Abschied vom Wachstum
21. April 2013"Die Situation ist in diesem Jahr ein ganzes Stück entspannter als im vergangenen Jahr", sagte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble zum Ende der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington.
In der Tat sind die Sorgen über ein Auseinanderbrechen der Eurozone geringer geworden. Doch die Konjunktur in Europa bleibt schwach, und das macht viele nervös. Der IWF erwartet für dieses Jahr ein leichtes Schrumpfen der Wirtschaft in der Eurozone, im Jahr darauf dann ein leichtes Plus von 1,1 Prozent.
Viel mehr wird man von Europa in den kommenden Jahren nicht erwarten dürfen, sagte Schäuble. "Europa wird nachhaltig dauerhafte Wachstumsraten eher in der Größenordnung von einem bis 1,5 Prozent liefern können."
Schäuble sagte, Stabilität sei für die Europäer vorerst wichtiger als Wachstum. "Wer auf höhere Wachstumsraten in Europa vertraut, der läuft Gefahr, die Lösung seiner eigenen Probleme etwas zu vernachlässigen."
Widerspruch aus Nigeria und USA
"Bei allem Respekt vor den Worten des Ministers", so die Finanzministerin Nigerias, Ngozi Okonjo-Iweala, gegenüber der Deutschen Welle, "die Länder der Erde sind stark voneinander abhängig. Was in einem Teil der Welt passiert, beeinflusst die Entwicklung in einem anderen Teil. Die Weltgemeinschaft sollte deshalb versuchen, gemeinsam das Wachstum zu fördern."
"Mehr Nachfrage in Europa ist entscheidend für das Wachstum der Weltwirtschaft", sagte auch der neue US-Finanzminister Jacob Lew vor dem Lenkungsausschuss des IWF. Ein stark wachsendes Europa, so Lews Argument, könne mehr Produkte und Dienstleistungen aus anderen Teilen der Welt nachfragen und so zum weltweiten Wachstum beitragen.
Ngozi Okonjo-Iweala sagte allerdings, Nigeria und andere afrikanische Länder würden sich nicht auf die Nachfrage aus den Industrieländern verlassen. Vielmehr wollten sie die Chancen des afrikanischen Marktes mit seinen mehr als 800 Millionen Menschen und einer wachsenden Mittelklasse nutzen. "Wenn wir die Schranken abbauen, die den Handel innerhalb Afrikas hemmen, dann steigern wir unsere eigene Nachfrage und machen uns weniger abhängig von außen."
Zu viel Geld
Die Abhängigkeit von internationalen Kapitalströmen könnte dagegen zu einem wachsenden Problem werden. Die Zinsen in Japan, den USA und Europa liegen bei fast null Prozent, gleichzeitig spülen die großen Zentralbanken durch Anleihen-Kaufprogramme tausende von Milliarden auf die Märkte - in der Hoffnung, damit die Wirtschaft anzukurbeln. In der Folge sind riesige Kapitalströme auf der Suche nach Rendite - auch in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern.
"Die Risiken der ultra-expansiven Geldpolitik, auf die die Bundesbank ja schon seit einiger Zeit hinweist, rücken bei den Diskussionen hier im IWF immer mehr in der Vordergrund", sagte Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank. "Diese Risiken nehmen zu, je länger diese Phase andauert."
Als Risiken nannte Weidmann Wechselkursverzerrungen, Spekulationsblasen und übermäßige Verschuldung. Zudem wären Entwicklungs- und Schwellenländer besonders verwundbar, wenn die Geldströme, etwa wegen steigender Zinsen, plötzlich ausblieben.
Erstmals sprachen die G20-Finanzminister daher über die Erstellung von Indikatoren (Global Liquidity Indicators), um diese Finanzströme besser überwachen zu können. "Wir stehen da erst am Anfang", sagte Schäuble, "aber die aktuelle Entwicklung zeigt ja, wie dringend das notwendig ist."
Offiziell kein Streit
Mehrfach betonte der deutsche Finanzminister, dass er keinen Streit sehe über die Geschwindigkeit des Reformtempos. "Wir waren uns alle einig, dass die Reduzierung der finanziellen Defizite notwendig ist und fortgesetzt werden muss."
IWF-Chefin Christine Lagarde hatte während der Frühjahrstagung gesagt, Spanien brauche mehr Zeit für seine Reformen, und in der Abschlusserklärung ist von einer Balance zwischen Konjunkturförderung und Reformkurs die Rede.
Natürlich müssten Reformen ausgewogen sein und dürften der Wirtschaft nicht die Luft nehmen, das stehe schon im europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt, so Schäuble. "Aber Balance und Ausgewogenheit heißt nicht, dass man es (die Reformen - d. Red.) nicht macht."
IWF-Reform ohne Fortschritt
Bei der Reform des IWF selbst gab es in Washington dagegen keine Fortschritte. Schon 2010 war eine Änderung der Kapitalbeteiligungen und der Stimmrechte der Mitgliedsländer beschlossen werden. Dadurch sollten Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien im Währungsfonds mehr Einfluss erhalten. Allerdings verweigert der zerstrittene US-Kongress der Reform noch immer die Zustimmung.
Die nächste Überprüfung der Stimmrechte, die eigentlich bis Januar 2014 abgeschlossen sein sollte, werde sich ebenfalls verzögern, "weil sich die überrepräsentierten Europäer dem Wandel widersetzen", kritisierte der brasilianische Finanzminister Guido Mantega.
"Mit anderen Worten: Amerika ist nicht fähig und Europa nicht willig, beschlossene Reformen umzusetzen." Die größten Anteilseigner des Währungsfonds setzten so die Glaubwürdigkeit und die Legitimität des IWF aufs Spiel, so Mantega.