Haltern in Trauer - und Wut
26. März 2015Zwei Tage nach dem Absturz des Germanwings-Flugs 4U9525 gehen auf dem Platz vor dem Joseph-König-Gymnasium nur noch zwei Kamerateams ihrer Arbeit nach. Vereinzelt trifft man auch woanders in der Stadt noch Vertreter lokaler Medien. Doch die internationalen Journalistenscharen, die die Kleinstadt einen Tag zuvor bevölkert hatten, sind abgereist.
Der Alptraum aber, den viele Halterner durchleben, der bleibt. 18 Angehörige, Freunde, Kollegen, Mitbürger sind bei dem Unglück in den französischen Alpen ums Leben gekommen. Und mit der Nachricht von der Ursache hat der Schmerz eine neue Dimension erreicht: "Es ist noch viel, viel schlimmer, als wir gedacht haben", hatte Schulleiter Ulrich Wessel seinen Kollegen am Mittag gesagt, bevor er ihnen die Nachricht von dem mutmaßlichen Selbstmord des Co-Piloten mitteilte.
Zu der Fassungslosigkeit und der Verzweiflung, sagt Wessel, habe sich nun die Wut gesellt: "Wir wissen nicht, was den jungen Mann getrieben hat, ob er psychisch krank war, das alles ist Spekulation." Was ihn umtreibt, ist aber eher die Frage, wie die Eltern nun auch noch damit umgehen sollen. Eine Antwort hat er nicht, hat wohl niemand.
Ungebrochene Anteilnahme
Das einzige, was derzeit hilft, ist die Anteilnahme der andern. Obwohl zeitweise ein eisiger Wind Regen über den Schulhof peitscht, kommen auch am zweiten Abend nach der Tragödie ohne Unterlass Menschen zur Gedenkstätte am Joseph-König-Gymnasium, um Blumen niederzulegen, Kerzen anzuzünden oder einfach nur vor dem Lichtermeer an der Schule zu schweigen.
Andere finden den Weg in die Kirche St. Sixtus, die seit Jahrhunderten das Zentrum der kleinen Stadt ist und auch in diesen schweren Stunden einen Halt bietet. Auch dort stehen Kerzen zum Gedenken an die Verstorbenen. Vor dem Altarraum liegt ein Kondolenzbuch auf einem kleinen Pult. Seitenweise haben sich dort Menschen eingetragen. Die knappen Worte zeugen von Anteilnahme, Hilf- und Ratlosigkeit - auch bei Menschen, die offenbar keinen direkten Verlust erlitten haben.
Teilnahmslosigkeit aber, glaubt Stefano Girardi, gibt es in Haltern nicht: "Wir sind doch irgendwie alle betroffen". Girardi arbeitet in einer Eisbar gegenüber der Sixtus-Kirche. Geboren wurde er in Kolumbien, aufgewachsen ist er in einem kleinen Ort im italienischen Veneto. In Haltern lebt er erst seit einem knappen Jahr, aber viele Menschen, vor allem Stammkunden kennt er natürlich schon. Und er sehe ihnen an, dass sie traurig sind. Die neuesten Erkenntnisse, sagt Girardi, seien natürlich unfassbar - aber vielleicht weniger niederschmetternd, als andere meinen: "Immerhin wissen die Angehörigen nun, was geschehen ist, vielleicht können sie dadurch ein wenig Frieden finden. Ich hoffe es."
Unmut gegen die Presse
Das sieht der Verkäufer eines Feinkost- und Tabakgeschäftes nebenan ähnlich: "Ich weiß nicht, ob solch ein Verlust noch schlimmer werden kann." Seinen Namen möchte er nicht nennen, dazu ist er der Presse gegenüber zu misstrauisch. Großen Anteil an diesem Misstrauen haben die vergangenen Tage: "Ich will nichts pauschalisieren, ich habe sehr gute Berichte über die Trauer in Haltern gesehen", sagt er und fügt mit unverhohlener Wut hinzu: "Aber es ist schon unfassbar, wenn Polizisten dafür sorgen müssen, dass weinende Teenager kein Mikrofon im Gesicht haben!"
Auch Susanne Tonder, die in einer Bäckerei am Halterner Bahnhof in Sichtweite des Joseph-König-Gymnasiums arbeitet, hat einen gemischten Eindruck von den Journalisten: "Manche sollen Kindern Geld für Videos von der Trauerfeier geboten haben", berichtet sie kopfschüttelnd.
Ramona Hörst ist Pressesprecherin des zuständigen Polizeipräsidiums, sie bestätigt das: "Eine Mutter hat uns von diesem Vorfall unterrichtet." Allerdings seien solche Methoden Einzelfälle gewesen. Daher bilanziert die Einsatzleitung das Verhalten der Pressevertreter alles in allem positiv: "Zum Großteil wurden Schutz- und Ruhezonen respektiert, und wenn, dann wurden Interviews doch sehr zurückhaltend geführt."
Es muss weiter gehen
Im Joseph-König-Gymnasium soll morgen noch einmal ein "regulärer" Schultag stattfinden. Von einem "normalen Unterricht" spricht noch niemand. Es wird der letzte vor den Osterferien sein. Auch kein glücklicher Umstand. "Wir können die Trauernden nur begleiten", sagt Michael Berens vom Landesteam Schulpsychologische Krisenintervention. Den größten Halt gäben sich die Trauernden aber gegenseitig - im Familienverband, aber auch in der Schulgemeinschaft.
Deshalb soll es auch während der schulfreien Zeit Anlaufstellen für Trauernde geben - möglicherweise sogar in der Schule selbst. Entsprechende Bitten seien bereits im Kollegium geäußert worden. Der Platz vor dem Haupteingang, auf dem all die Kerzen stehen, ist ohnehin öffentlich zugänglich. Er wird sicher noch lange ein Ort der Begegnung, der Anteilnahme, der Trauer bleiben.