American Council for Cultural Policy" (ACCP) nennende Vereinigung fiel bisher vor allem dadurch auf, dass sie sich für den in New York rechtmäßig wegen Hehlerei verurteilten Kunsthändler Frederick Schultz einsetzt. Dieser hatte einen in Ägypten gestohlenen Pharaonenkopf für 1,2 Millionen Dollar verkauft und musste dafür fast drei Jahre ins Gefängnis.
Erste Hilfe
Viele Stücke des irakischen Nationalmuseums wurden von internationalen Grabungsteams im Irak gefunden. Somit wurden sie vor der rechtmäßigen Abgabe an die irakische Altertümer-Verwaltung genau dokumentiert. Professor Riccardo Eichmann vom Deutschen Archäologischen Institut sagte gegenüber DW-WORLD: "Wir können alle unsere Funde identifizieren." Mit einer eigenen Außenstelle in Bagdad und den langjährigen Grabungen in Uruk trug dieses Institut immer wieder zur Bereicherung des Nationalmuseums bei.
Das British Museum in London will umgehend einen Experten nach Bagdad entsenden, um bei der Dokumentation der Schäden und Verluste zu helfen. Am Hauptsitz der UNESCO in Paris wird diesen Donnerstag (17.04.03) zusammen mit dem internationalen Denkmalrat ICOMOS über Hilfsmaßnahmen beraten. Auch deutsche Spezialisten wollen - sobald es die Sicherheitslage erlaubt - nach Bagdad reisen und die dortigen Archäologen unterstützen.