AfD: Die Macht in den sozialen Medien
24. August 2021Die sozialen Medien lassen die politischen Verhältnisse in Deutschland Kopf stehen. Zwar haben die regierenden Christ- und Sozialdemokraten mit Abstand am meisten Parteimitglieder – aber auf Facebook und Co sind sie nur Kommunikationszwerge. Die noch junge und rechte Partei AfD ist ihnen hier weit enteilt. Das ist bemerkenswert angesichts der immer größeren Bedeutung der sozialen Medien für den Wahlkampf der Parteien. Auch andere Parteien in Deutschland, wie die Grünen oder die Liberalen, scheinen für den Kampf im Netz um Wählerstimmen besser gerüstet zu sein als CDU/CSU und SPD.
Für den Vergleich der Angebote ausgewählter Politiker und Parteien hat die Deutsche Welle deren Veröffentlichungen auf den Plattformen Facebook, Instagram, YouTube und Twitter in der Zeit vom 1. Juni bis 15. August 2021 ausgewertet. Dazu wurde das Analysetool "Storyclash" verwendet. Mit dessen Hilfe lassen sich zum Beispiel die Zahlen der Videoviews vergleichen oder die Interaktionen der Nutzer mit den Angeboten.
Weniger Angebote - mehr Erfolg
Die mit Abstand erfolgreichste deutsche Politikerin im Netz ist die Spitzenkandidatin der AfD, Alice Weidel. Sie hat zwar keine Chance auf einen Wahlsieg oder gar die Kanzlerinnenschaft - ihre Videos wurden im beschriebenen Zeitraum trotzdem rund 4,9 Millionen Mal in den sozialen Medien aufgerufen.
Alle anderen Kandidaten kommen nur auf einen Bruchteil. Mit lediglich 320.000 Aufrufen schneidet Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet besonders schlecht ab - und das, obwohl er einer der Favoriten im Rennen um die Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel ist.
Weidel schlägt die Konkurrenz auch um Längen, wenn es um das Teilen und Kommentieren der Beiträge geht. Das ist besonders wichtig für die Bindung der Nutzer an die eigenen Angebote. Für Kommunikationsberater Johannes Hillje ist der Erfolg kein Zufall. "Die Öffentlichkeit auf Social-Media-Plattformen ist eine Extremform der Aufmerksamkeitsökonomie, und es gibt eine Affinität zwischen Social-Media-Algorithmen und rechtspopulistischer Polarisierung und Emotionalisierung."
Die AfD setzt voll auf Emotionen. Vor allem auf Angst und Wut: Angst vor Einwanderern, Kriminalität und sozialem Abstieg - und Wut auf Angela Merkel, die Regierenden und die Eliten. Die Inhalte verkauft die Partei meist mit reißerischen Parolen wie "Deutschland wird zur Bananenrepublik". Das soll den Nutzern das Teilen und Kommentieren leichtmachen.
Die Posts von Christdemokrat Laschet dagegen bleiben blass: Seine Schlagzeile "Kluger Klimaschutz ist eine Querschnittsaufgabe" hat nur wenige Nutzer im Netz mobilisiert.
Wahlerfolg dank Facebook
Vor allem Facebook ist für den Aufstieg der AfD von großer Bedeutung. Die Partei beklagt seit ihrer Gründung im Jahr 2013, dass sie in den etablierten Medien unterrepräsentiert sei. Mit Facebook fand die AfD dann eine Plattform, auf der sich ihre Anhänger vernetzen konnten. Und auf der die Partei ihre teils rassistischen und nationalistischen Kampagnen ungefiltert verbreiten kann. Im DW-Interview zeigt sich der Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Marcus Schmidt, überzeugt: "Ohne Facebook, glaube ich, wäre die AfD nicht so schnell so erfolgreich geworden."
Und die DW-Analyse zeigt: Bis heute spielt Facebook eine herausragende Rolle für die Präsenz der AfD in den sozialen Medien. Spitzenkandidatin Alice Weidel erzielt hier rund 84 Prozent ihrer Interaktionen. Für die Schulung ihres Social-Media-Personals bekommt die AfD dabei offenbar auch personelle Unterstützung von Facebook. Das bestätigt ein Mitarbeiter der AfD-Bundestagsfraktion im DW-Interview.
Den Angeboten ist das anzusehen. Sie wirken griffiger und verständlicher als die der politischen Konkurrenz. Die Schrift der Schlagzeilen und Texte ist oftmals größer und besser lesbar als die der anderen Parteien, das Design konsequenter und einheitlicher - all das sind kleine Bausteine für den digitalen Erfolg.
Desinformation als Geschäftsmodell?
Vor allem aber sind die Angebote eines: emotionaler. "Ich glaube, dass Emotionalität im Sinne einer wertebasierten Kommunikation ganz wichtig für den Erfolg auf Social Media ist", sagt Kommunikationsberater Hillje. "Leider wird Emotionalität bei anderen Parteien viel zu oft mit Entsachlichung verwechselt." Hillje hat ein Buch über die Strategie der AfD im Netz geschrieben. Darin warnt er, dass die Partei mittels eines eigenen Medienapparats eine "radikal rechte 'Desinformationsgesellschaft'" schaffen wolle.
Falsche Meldungen und Desinformation sind von Anfang an ein fester Bestandteil der Kampagnen der AfD. Mal raunen Funktionäre, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Corona-Quarantäne aus dem Amt absetzen würde (hat sie nicht) - mal werden gegnerischen Politikern verleumderische Zitate in den Mund gelegt. Die Partei scheint es mit dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump zu halten, der sich in seinen Twitter-Nachrichten nur wenig um die Wahrheit scherte. Was zählte, war allein die Aufmerksamkeit. Die DW-Analyse eines Videokommentars desAfD-Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner auf YouTube zeigt eine ähnliche Strategie.
Solche Vorwürfe weist die Partei von sich. Der Leiter des Social-Media-Teams der AfD-Bundestagsfraktion, Mario Hau, sagt der DW zur Arbeit der Fraktion: "Wir machen das alles faktenbasiert auf Grundlage von beispielsweise Anfragen und Recherchen, wir produzieren keine Fake News."
Wilder Westen Internet
Angesichts der wachsenden Bedeutung der sozialen Medien fordert ein ziviles Bündnis aus Gewerkschaften und Initiativen in Deutschland eine Selbstverpflichtung der Parteien zu einem fairen und transparenten Wahlkampf im Netz. Bezahlte politische Botschaften müssten gekennzeichnet werden. Und Hasskommentare unter den veröffentlichten Beiträgen eigenverantwortlich gelöscht werden. Felix Kartte von der Initiative "Reset" verweist darauf, dass es für den Straßenwahlkampf und für Wahlwerbung im Fernsehen längst strikte Regeln gibt. "Aber keine dieser Regeln wird online angewendet. Es ist in den sozialen Medien eher wie im Wilden Westen - und das sehr zum Nutzen der AfD."
Forderungen nach einer Selbstverpflichtung aller Parteien zu einem fairen und transparenten Wahlkampf lehnt die Alternative für Deutschland ab. Der Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Marcus Schmidt, nennt entsprechende Initiativen im Interview mit der DW eine "Show" zur Diskreditierung seiner Partei.
Kritiker sehen angesichts der falschen Informationen auch die großen Tech-Unternehmen in der Pflicht. "Es ist die Aufgabe der Plattformen, Beiträge mit Falschinformationen und mit Lügen nicht noch zu höherer Reichweite zu verhelfen", fordert Kommunikationsberater Johannes Hillje. Außerdem müssten Falschmeldungen für die Nutzer kenntlich gemacht werden.