Abkommen ohne Unterschrift
1. September 2014"Ohne Sicherheitsabkommen keine Truppen. Ohne Truppen kein Geld." Diese Warnung sprechen die USA bereits seit Monaten gegenüber der afghanischen Regierung aus. Immer wieder forderte Washington Afghanistans scheidenden Präsidenten Hamid Karsai auf, das längst ausgehandelte bilaterale Sicherheitsabkommen endlich zu unterschreiben, sonst müsse man alle Truppen abziehen. Karsai wies die Verantwortung von sich und gab sie an den nächsten Präsidenten weiter. Der ist aber noch immer nicht offiziell gewählt. Seit Monaten befindet sich das Land in einer Pattsituation, ist der Konflikt zwischen den beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah nicht gelöst. Dabei läuft die Frist für die Unterzeichnung des Abkommens am 4. September ab. Doch noch immer ist unklar, ob Afghanistan diese Frist auch einhalten kann.
Derweil sind die Afghanen zwiegespalten. Einerseits pochen sie auf die Souveränität ihres Landes, andererseits wissen sie, dass sie von der Unterstützung der amerikanischen Sicherheitskräfte abhängig sind und befürchten eine Rückkehr der Taliban. "Das Abkommen sorgt dafür, dass die afghanische Armee finanziell unterstützt wird", sagt der Afghane Murtaza, der in Kabul Taxi fährt. "Niemand kämpft aus reinem Patriotismus für Afghanistan, aber ohne das Geld der USA können die Löhne der Sicherheitskräfte nicht mehr gezahlt werden", erklärt er.
Kritik am Abkommen
Das Sicherheitsabkommen soll die Grundlage für den internationalen Militäreinsatz nach dem Abzug der Kampftruppen Ende 2014 bilden. Es sieht für die folgenden zehn Jahre die Stationierung von bis zu 15.000 ausländischen Soldaten in Afghanistan vor. Sie sollen als Unterstützer und Ausbilder arbeiten. Mitarbeiter privater Sicherheitsfirmen und der Geheimdienste werden dabei nicht mitgezählt: Angehörige und Vertragspartner der US-Armee dürfen ohne Visum ein- und ausreisen. Zudem besagt das Abkommen, dass sich US-Truppenangehörige allenfalls in den USA vor Gericht verantworten müssen, nicht aber in Afghanistan. Demnach behalten die Vereinigten Staaten das "exklusive Recht zur Jurisdiktion" über ihre Soldaten im Auslandseinsatz. Diese Immunität ist besonders umstritten und trifft bei vielen Afghanen auf Unverständnis.
Angst vor einem zweitem Irak
Im Irak hatte genau diese Immunitätsfrage ein ähnliches Abkommen vor Jahren zum Scheitern gebracht, woraufhin Washington alle US-Truppen abzog und das Land weitgehend sich selbst überließ. Ein ähnliches Szenario sei auch in Afghanistan denkbar, sagt Adrienne Woltersdorf, Leiterin der Friedrich Ebert-Stiftung in Kabul. "Im Irak ist die Regierung nach dem Abbruch der Unterstützung durch die USA immer schwächer geworden, und gleichzeitig fehlte den Amerikanern ein wichtiges Druckmittel auf die Regierung Maliki". Daraus sei ein Machtvakuum entstanden, welches Gruppen wie IS auszunutzen wussten.
Auch der afghanische Staat und die Regierung seien noch zu schwach, um den Staat vor dem Auseinanderbrechen zu bewahren, so Woltersdorf. "Wir haben gerade bei der Präsidentschaftswahl gesehen, wie leicht sich die Probleme in Afghanistan ethnisch aufladen lassen". Während Ashraf Ghani als Vertreter der Paschtunen wahrgenommen wird, vereinte Abdullah Abdullah vor allem die Stimmen der im Norden lebenden Tadschiken auf sich. Ohne Unterstützung von außen könne auch in Afghanistan ein Machtvakuum entstehen, in dem die Sicherheitskräfte des Landes entlang ethnischer Linien zerfallen könnten. Deshalb sei auch das Sicherheitsabkommen so wichtig, weil es die Macht der Zentralregierung stabilisiere, so Woltersdorf.
Schwere Vorwürfe gegen die USA
Noch kurz vor den Wahlen hatte die Internationale Gemeinschaft geglaubt, dass nach wenigen Wochen ein Präsident feststehen würde, der das Abkommen beim NATO-Gipfel am 4. und 5. September im walisischen Newport unterschreiben würde. Bis heute sieht es jedoch nicht danach aus, obwohl sowohl Ashraf Ghani als auch Abdullah Abdullah schon frühzeitig ihre Bereitschaft hierzu signalisiert hatten. Doch solange niemand als Nachfolger Karsais feststeht, gibt es auch keine Unterschrift.
Es sei "einer der gravierendsten Fehler der Internationalen Gemeinschaft", so der Direktor des Kabuler Zentrums für Strategische Studien, Walilullah Rahmani, dass sie nicht mehr auf die Einhaltung eines demokratischen Wahlprozesses bestünde. "Es geht nur noch darum, eine erfolgreiche Ausstiegsstrategie durchzuführen", so der Analyst. "Die Internationale Gemeinschaft möchte einen Präsidenten sehen, auch wenn dieser Präsident mithilfe von manipulierten Wahlen ins Amt kommt". Wichtig sei lediglich, dass der NATO-Folgeeinsatz ab 2015 nicht gefährdet werde.
Keine Unterschrift?
Die letzte Frist zur Unterzeichnung muss nach Ansicht von Adrienne Woltersdorf nicht zwingend die NATO-Konferenz sein, als Druckmittel biete sie sich jedoch an. Angesichts der sich gravierend verschlechterten Sicherheitslage in Afghanistan sei dieser Druck auch dringend notwendig. In den letzten Wochen nahmen die Kämpfe zwischen aufständischen Gruppen und der afghanischen Armee wieder zu.
Dass die afghanischen Sicherheitskräfte auch ohne Abkommen langfristig für Stabilität sorgen können, glauben nur noch wenige. Sollte in den nächsten Tagen kein Präsident vereidigt werden, wird der afghanische Verteidigungsminister nach Wales fahren. Ob dieser dann die Berechtigung zu einer Unterschrift besitzen wird, ist unwahrscheinlich.