Afrikas Weg zum freien Handel
30. Mai 2019Die - wenigstens auf dem Papier - größte Freihandelszone der Welt wird am 30. Mai aus der Taufe gehoben. Dieses Datum verdanken die afrikanischen Staaten der Tatsache, dass 30 Tage zuvor der 22. Mitgliedsstaat der Afrikanischen Union (AU) das Freihandelsabkommen AfCFTA ratifiziert hat. Damit waren genug AU-Mitglieder beisammen, um den Gründungsprozess in Gang zu setzen, auf den sich die AU vor 14 Monaten bei ihrem Gipfel in Kigali geeinigt hatte .
Dass dieses 22. Land ausgerechnet die kleine "Demokratische Arabische Republik Sahara" ist, darf getrost als Omen gewertet werden. Dieser Staat im Nordwesten des Kontinents hat gerade einmal eine halbe Million Einwohner und existiert erst seit 1974. Kaum jemand in Europa kennt dieses Land - und in Afrika dürfte es ähnlich sein.
Das Land zwischen Sahara und Atlantik könnte es aber durch seine Unterschrift unter die Gründungsakte der AfCFTA (African Continental Free Trade Area) letztlich zu einiger Berühmtheit bringen. Wenn nämlich, wie geplant, dieser Beginn eines freien innerafrikanischen Handels der erste Schritt zu einem gemeinsamen afrikanischen Markt werden sollte.
Gut Ding will Weile haben
Der Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, Christoph Kannengießer, beobachtet die Bemühungen der Afrikaner mit großem Interesse. Allein die Tatsache, dass fast alle Mitglieder der Afrikanischen Union ihren Willen zum freien Handel durch Unterschrift bekundet haben und inzwischen 23 Staaten die Gründungsurkunde auch ratifiziert haben, sei "auf jeden Fall ein guter Anfang".
Gerade dem afrikanischen Freihandel müsse man auch Zeit einräumen, um wachsen zu können. Kannengießer erinnert daran, dass auch "der europäische Binnenmarkt nicht über Nacht entstanden" ist. Und andere Handelsabkommen wie Nafta oder TTIP seien teilweise noch immer umstritten. "Denn", so Kannengießer, "bei solchen Freihandelsabkommen gibt es in vielen Sektoren auch immer Gewinner und Verlierer. Das löst natürlich Verteilungskonflikte aus und führt zu Versuchen, seine Interessen möglichst gut zu wahren und durchzusetzen."
Auch die Tatsache, dass der bevölkerungsreichste Staat des Erdteils, das erdölreiche Nigeria, nicht Teil der AfCFTA werden will, ist für Kannengießer nicht weiter schlimm. Zwar verfolge der Staat zunächst eigene Interessen und fühle sich derzeit allein stärker als in der Gemeinschaft, das werde aber nicht so bleiben: "Ich glaube, sie werden sich dieser afrikanischen Dynamik nicht entziehen können"
Ein Binnenhandel in den Kinderschuhen
Es gibt auf dem Kontinent bereits Freihandelszonen, in denen Zölle zum Teil bereits abgeschafft sind - etwa die 1959 gegründete Westafrikanische Zollunion. Sie war die Vorgängerorganisation der heutigen Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), der 15 Staaten Westafrikas angehören: Benin, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Kap Verde, Liberia, Mali, Nigeria, Niger, Senegal, Sierra Leone und Togo.
Ein anderes Beispiel ist die "Zollunion des südlichen Afrika" (SACU). In ihr sind die Nachbarn Südafrika, Namibia, Botswana, Swasiland und Lesotho organisiert. Schaut man sich diesen regionalen Verbund einmal auf einer Landkarte an, werden die Schwierigkeiten augenfällig, vor denen der innerafrikanische Handels steht: Wie sollen diese Staaten überhaupt in einen Warenaustausch mit den Ländern West- oder Ostafrikas eintreten?
Die Entfernungen in Afrika sind riesengroß. Das Eisenbahnnetz, wenn überhaupt vorhanden, ist marode, die Straßen sind oft in erbarmungswürdigem Zustand und chronisch überlastet, an den Grenzen sind stundenlange Staus die Regel. Für die Fahrt von Kapstadt in Südafrika nach Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, würde ein LKW auf jeden Fall mehr als zwei Wochen brauchen - die Strecke ist länger als 8200 Kilometer. Wenn er denn überhaupt ankäme.
Außerdem, so Christoph Kannengießer, spielt der innerafrikanische Handel gar keine so große wirtschaftliche Rolle. Europäische Staaten wickelten mehr als 70 Prozent ihres Handels innerhalb des eigenen Kontinentes ab, in Asien seien es immerhin noch etwas mehr als die Hälfte - in Afrika aber gerade einmal 16 Prozent: "Da gibt es sicherlich noch viel Nachholbedarf."
"Das richtige Signal"
Gerade in der aktuellen politischen Großwetterlage aber setzten die Afrikaner mit der Gründung der AfCFTA das "das richtige Signal zur richtigen Zeit". Denn, so Christoph Kannengießer, "freier Handel und offene Märkte sind auch im 21. Jahrhundert eine Grundbedingung für Wohlstand".
Während der amerikanische Präsident multilaterale Handelsabkommen verachtet, sie torpediert, wo er nur kann und jedes andere Land der Welt lieber in einem besonderen Abkommen amerikanischen Interessen zu unterwerfen sucht, sei das multilaterale afrikanische Abkommen "ein sehr positives Signal in die richtige Richtung".
Vorteile auch für Europa
Die Europäische Union ist offenbar das große Vorbild der afrikanischen Initiative. Auch wenn der Weg zu einem gemeinsamen Markt noch sehr lang sein mag, ist für Christoph Kannengießer klar: "Es ist definitiv im Interesse Europas, dass die Afrikaner aus der Fragmentierung ihrer Märkte herauskommen."
Durch die AfCFTA würde der Kontinent für "Investoren aus Europa viel attraktiver". Insgesamt werde dieser Markt an Dynamik gewinnen und stärker wachsen. "Es werden Skaleneffekte im afrikanischen Markt möglich und für deutsche Unternehmen wird es in jedem Fall einfacher", ist er sich sicher.
"Das wird ein Erfolg"
Kannengießer sieht die Schwierigkeiten dieses "komplexen Unterfangen" durchaus und er warnt, dass noch viel Zeit vergehen wird, "bis diese afrikanische Freihandelszone wirklich Realität ist". Der politische Willen hinter dem aktuellen Projekt sei jedenfalls "bemerkenswert".
Beim Blick in die Zukunft zeigt sich der Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins vorsichtig optimistisch. Die Afrikaner hätten erkannt, das sie "ihre wirtschaftlichen Herausforderungen" annehmen müssten und dass sie das nur "im Schulterschluss miteinander hinbekommen werden". Daher, ist Kannengießer überzeugt, "dass dieses Abkommen ein Erfolg sein wird".