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Warten auf den Tod

Ratbil Shamel25. Januar 2008

Ein afghanischer Journalist soll wegen Islamkritik hingerichtet werden. Präsident Karsai könnte ihn begnadigen. Doch er steht unter Druck der Islamisten.

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Kann Präsident Hamid Karsai es sich politisch leisten zu helfen? (Foto: AP)
Kann der Präsident es sich politisch leisten zu helfen?Bild: AP
Sogar die Vereinten Nationen (UN) haben sich "besorgt" über das Todesurteil gegen einen afghanischen Journalisten wegen Gotteslästerung geäußert. Der amtierende UN-Sondergesandte für Afghanistan, Bo Asplund, sprach sich am Donnerstag (24.1.2008) für eine "vollständige Überprüfung" des Falles im Revisionsverfahren aus. Das Urteil war am Dienstag von einem Gericht im nordafghanischen Masar-i-Sharif verhängt worden. Der UN-Gesandte sagte dazu, Fälle, in denen es um Meinungsfreiheit und Religion gehe, erforderten gefühlvolle Handhabung. Die afghanische Verfassung schreibe die Einhaltung der islamischen sowie der universellen Menschenrechte vor, die miteinander vereinbar seien.

Gefangener des radikalen Machtpokers

Moulvi Shamas-ul-Rehman Moomand, Vorsitzender des Provinzgerichts in Balkh, während einer Pressekonferenz (Foto: AP)
Moulvi Shamas-ul-Rehman Moomand, Vorsitzender des Provinzgerichts in BalkhBild: AP
Der 23-jährige Journalisten Parwez Kambakhsch, der seit rund drei Monaten inhaftiert ist, soll Schriften verteilt haben, die sich gegen alle Grundsätze des Islam richten. Der Rat des Islamgelehrten der Provinz Balkh zeigte sich höchst zufrieden mit dem Urteil. Er verlangte von Anfang an die Höchststrafe. Kambakhsch selbst weist die Beschuldigungen ab. Journalisten- und Menschrechtsorganisationen sind empört. Sie werfen den Behörden im Norden Afghanistans Willkür und Machtmissbrauch vor. Ihrer Ansicht nach ist der Journalist Opfer politischer Machtspiele konservativer Kreise in Afghanistan, die gern wieder den Ton angeben würden.

Noch Anfang der Woche hatte der Gouverneur der Provinz Balkh, Atta Muhammad Nur, in Masar-i-Sharif erklärt, dass Parwez Kambakhsch ein faires Verfahren bekommen werde. Er dürfe sich einen Anwalt nehmen und, wie es in einem Rechtsstaat wie Afghanistan üblich sei, werde er gerecht behandelt. Der Gouverneur deutete indirekt sogar eine baldige Freilassung des jungen Mannes an.

Schnelle Wende zum Schlimmsten hin

Parwez Kambakhsch (undatiertes Foto: AP)
Parwez KambakhschBild: AP
Doch kaum 48 Stunden später verkündete der Vize-Staatsanwalt in derselben Stadt, dass das Verfahren gegen den Beschuldigten abschlossen sei. Die Richter haben ihn für schuldig befunden. Seine Strafe - die höchste: die Todesstrafe.

Wie sich wenig später herausstellte, bekam der Journalist weder einen Anwalt noch ein öffentliches Verfahren. Konservative Kreise im Norden Afghanistans sprachen von einem gerechten Urteil und von einem Sieg des Islam. Die Journalisten-Verbände dagegen verkündeten, gegen die Entscheidung des Gerichts bis zur höchsten Instanz vorgehen zu wollen. Rahimullah Samandar, Vorsitzende des Journalisten-Verbandes Afghanistans, sprach von einem Skandal, von einem Akt der Willkür. Er stellt fest, dass kein Journalist laut den geltenden Gesetzen auf diese Art und Weise verurteilt werden dürfe. Der Fall müsse der Kommission zur Untersuchung der Beschwerden gegen Journalisten vorgelegt werden. "Erst nachdem dort ein Vergehen festgestellt worden ist, kann die Staatsanwalt eingeschaltet werden. All dies ist hier nicht geschehen”, sagt Samander.

Der Journalistenvertreter protestiert seit Wochen gegen die Praktiken der Behörden in Masar-i-Sharif. Dort wurde vor rund drei Monaten der Journalismus-Student und Reporter der lokalen Tageszeitung “Jahan-e-Nau” (Neue Welt) ohne Haftbefehl von Mitarbeitern des Geheimdienstes verhaftet.

