"Afrika ist nicht nur Krisenkontinent"
29. November 2017Deutsche Welle: Der EU-Afrika-Gipfel soll sich in diesem Jahr mit Investitionen in die Jugend befassen, um die Fluchtursachen besser zu bekämpfen. Welchen Ansatz würden Sie wählen?
Franziska Brantner: Wenn es uns Europäern ernst wäre mit der Bekämpfung der Fluchtursachen, dann müssten wir unsere eigene Handels-, Agrar- und Rüstungsexportpolitik auf den Prüfstand stellen. In diese Richtung gibt es aber keine Bewegung, geschweige denn wirkliche Initiativen von Seiten der Europäischen Union.
Es ist richtig, den Fokus auf die Unterstützung junger Menschen zu legen. Wir haben in vielen afrikanischen Ländern durchaus gut ausgebildete junge Menschen. Natürlich ist Bildung auch weiterhin eine Priorität, aber jetzt geht es darum, ihnen Jobs und Perspektiven zu bieten. Dazu gehören Investitionen, aber auch nachhaltige und soziale Handelspolitik und die Möglichkeit zirkulärer Migration (also die kurzzeitige Aufnahme von Migranten, Anmerk. d. Red.). Wir wissen, dass man dafür funktionsfähige Staaten braucht und dass auch wirtschaftliche Entwicklung häufig davon abhängt, ob junge Menschen Möglichkeiten haben, kreativ denken zu können, ohne dafür im Gefängnis zu landen. Demokratie in Afrika ist die zentrale Voraussetzung.
Welche Möglichkeit sehen Sie, Jugendliche für den Arbeitsmarkt fit zu machen?
Der Vorschlag der Grünen zu einem Einwanderungsgesetz sieht vor, dass afrikanische Jugendliche für eine Ausbildung nach Deutschland kommen können. Danach können sie zwei Jahre hier arbeiten, und kehren danach in ihre Heimatländer zurück. Das verstehen wir unter zirkulärer Migration, so investieren wir in die Ausbildung von Fachkräften. Es kann nicht sein, dass afrikanische Länder die Kosten der Ausbildung tragen und wir holen dann die ausgebildeten Ingenieure und Ärzte nach Europa.
Was können wir an Unterstützung für den heimischen Arbeitsmarkt leisten?
Es geht um politische Rahmenbedingungen und es geht um jeden von uns; zum Beispiel, was und wie wir essen. In Westafrika ist einer der vielen Gründe, warum Menschen dort keine Arbeit mehr haben, unsere große Fischindustrie. Sie fängt vor den Küsten Westafrikas, damit wir immer weiter günstigen Fisch haben. Wenn man Fisch kauft, sollte man also besser darauf achten, wo er herkommt. Damit haben wir eine Macht darüber, welche Wirtschaftsweise sich rentiert.
Die EU ist in ihrer Beziehung zu Afrika das klassische Geberland, Afrika der Empfänger. Das Ziel der EU: Afrika soll ein gleichgestellter Partner werden. Was heißt das?
Gleichgestellt, gleichberechtigt, auf Augenhöhe - das alles sind Synonyme, die das Versprechen suggerieren, wir machen es anders als vorher. Was sich dann in der Praxis verändert, ist gering. Ich halte die Möglichkeit, junge Afrikaner in Europa auszubilden für sinnvoll. Ich fände es wichtig, wenn im Gegenzug europäische Jugendliche auch in afrikanische Länder gehen und sich dort weiterbilden lassen würden, etwa durch europäische Stipendien. Es ärgert mich, wenn wir sagen: 'Die beiden Kontinente haben eine Schicksalsverbindung. Wenn es in Afrika schlecht läuft, dann kommen die Flüchtlinge zu uns.' Aber das ist nur in die eine Richtung gedacht. Wenn wir nicht nachhaltig wirtschaften, hat das massive Auswirkungen auf den afrikanischen Kontinent. Diese Wechselwirkungen werden nicht wahrgenommen und artikuliert. Das ist keine Gleichberechtigung auf Augenhöhe.
Wie kann der Wunsch nach Gleichberechtigung Realität werden?
Indem man wirklich auf Augenhöhe in einen Dialog tritt und auch die Bereitschaft hat, entsprechend etwas zu verändern. So könnte man Afrika in seiner Vielfalt und nicht nur als Krisenkontinent wahrnehmen. Es gibt spannende Entwicklungen, in vielen Ländern bewegt sich etwas. Das wäre für unsere jungen Menschen interessant zu erleben.
Rückführungsabkommen in sogenannte 'sichere Herkunftsländer', Migrationszentren und Zusammenarbeit mit Sicherheitskräften auf der einen, und Versklavung von Flüchtlingen, Korruption, eklatante Menschenrechtsverstöße auf der anderen Seite. Kooperationen mit afrikanischen Ländern haben einen bitteren Nachgeschmack. Kann das gelingen?
Mich macht es wütend, wenn ich sehe, mit welchen Regimen wir bereit sind zu kooperieren, wohlwissend, dass sie selber Flüchtlinge produzieren, indem sie ihre ganzen jungen Menschen unterdrücken und jegliche Kreativität im Keim ersticken. