Aeham Ahmad: "Musik schafft Verbindung"
31. August 2020Der unerschütterliche Glaube an die Kraft der Musik hat ihn weltberühmt gemacht: Aeham Ahmad spielte auf seinem verstimmten Klavier in den Ruinen von Damaskus und sang mit Nachbarn Lieder, um ihnen Hoffnung zu geben. Bis der sogenannte Islamische Staat sein Instrument verbrannte. Ahmad floh nach Deutschland, wo er seit 2015 lebt. Mit Konzerten in ganz Europa macht er seitdem auf die katastrophalen Folgen des Syrienkriegs aufmerksam. Seinen Deutschtest, Level B2, will er im kommenden Monat ablegen. Und wie zum Beweis mischen sich in das auf Englisch geführte Gespräch immer wieder längere deutsche Ausdrücke und Wendungen.
DW: Herr Ahmad, Sie sind jetzt seit fünf Jahren in Deutschland. Hat sich das auf Ihre Musik ausgewirkt?
Aeham Ahmad: In den letzten Jahren habe ich versucht, gemeinsam mit deutschen Musikern einen neuen Stil zu entwickeln, nennen wir das einfach mal "Modern Classic Jazz Mix". Vorgestern habe ich ein Konzert mit Cornelius Hummel gespielt, einem Cellisten aus Wiesbaden, morgen spiele ich in der Schweiz mit einem Musiker, der Sitar spielt. Und das ist es, was ich versuche: die Musik und verschiedenen Kulturen zusammenzubringen. Aber natürlich spiele ich auch bei Auftritten weiter Lieder aus Syrien, erzähle meine Geschichte und vom Krieg. Weil ich es als meine Aufgabe sehe, weiterhin davon zu erzählen, was dort alles passiert ist.
Musik kann viel, aber nicht alles
In Ihrer Autobiografie von 2017, "Und die Vögel werden singen. Ich, der Pianist aus den Trümmern", schreiben Sie: "Damals, als mein Leben so schwer war, war mein Herz voll Musik. Heute sitze ich in meiner schönen Wohnung und versuche zu komponieren, doch es geht nicht. Wo sind sie, meine Lieder?" Haben Sie Ihre Musik wiedergefunden?
Als ich 2017 diese Sätze schrieb, war ich extrem deprimiert, weil ich keine Lösung für meine Familie finden konnte. Aber es hatsich viel verändert: Meine Frau und unsere Kinder sind mittlerweile hier, mein Vater und meine Mutter auch. Das gibt mir eine andere Sicht auf die Dinge. Und weil die Musik immer aus der Situation heraus entsteht und meine Situation sich verändert hat, hat sich auch meine Musik verändert. Ich kann wieder komponieren, aber eben anders.
Musik ist bei Ihnen eng mit Ihrer Biografie verbunden. Was bedeutet Ihnen Musik persönlich?
Musik ist alles für mich. Seit ich fünf Jahre alt war, versuchte mein Vater mich täglich dazu zu zwingen, vier Stunden zu üben. Ich hatte keine Freunde, ich hatte nur das Klavier und Chopin, Mozart und Tschaikowski. Aber irgendwann habe ich verstanden, was die Musik bedeutet. Es hat mich dazu befähigt, eine Familie aufzubauen, einen Musikladen zu eröffnen und Musik zu unterrichten. Nach dem Krieg und der Flucht kann ich hier in Deutschland meine Familie finanzieren, ich konnte für meine Eltern bürgen, sodass sie nach Deutschland kommen durften - alles durch die Musik. Manchmal bringt mich die Musik von depressiven Gefühlen zu guten, manchmal andersherum, manchmal führt sie mich zu heftigen Traumata, ein anderes Mal genau dort wieder heraus. Musik ist mein Leben.
Sie haben zuvor schon ein ambivalentes Verhältnis zur Musik beschrieben, zum Beispiel heftige Schuldgefühle, weil Sie als Pianist im friedlichen Deutschland arbeiten dürfen, während Freunde noch immer unter dem syrischen Krieg leiden.
