Abschieben, aber wohin?
18. Februar 2016Auch im Bundesinnenministerium ist dies bekannt. Innenminister Thomas de Maizière will sich deshalb mit der geplanten Verschärfung des Ausweisungsrechtes nicht zufrieden geben. Der Innenminister fährt vom 28. Februar bis 1. März nach Nordafrika, um mit den Regierungen in Marokko, Tunesien und Algerien persönlich über die Rückführung von ausgewiesenen Staatsbürgern zu verhandeln.
Denn wie auch immer in Deutschland künftig die gesetzliche Abschiebung straffälliger Asylbewerber aussieht, in der Realität bleibt sie weiterhin kompliziert. "Das Völkerrecht sieht zwar vor, dass jeder Staat seine Staatsbürger zurücknehmen muss," erläutert Ministeriumssprecher Tobias Plate. Doch solange Ausweise oder Ersatzpapiere fehlten, bräuchte kein Land die vermeintlichen Staatsbürger aufzunehmen.
Unverbindliches Völkerrecht
Die Probleme beginnen in der Praxis, denn bei der Beschaffung der Ersatzpapiere gibt es mehrere völkerrechtliche Schlupflöcher: "Es gibt keine Frist für Botschaften, innerhalb derer sie solche Dokumente für ihre vermeintlichen Staatsbürger ausstellen müssen", erklärt der Ministeriumssprecher. "Da kann schon mal ein Jahr verstreichen, bevor man eine Antwort erhält." Auch Sanktionen seien nicht vorgesehen.
Für die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke ist deshalb der Streit in Deutschland über eine schnellere Ausweisung von straffällig gewordenen Ausländern eine Phantomdebatte. "Wir brauchen keine Gesetzesverschärfung", stellt die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion klar. Die geplante Gesetzesreform sei eine Instrumentalisierung der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht.
Nach der jetzigen Rechtslage können ausländische Straftäter abgeschoben werden, wenn sie vom Gericht eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und mehr auferlegt bekommen. "Drei Jahre Freiheitsstrafe ohne Bewährung ist eine sehr hohe Hürde, da muss man schon extrem schwere Straftaten begangen haben", meint der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet. "Wer Straftaten (Nötigung/Vergewaltigung/Diebstahl) wie am Kölner Hauptbahnhof begeht, soll abgeschoben werden können."
Das sieht die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion dezidiert anders. "Sexualisierte Gewalt ist schlimm, sie muss vor allem hier strafrechtlich verfolgt werden", sagte sie der DW. "Ich möchte auch nicht, dass jemand abgeschoben wird und es dann den Frauen in Marokko oder Algerien antut."
Jelpke hat auch noch ein anderes Argument für ihre Kritik an der Gesetzesreform, über die am Freitag (19.2.) im Bundestag debattiert wird. Sie bezweifelt, ob der geplante Entwurf überhaupt mit den Vorgaben des EU-Rechtes und der Genfer Flüchtlingskonvention übereinstimmt.
Welche Straftat rechtfertigt eine Abschiebung?
Ihre Kritik stützt sich auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das die Linksfraktion in Auftrag gab. Ergebnis: Die Gutachter halten es für problematisch, bestimmte Straftaten, zum Beispiel "Eigentumsdelikte" oder "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" als "besonders schwer" einzustufen und damit als Grund für eine mögliche Abschiebung zu definieren.
Die jüngste Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) belegt, dass Eigentumsdelikte oder "Schwarzfahren" (Benutzung von Bahnen ohne gültiges Ticket) mit 65 Prozent den größten Anteil der erfassten Straftaten bei Asylbewerbern ausmachen. Körperverletzungen und Raubdelikte summieren sich auf 18 Prozent, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung lagen unter einem Prozent.
"Die Entwicklung der durch Zuwanderer begangenen Straftaten weicht weiterhin deutlich von der Entwicklung der Zuwanderungszahlen ab", heißt es in der Übersicht des BKA. "Die weit überwiegende Mehrheit der Asylsuchenden begeht keine Straftaten."
Für Bundesinnenminister de Maizière sind deshalb verbindliche Rückführungsabkommen umso wichtiger. Denn in solchen Vereinbarungen wird unter anderem festgeschrieben, welche Ersatzpapiere anerkannt und in welchem Zeitraum sie ausgestellt werden müssen.
Druck von De Maizière
Bisher bestehen solche Rückführungsabkommen mit insgesamt 30 Ländern, darunter auch mit Marokko und Algerien. Die Abkommen scheinen nicht ausreichend zu sein, denn de Maizière will sich bei seiner Reise in die Maghreb-Staaten um eine "nicht rechtsverbindliche Absichtserklärung" bemühen.
Kurz vor ihm sondiert auch Entwicklungsminister Gerd Müller das Terrain: Der Chef des Entwicklungsministeriums (BMZ) plant, Ende Februar nach Nordafrika zu reisen. Nach Informationen aus dem Ministerium geht es bei der Reise auch darum, Programme zur Unterstützung von Rückkehrern auszuloten. Eine Maßnahme, die bereits im Kosovo erfolgreich gewesen sei.
Eine Verknüpfung von Mitteln für Entwicklungszusammenarbeit und der Aufnahme von abgeschobenen Asylbewerbern lehnt man im BMZ strikt ab. "Wir arbeiten seit dem arabischen Frühling verstärkt mit der Region zusammen", heißt es aus dem Ministerium. "Wenn wir jetzt Ausbildungs- und Arbeitsmarktprojekte streichen, müssen wir uns fragen, was wir anrichten."