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Enttäuschte Heimkehrer

Bari Abdul Hakim/Waslat Hasrat-Nazimi7. Mai 2016

Viele afghanische Flüchtlinge verlassen Deutschland und kehren heim. Sie seien enttäuscht, berichtet Markus Potzel, deutscher Botschafter in Kabul. 2015 startete eine Kampagne, um den Afghanen von der Flucht abzuraten.

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Flüchtlingslager in Deutschland (Foto: DW)
Bild: DW/Greta Hamann

Herr Botschafter Potzel, Sie haben im November 2015 eine Kampagne unter dem Motto "Flucht nach Europa? Denk noch mal darüber nach!" gestartet. Ziel ist, Afghanen zu überzeugen, in ihrem Heimatland zu bleiben, statt nach Europa zu fliehen. Wie hat sich die Lage seither entwickelt?

Markus Potzel (Foto: DW)
Markus Potzel, deutscher Botschafter in KabulBild: DW/H. Sirat

2015 waren ungefähr 154.000 Afghanen nach Deutschland geflüchtet. Nach den letzten Zahlen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sind vom Januar bis zum März 2016 etwa 32.000 Flüchtlinge aus Afghanistan in Deutschland angekommen. Wenn man diese Zahl auf das ganze Jahr hochrechnet, ist sie deutlich kleiner als im letzten Jahr. Und das war noch die Situation, bevor das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei in Kraft getreten ist. Also alles in allem rechne ich mit weniger afghanischen Flüchtlingen in Deutschland 2016.

Aber unsere Korrespondenten berichten immer noch, dass viele Menschen, vor allem in der Hauptstadt Kabul, ihr Hab und Gut für einen Spottpreis verkaufen, um die Flucht nach Europa zu bezahlen. Glauben Sie wirklich, dass Ihre Kampagne und die Bemühungen der afghanischen Regierung die Lage verändern konnten?

Plakate vor der deutschen Botschaft in Kabul (Foto: DW)
Plakate in den einheimischen Sprachen Dari und Paschtu vor der deutschen Botschaft in KabulBild: DW/H. Sirat

Wir versuchen, den Menschen hier klar zu machen, was sie in Deutschland erwartet. Um mit falschen Gerüchten aufzuräumen, haben wir die Kampagne gestartet. Viele Flüchtlinge, die Deutschland erreicht hatten und nun wieder nach Afghanistan zurückgekehrt sind, berichten, dass sie sehr enttäuscht sind. Sie hatten sich mehr Hoffnungen gemacht und waren den Gerüchten der Schlepper auf den Leim gegangen. Die afghanische Regierung hat da viel mehr Einfluss, wenn sie den Afghanen sagt, sie mögen doch zu Hause bleiben.

In der afghanischen Zivilgesellschaft gibt es auch andere Kampagnen, die auf vielen Fernsehkanälen laufen. Einige sind von den jungen Afghanen für ihre Gleichaltrigen gemacht und nutzen auch die sozialen Medien. Das hat doch einen größeren Effekt als die Kampagne der deutschen Botschaft.

Arbeiten Sie mit der afghanischen Regierung bei der Aufklärung zusammen?

Oh ja! Es gibt eine sehr enge Abstimmung zwischen der deutschen Botschaft und der afghanischen Regierung. Ich spreche mindestens einmal in der Woche mit Vertretern der afghanischen Regierung, wie wir noch besser zusammenarbeiten können.

Deutschland investiert seit 15 Jahren sehr viel in die Entwicklungshilfe in Afghanistan. Pro Jahr beläuft sie sich auf 430 Millionen Euro. Wir werden in die Landwirtschaft investieren, damit die Afghanen landwirtschaftliche Produkte auch selbst verarbeiten können und nicht nur auf Importe aus den Nachbarländern angewiesen sind. Wir werden auch weiterhin in Berufsbildungszentren investieren, damit junge Afghanen besser ausgebildet werden und damit gute Chancen haben, einen Job zu finden, nicht nur in Afghanistan, sondern auch in den Golfstaaten.

Trödelmarkt in Kabul (Foto: DW)
Auf dem Trödelmarkt in Kabul verkaufen Menschen ihr Hab und Gut, um die Flucht zu finanzierenBild: DW/H. Sirat

Die politische Lage in Afghanistan ist weiterhin instabil. Die Menschen sind enttäuscht. Diese Hoffnungslosigkeit ist oft der wichtigste Beweggrund für die Flucht. Was muss getan werden, um diesen Trend zu stoppen?

Diese Frage richtet sich natürlich in erster Linie an die afghanische Regierung. Sie will der Hoffnungslosigkeit entgegenwirken. Deutschland steht Afghanistan weiterhin zur Seite. Wir hatten Anfang April Regierungsverhandlungen mit der afghanischen Regierung. Da ging es um weitere Hilfe für Afghanistan, die wir aber an Bedingungen knüpfen. Die afghanische Regierung muss selber Reformfortschritte vorweisen. Sie muss Korruptionen eindämmen, die Gesetzgebungen stärker voranbringen und die Wirtschaft ankurbeln. Es gibt da noch jede Menge Änderungsbedarf.

Anfang Oktober findet die nächste große Geberkonferenz in Brüssel statt. Dort wird die internationale Gemeinschaft ihre Verpflichtungen gegenüber Afghanistan für die nächsten drei bis vier Jahre erneuern. Da wird es auch darauf ankommen, dass die afghanische Regierung zu Rechenschaft gezogen wird.

Informationsveranstaltung der afghanischen Regierung gegen illegale Auswanderung (Foto: DW)
Informationsveranstaltung der afghanischen Regierung gegen illegale AuswanderungBild: DW/Z. Ahmadi

Des Weiteren ist Deutschland auch weiterhin in Afghanistan präsent. Wir bilden hier im Lande afghanische Streitkräfte und Polizei aus. Das ist psychologisch ein ganz wichtiger Faktor, damit die Afghanen sehen, die internationale Gemeinschaft, speziell auch Deutschland, ist hier und bleibt hier. Das soll sie überzeugen, in der Heimat zu bleiben.

Markus Potzel ist seit 2014 der deutsche Botschafter in Afghanistan. Zuvor war er Leiter des Referats Mittlerer Osten im Auswärtigen Amt und Gastwissenschaftler an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Das Interview führten Bari Abdul Hakim und Waslat Hasrat-Nazimi.