Abtreibungen in Afghanistan
26. März 2014"Ich habe Medikamente geschluckt um das Baby abzutreiben", sagt Lina leise. Sie bereut ihre Entscheidung nicht, denn sie ist sicher, dass sie keine andere Wahl hatte. "Mein Mann, dem die Beteiligung an einem Anschlag vorgeworfen wurde, kam ins Gefängnis. Ich war aber vorher schwanger geworden", erzählt die Anfang 20-Jährige. "Meine Familie hat sich sehr geschämt. 'Jetzt werden alle fragen woher dann das Kind kommt', haben sie gesagt".
Lina, die eigentlich anders heißt, lebt in einem kleinen Ort in Ost-Afghanistan. Hier, in der erzkonservativen Gesellschaft, gelten strenge Regeln. Eine Unehrenhaftigkeit - selbst wenn sie, wie in Linas Fall, nur auf einem Gerücht basiert - gilt als Gesichtsverlust und ist damit ein Todesstoß für die ganze Familie. Die Leidtragenden sind meistens Frauen. Nicht wenige lösen den Konflikt durch Abtreibung: "Ich habe viele Bekannte, die das auch so machen", sagt Lina. "Man geht einfach zum Arzt und holt sich danach die erforderlichen Tabletten aus der Apotheke. Nach einer Weile ist das Kind dann tot".
Abtreibung ist gesetzlich verboten
Dabei ist ein "induzierter Schwangerschaftsabbruch" in der Islamischen Republik Afghanistan offiziell verboten. Es ist nur dann eine Ausnahme gegeben, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist oder das Kind eine starke Behinderung aufweist. In jedem anderen Fall ist Abtreibung illegal und wird mit Freiheitsstrafe oder einer hohen Geldstrafe geahndet. Auch Vergewaltigung oder gar Inzest werden nicht als triftige Gründe angesehen, sagt Malika Paygham, Ärztin in einem Krankenhaus in der westafghanischen Stadt Herat. "Haben Mutter oder Kind gesundheitliche Probleme, führen drei Ärzte der Inneren Medizin und ein Gynäkologe nach vorheriger Beratung die Abtreibung durch". Außerdem muss eine Bescheinigung eines Arztes für Innere Medizin sowie die Erlaubnis der "Shura Ulama", dem Religionsrat, vorliegen.
Auch Linas Abtreibung ist illegal. "Ich weiß, dass es Mord ist ein Kind abzutreiben. Aber mein Gedanke war: Entweder ich bringe mich um oder das Kind". Lina hat noch drei weitere Kinder. Die strengen Traditionen in der afghanischen Gesellschaft haben ihr das Gefühl gegeben, keine andere Wahl zu haben. Ein uneheliches Kind gilt als undenkbar. Es wird von Frauen erwartet, viele Kinder zu bekommen, weil dies in der traditionellen Vorstellung das Überleben der Familie sichert - vor allem Jungen sind erwünscht.
Fehlende Aufklärung
Afghanistan hat die höchste Geburtenrate in Asien. Durchschnittlich bekommen Frauen fünf Kinder in ihrem Leben. Viele Frauen wollen zwar keinen oder weniger Nachwuchs, ihnen fehlt aber die nötige Bildung um sich über Verhütungsmethoden zu informieren. Nach Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF verwenden 79 Prozent der Frauen in Afghanistan keine Verhütungsmittel. Abtreibung die einzige Form von Verhütung, die sie kennen", sagt Adela Mubasher von der Weltgesundheitsorganisation WHO in Afghanistan. "Weil das illegal ist, wenden sie sich vor allem an traditionelle Hebammen. "Damit gehen sie ein großes Risiko ein", warnt sie. "Die Hebammen sind oft nicht ausgebildet und können Blutungen und Komplikationen nicht behandeln.
Viele Frauen wenden sich auch an private Krankenhäuser. Es sei allgemein bekannt, dass manche dieser Kliniken gegen hohe Geldsummen Abtreibungen durchführen, auch ohne Erlaubnis, sagen Frauen, die ihren Namen nicht nennen wollen, und auch Vertreter von Nichtregierungsorganisationen. "Es kommt relativ oft vor, dass junge Frauen vor der Ehe ungewünscht schwanger werden und eine Abtreibung wollen", gibt der Arzt Mohammad Hashem Wahaj aus dem Privathospital Wahaj in Kabul zu. Doch er fügt hinzu: "Wir haben unsere Lizenz vom Gesundheitsministerium und halten uns an die Regeln". Das Gesundheitsministerium bestätigte offiziell, dass es die Kliniken über die Gesetzeslage aufkläre.
Schlechte Gesundheitsversorgung
Trotz großer Bemühungen ist ein gutes Gesundheitssystem für Frauen in Afghanistan noch nicht gewährleistet. Zwar hat sich die Müttersterblichkeit im Land in den letzten zehn Jahren verbessert, trotzdem ist die Rate immer noch eine der höchsten der Welt. UNICEF zufolge stirbt alle zwei Stunden eine afghanische Frau an den Folgen ihrer Schwangerschaft.
"Es gibt nicht viel qualifiziertes, medizinisches Fachpersonal", kritisiert Severine Caluwaerts, eine Gynäkologin die mit der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" lange Zeit in Afghanistan gearbeitet hat. "Ein männlicher Frauenarzt wird nicht akzeptiert und es gibt kaum weibliche Ärzte."
Caluwaerts und ihre Kollegen setzten deshalb auf Aufklärung: "Wir bieten den Frauen Beratung zu Gesundheitsfragen und Familienplanung an, weil wir wissen, dass ihnen und ihren Kindern damit das Leben gerettet werden kann". Auch Lina weiß es heute besser: sie fordert mehr Bewusstsein für dieses gesellschaftliche Problem und wünscht sich, "dass die Medien und die islamischen Autoritäten im Land verstärkt über Familienplanung sprechen". Gesellschaftliche Tabus sollten nicht der Grund dafür sein, dass so viele Abtreibungen in Afghanistan stattfinden, sagt sie.