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Ab in den Osten

26. Oktober 2009

20 Jahre nach der Wende ist die Republik noch immer geteilt. Nur wenige Westabiturienten wagen den Sprung an eine Uni im Osten. Leipzig lockt deshalb mit einem besonderen Angebot: Eine WG für Wessis – und zwar kostenlos.

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Ankunft in Leipzig (stilecht im Trabant) - Foto: Universität Leipzig
Stilecht im Trabant kamen die Abenteurer in Leipzig an.Bild: Universität Leipzig

Türen auf, Türen zu. Professionell wie eine Maklerin führt Patricia Schumacher durch die Wohnung in der Leipziger Stammstraße. 68 Quadratmeter, sanierter Altbau, drei Zimmer. "Hier ist das Badezimmer - ein bisschen klein, aber für uns drei reicht es", sagt die Studentin. Vom Bad geht es weiter in die Küche, den sozialen Mittelpunkt. "Hier treffen wir uns vor oder auch nach der Uni", erzählt Patricia Schumacher, "und Tim kocht ab und zu – wenn auch nur Kartoffeln, aber immerhin."

Bewerbung am Laptop

Tim Vollmer aus Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz), Patricia Schumacher aus Bad Camberg (Hessen) und Nina Heinrich aus Kriftel (ebenfalls Hessen) - Foto: Universität Leipzig
Happy in Leipzig: Tim, Patricia und Nina aus WestdeutschlandBild: Universität Leipzig

Tim Vollmer nimmt die Stichelei gelassen hin. Er sitzt am Küchentisch und rührt in einem frisch gebrühten Tee. Der Mathematikstudent aus Ludwigshafen ist der einzige männliche Bewohner in der sogenannten "Abenteuer-WG" in Leipzig. Dass er überhaupt hier ist, überrascht ihn selbst: "Ich habe meine Bewerbung ganz bequem im Urlaub geschrieben, am Pool mit dem Laptop", erinnert sich der 20-jährige Student. "Ich habe einfach erzählt, wie ich bin: nett, pflegeleicht und zukünftiger Leipzig-Fan".

Diese Kombination überzeugte die Leipziger. Gemeinsam mit Patricia Schumacher und Nina Heinrich hatte Tim Vollmer einen Platz in der Wohngemeinschaft sicher. Stilecht im Trabant wurde das Trio an den Heimatorten in Hessen bzw. Rheinland-Pfalz abgeholt – und ab ging es gen Osten.

Trip ins Ungewisse

Luftballons hängen zur Begrüßung in der WG-Küche - Foto: Universität Leipzig
Von der Küchenzeile bis zum Sessel ist die WG-Einrichtung gesponsert. Die Miete ebenso.Bild: Universität Leipzig

Die Wohngemeinschaft in Leipzig ist ein kleiner Traum für alle Studenten: Miete und Möbel sind gesponsert, nur für die Nebenkosten müssen die drei aufkommen. Die Bezeichnung "Abenteuer-WG" trifft es daher nicht ganz – vom Club-Ledersessel bis zur eleganten Küchenzeile sind alle Zimmer komplett ausgestattet. Und doch ist "Abenteuer" richtig: Für viele Westdeutsche ist eine Reise in den Osten noch immer eine Reise ins Ungewisse. Die Unis zwischen Rostock und Freiberg trifft das doppelt schwer, denn die Studenten werden ohnehin knapp.

"Es gibt durchaus einen Rückgang an Studenten in den neuen Bundesländern", sagt Nancy Beyer, die das Projekt "Abenteuer-WG" für die Uni Leipzig koordiniert. Eine Ursache für den Schwund ist der Geburtenknick nach der Wende. Doch es gibt auch ein Imageproblem. "Viele im Westen empfinden den Osten noch immer als grau, trist und trostlos", so Nancy Beyer, "und nur fünf Prozent der westdeutschen Studieninteressenten können sich vorstellen, an einer ostdeutschen Universität zu studieren."

Vorurteile überwinden

Tim Vollmer macht sich lang im neuen Bett - Foto: Universität Leipzig
Endlich da! Tim macht sich lang im neuen Bett. Er hat das kleinste Zimmer – Lospech.Bild: Universität Leipzig

Doch wenn der Schritt in den Osten erst einmal getan ist, verschwinden auch die Vorurteile. "Ich hatte Bedenken, bevor ich das erst Mal hier war", erinnert sich Nina Heinrich, die von Kriftel bei Frankfurt/Main in die WG eingezogen ist. "Als ich dann hier war und Leipzig und die ganze Region kennen gelernt habe, musste ich meine Meinung schnell ändern", gibt die 19-jährige Studentin zu. Nina Heinrich wirbt inzwischen auch bei Freunden und Bekannten für den Osten und fühlt sich pudelwohl in der Messestadt.

Ob eine WG allerdings reicht, die Meinung über den Osten im Westen gerade zu rücken, bleibt abzuwarten. Doch es gibt positive Signale, dass die Zahl der Einschreibungen aus dem Westen ansteigt. Für Nina, Patricia und Tim hat sich der Weg in den Osten auch so gelohnt. Die Universitätsleitung überlegt bereits, den Mietvertrag für die drei von einem Semester auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Ganz ohne Hintergedanken ist diese Überlegung nicht. Schließlich war an die nahezu kostenlose Unterkunft eine Bedingung geknüpft: In einem Blog im Internet berichten die drei Bewohner über ihre Studien- und WG-Erfahrungen. Eine zusätzliche Werbung für den Osten.

Autor: Sven Näbrich
Redaktion: Sabine Damaschke