Acht Tote nach Amoktat in Hamburger Kirche
10. März 2023In einem sogenannten Königreichssaal der Zeugen Jehovas sind im Norden Hamburgs acht Menschen durch Schüsse getötet worden. Es handele sich um vier Männer, zwei Frauen und einen weiblichen Fötus sowie den mutmaßlichen Täter, sagte Hamburgs Innensenator Andy Grote auf einer Pressekonferenz. Acht weitere Menschen wurden bei dem Angriff im Stadtteil Alsterdorf verletzt, einige von ihnen lebensbedrohlich.
Der 35-jährige Schütze war ein ehemaliges Mitglied der Gemeinschaft. Nach bisherigen Erkenntnissen handelte er allein. Den Ermittlern zufolge floh er beim Eintreffen der Polizei zunächst in den ersten Stock. Dort richtete er die Waffe gegen sich selbst. Einen terroristischen Hintergrund schlossen die Behörden aus.
Thomas Radszuweit, Leiter des Staatsschutzes in Hamburg, sagte, der Mann habe die Gemeinde vor anderthalb Jahren freiwillig, "aber offenbar nicht im Guten" verlassen. Sein Motiv lasse sich derzeit "noch nicht sicher feststellen". Er habe die Tatwaffe als Sportschütze legal besessen. In der Wohnung des mutmaßlichen Täters fanden Ermittler eine größere Menge Munition. Der Leiter der Staatsanwaltschaft, Ralf Peter Anders, sprach von 15 geladenen Magazinen mit jeweils 15 Patronen und Schachteln Munition mit weiteren 200 Patronen. Außerdem seien Laptops und Smartphones sichergestellt worden.
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur stammt der mutmaßliche Todesschütze aus Bayern. Der Mann wuchs demnach im Regierungsbezirk Schwaben auf und ist seit dem Jahr 2015 in Hamburg gemeldet. Dort soll er auch im vergangenen Jahr seine Waffenbesitzkarte beantragt haben.
Erster Notruf um 21.04 Uhr
Um 21.04 Uhr erhielt die Hamburger Polizei nach offiziellen Angaben den ersten Anruf, dass aus einem dreistöckigen Bürogebäude Schüsse zu hören seien. Eine Augenzeugin berichtete später von vier Schussperioden, in denen jeweils mehrere Kugeln abgefeuert worden seien. "Um 21.08 Uhr waren erste Kräfte vor Ort", sagte Grote. Nur eine Minute später, um 21.09 Uhr, sei die Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen (USE) am Tatort gewesen. Die Beamten retteten nach den Worten des Innensenators wahrscheinlich etliche Menschenleben. Die Einsatzkräfte hätten dabei ihre Waffen nicht einsetzen müssen. Laut Polizei konnten etwa 20 Personen unverletzt aus dem Gebäude gebracht werden.
Unmittelbar nach den Schüssen waren alle Fenster des Gebäudes hell erleuchtet, ein Hubschrauber kreiste in der Luft, zahlreiche Rettungswagen standen in den Straßen. Über eine amtliche Gefahrendurchsage der Behörde für Inneres in Hamburg war die Rede von einer "extremen Gefahr". Streifenwagen mit Blaulicht sperrten den Tatort am Abend weiträumig ab, die Polizei rief die Bevölkerung auf, den Gefahrenbereich zu meiden und sich innerhalb der Zone nicht ins Freie zu begeben.
Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher zeigte sich bestürzt über die Vorfälle. "Die Meldungen aus Alsterdorf/Groß Borstel sind erschütternd", schrieb Tschentscher auf Twitter. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzler Olaf Scholz sprachen den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl aus. Scholz war von 2011 bis 2018 Erster Bürgermeister der Hansestadt.
Die Zeugen Jehovas verstehen sich als christlich orientierte Religionsgemeinschaft. Die 1881 vom ehemaligen Adventisten-Prediger Charles Taze Russell in den USA gegründete Gruppierung zählt nach eigenen Angaben weltweit über acht Millionen Mitglieder, in Deutschland um die 175.000. Die deutsche Leitung sitzt in Selters im Taunus, die internationale Zentrale in New York. Kritiker werfen der Gemeinschaft vor, übermäßigen Druck auf ihre Mitglieder auszuüben und durch eine Endzeit-Ideologie Angst zu schüren.
ww/mak/djo/jj (dpa, afp, epd, kna)