Abschiebung aus Deutschland: Was soll sich ändern?
25. Oktober 2023Die Bundesregierung steht unter Druck. Migration - die steigende Zahl von Migranten und Geflüchteten bei einer geringen Zahl von Abschiebungen - bewegt viele Menschen und sorgt für Debatten in Deutschland. Und: Es ist ein Thema, mit dem Rechtspopulisten punkten können.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat in einem Interview eine härtere Asylpolitik angekündigt: "Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben", sagte er dem Magazin Spiegel. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will nun Tempo machen bei Abschiebungen. Ihren Gesetzentwurf hat das Bundeskabinett gebilligt.
Deutschland hat mehr als eine Millionen Menschen ohne Asylanträge aus der Ukraine aufgenommen, die vor dem Krieg Russlands gegen ihr Land Schutz suchen. Sie mussten untergebracht werden, ihre Kinder brauchten Plätze in Kitas und Schulen. Im vergangenen Jahr beantragten darüber hinaus rund 244.000 Menschen Asyl; in diesem Jahr könnten es 300.000 werden, schätzen Experten.
Auch diejenigen, die keine Berechtigung haben, länger im Land zu bleiben, können oft nicht zurückgeführt werden. Nach Angaben der Bundesinnenministeriums waren es bis Ende September 12.000 Menschen, die in ihre Herkunftsländer zurückgebracht wurden. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) will Abschiebungen nun beschleunigen. "Wer in Deutschland kein Bleiberecht hat, muss unser Land wieder verlassen", sagt auch sie.
Wer kann abgeschoben werden?
Im Interview mit der DW spricht der Migrationsexperte Gerald Knaus von einer "Abschiebeoffensive, die schon der Koalitionsvertrag der Regierungsparteien vorgesehen hat - mit einem Fokus auf Straftäter und Gefährder."
Innenministerin Faeser ist das besonders wichtig. Nach dem Kabinettsbeschluss sagte sie: "Das gilt insbesondere für die organisierte Kriminalität, die wir noch entschiedener bekämpfen." Die Ausweisung von Schleusern und von Mitgliedern krimineller Vereinigungen soll deutlich erleichtert werden, "unabhängig von einer individuellen strafgerichtlichen Verurteilung bei hinreichenden Tatsachen, die eine Mitgliedschaft in der kriminellen Vereinigung belegen".
Die Pläne der Innenministerin, sagt Knaus, beträfen darüber hinaus Menschen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, oder die gar keinen gestellt hätten. Bis Ende September lebten nach Angaben des Innenministeriums rund 255.000 ausreisepflichtige Menschen in Deutschland, teilte das Bundesinnenministerium der DW mit. Rund 205.000 von ihnen hätten aber eine Duldung; sie können aus rechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden. Das gilt zum Beispiel, weil die Länder, aus denen sie kommen, nicht sicher sind, bei Krankheit, einer begonnenen Berufsausbildung, fehlenden Dokumenten. Abschiebungen sind auch nicht möglich, wenn Herkunftsländer die Aufnahme verweigern.
Dass die deutschen Behörden viele der geduldeten Menschen abschieben, bezweifelt Migrationsforscher Knaus: "Die Vorstellung, dass man die, die zum Teil schon jahrelang hier sind durch Abschiebungen aus Deutschland in andere Länder bringen kann, ist illusorisch."
Was soll sich bei der Abschiebung ändern?
Der Gesetzentwurf von Innenministerin Faeser sieht mehr Befugnisse für Behörden und die Polizei vor, die die Abschiebungen durchsetzen muss. Abschiebungen sollen künftig nicht mehr angekündigt werden. Vorgesehen ist außerdem, dass Polizisten auch andere Räume als die der Abzuschiebenden betreten dürfen. Immer wieder sei es vorgekommen, dass sich Menschen in Gemeinschaftsunterkünften versteckten, heißt es von Behördenseite.
Ausreisepflichtige Ausländer können vor der Abschiebung außerdem länger festgesetzt werden. Im sogenannten "Ausreisegewahrsam" könnten sie, so sieht es der Gesetzentwurf vor, bis zu 28 Tage festgehalten werden. Bislang waren es zehn Tage. Kann eine Person keinen Pass vorzeigen, sollen die zuständigen Behörden auch das Privathandy oder Schließfächer durchsuchen können, um die Identität feststellen zu können.
Wie reagieren Menschenrechtsorganisationen und die Opposition?
Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl lehnen die Pläne ab. Sie sagen, in der Abschiebehaft komme es immer wieder zu Verletzungen oder Suiziden. Die Kinderschutzorganisation Terre des Hommes befürchtet: "Kindern und Jugendlichen droht durch die geplante Gesetzverschärfung ein Leben in permanenter Angst vor Abschiebungen."
Auch in Teilen der Koalitionsregierung aus SPD, Grünen und FDP wird Kritik laut. Einigen Grünen- und SPD-Politikern geht der Kabinettsbeschluss zu weit, er sei in Teilen inhuman. Der konservativen Union aus CDU und CSU dagegen geht der Beschluss nicht weit genug. Sie fordert härtere und mehr Maßnahmen gegen irreguläre Migration. Die Vorlage der Regierung geht nun in die parlamentarische Abstimmung, wo mit weiteren Änderungen zu rechnen ist.
Bemühen um Migrationsabkommen mit Herkunftsländern
Migrationsforscher Gerald Knaus hält die geplanten Maßnahmen grundsätzlich für sinnvoll. "Aber viel wichtiger sind Migrationsabkommen - also Kooperationen mit Staaten, die ihre ausreisepflichtigen Staatsbürger auch zurücknehmen." Angesichts steigender Zuwanderung hat Bundeskanzler Scholz Abkommen mit den Heimatländern zur Rücknahme von Migranten angekündigt: "Wir werden mit Ländern, aus denen Flüchtlinge kommen, die nicht bleiben können, Verträge schließen", sagte Scholz. Derzeit werde mit Marokko, Moldau, Kirgisien, Kenia und Kolumbien verhandelt, sagte Innenministerin Faeser.
Migrationsforscher Gerald Knaus nennt Negativbeispiele: Aus Nigeria und Sambia zum Beispiel habe Deutschland schon vor Jahren sehr viele Menschen aufgenommen. Die meisten hätten kein Asyl erhalten. "Doch ihre Herkunftsländer nehmen sie nicht zurück." Auch im Irak sei das so.
Insoweit seien die geplanten, verschärften Regeln bei der Abschiebung nur ein erster Schritt und kaum eine Abschreckung, sagt Knaus. "Ist es das Ziel, irreguläre Migration nach Deutschland zu reduzieren? Dann kann man aus vielen Gründen zweifeln, dass das so gelingt."