Islamfeindlichen Artikel gelesen und weitergegeben

Kambakhsch wird vorgeworfen, einen bestimmten Aufsatz, der den Islam beleidige, an der Universität verteilt zu haben. Er gibt zu, einen islamkritischen Artikel aus dem Internet mit dem Titel “Frauenfeindliche Verse des Korans” von einem Autor namens Arasch Bekhoda gelesen und einigen Freunden gegeben zu haben. Er lehnt es aber ab, dies mit der Absicht getan zu haben, dem Islam zu schaden. In dem Artikel, der von einer islamfeindlichen Internet-Seite stammt, werden Koran-Versen zitiert und undifferenziert als frauenfeindlich interpretiert.

Solche Angriffe könne der afghanische Staat nicht hinnehmen, lautet die Meinung des Rates der Islamgelehrten in Masar-i-Sharif. Samandar sagt, dass er in diesem Punkt mit den Gelehrten einer Meinung ist, doch er unterstellt ihnen politische Absichten: “Sie wollen, dass wir nicht nur auf das Recht der freien Meinungsäußerung verzichten, sondern auch darauf, etwas zu lesen und darüber mit unseren Freunden zu diskutieren. Das geht zu weit, dass ist doch blanke Unterdrückung.” Samandar und seine Freunde sehen nicht nur Kambakhsch an den Pranger gestellt, sondern auch die demokratischen Errungenschaften der vergangenen sechs Jahre.

Ehemalige Kriegsherren geht die Pressefreiheit zu weit

Vielen mächtigen konservativen Kreisen, angeführt von ehemaligen Warlords, ist die Pressefreiheit in Afghanistan ein Dorn im Auge. Für ihren Geschmack werden zu viele und zu lästige Fragen gestellt. Sie wollen nicht über ihre Rolle in den Jahren des Bürgerkrieges, in denen viele Ortschaften zerstört und zehntausende Menschen getötet worden, sprechen. Sie sehen sich gern als Mudschahedin, als Gotteskrieger und wahre Verteidiger des Islam und des Vaterlandes. Sie werfen den Medien Missachtung der islamischen Grundsätze und afghanischen Traditionen vor.

Mit der “Keule des Islam” in der Hand, wie Samandar es formuliert, werde in regelmäßigen Abständen auf die Pressevertreter geschlagen. Bis jetzt wurde einigen Journalisten, weil sie es gewagt hatten, sich islamkritisch zu äußern, Gotteslästerung vorgeworfen. Ein Vergehen, das laut der Islamauslegung der Fundamentalisten nur mit dem Tod bestraft werden kann. Aus ihrer Sicht ist es also nur Recht, dass Parwez Kambakhsch nun die Höchststrafe bekam. Dabei wird die Begründung des Gerichts von gemäßigten Islam-Gelehrten wie Ajatullah Muhseni in Zweifel gezogen: “Wenn jemand den Propheten des Islam wissentlich beleidigt hat, so sagt die Scharia, soll er mit dem Tode bestraft werden. Dies trifft aber nicht auf jemanden zu, der einen Aufsatz, den er selbst nicht geschrieben hat, nur gelesen und anderen gegeben hat.”

Hamid Karsai schweigt bislang

Diese Worte können im Moment keine Hilfe für den verurteilten Journalisten sein. Er braucht dringend politische Hilfe, sagt Rahimmullah Samandar. Der afghanische Präsident allein kann einen zum Tode Verurteilten begnadigen. Die Regierung in Kabul jedoch hat bislang zu diesem Fall geschwiegen.
Hamid Karsai hat es nicht leicht. Er darf nicht den Anschein erwecken, dass er nachsichtig mit den “Feinden des Islams” umgeht. Gerade jetzt, wo Islamistenführer wie Gullbuddin Hekmatyar oder Sprecher der Taliban der Regierung in Kabul unislamische Politik vorwerfen, hat er in diesem Fall nicht viel Spielraum.

Es wird also für die Regierung in Kabul sehr schwierig werden, einerseits die demokratischen Kräfte und die internationalen Freunde zufrieden zu stellen und andererseits die konservativen in den eigenen Reihen und in der Opposition. Bislang ist Karsai dieses Kunststück immer geglückt. Nun bleibt abzuwarten, ob es ihm auch diesmal gelingt.