Ich fühle diese Schuld noch immer, teilweise sogar noch stärker. Freunde in Syrien sehen natürlich, dass ich hier Erfolg habe und fordern, dass ich Ihnen noch mehr helfe. Ich versuche das wirklich, aber ich muss auch meine Familie versorgen. Und ich sage Ihnen dann, dass ich auf sie aufmerksam mache, darauf, dass Syrien Geld und Unterstützung braucht. Aber ich kann nicht täglich Geld nach Syrien schicken, ich bin nur eine Person.
Die Syrer brauchen keinen Applaus, sie brauchen Essen
Meinen Sie nicht, dass Sie damit schon helfen?
Ich glaube, dass niemand wirklich etwas mit Jarmuk anfangen konnte [Flüchtlingsviertel für palästinensische Flüchtlinge in Damaskus, Anm. d. Autors], bevor ich davon erzählt habe. Ich glaube, dass es sehr wichtig war, Jarmuk überhaupt in die Köpfe der Menschen zu bringen. Aber Jarmuk ist zu einhundert Prozent zerstört, meine Freunde suchen einen anderen Ort zum Leben. Und wenn du hungrig oder durstig bist, an Krankheiten stirbst, geht es dir nur ums Überleben: "Hilf mir nicht mit Kultur, hilf mir mit Essen und Trinken." Die Leute leben seit neun Jahren in dieser anhaltenden Katastrophe. Sie wollen keinen Applaus, sie brauchen Geld, zu essen und zu trinken. Es ist wirklich hart.
Bei Ihren Auftritten erzählen Sie von Jarmuk, Ihren Freunden und der Zerstörungswut des Krieges. Welche Reaktionen bekommen Sie für Ihre Auftritte und Musik?
Die Menschen verstehen mehr von dem Krieg, die syrische Katastrophe, und warum Leute aus ihrer Heimat flüchten mussten. Gleichzeitig bekomme ich wundervolle und emotionale Reaktionen für den neuen, gemischten Musikstil. Ich freue mich darüber sehr, würde mich aber auch über richtige Kritik freuen. Wenn jeder dir nur sagt, dass alles gelungen und wunderbar sei, ist das auch nicht gut. Ich hätte gerne ein Zwischending.
Glauben Sie, dass Musik den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt?
Auf jeden Fall. In den Tagen in Jarmuk, als unsere Gesellschaft wirklich am Boden war, hat die Musik geholfen. Es hat nicht dafür gesorgt, dass plötzlich alle glücklich waren. Aber es hat die Leute dazu gebracht, sich zu treffen, miteinander zu reden. Mit Deutschland ist das natürlich nicht zu vergleichen. Aber auch hier: Spiele ich Klavier, stellt sich eine Verbindung zwischen verschiedenen Gesellschaften und Kulturen her, und man hört sich meine Geschichte an. Natürlich kann Kunst nicht die Welt verändern. Musik hindert Erdoğan nicht daran, die Kurden zu bombardieren, verhindert nicht, dass Putin Waffen produzieren lässt oder dass Deutschland seine Waffen nach Saudi-Arabien verkauft. Aber es lässt die Leute über diesen Mist und seine Folgen nachdenken. Und am Ende verstehen sie vielleicht, dass wir Frieden anstreben sollten.
Sie haben drei Kinder, zwei Söhne und eine kürzlich geborene Tochter. Ihr Vater war Instrumentenbauer, Sie waren Musiklehrer und sind Pianist. Werden Ihre Kinder auch Musiker?
Meine beiden Jungs versuchen schon, Klavier zu spielen oder zu singen. Aber wir drängen sie nicht so, wie mein Vater mich dazu gedrängt hat. Es ist nicht gut, wenn man das Üben erzwingen will. Aber Kinan, der Fünfjährige, hat ein wundervolles Gefühl für die Musik. Er setzt sich ohne Druck an das Klavier, spielt einige Stücke oder Themen, die er von mir oder den Großeltern gehört hat. Es ist berührend zu sehen, wie er ohne Zwang die Musik liebt.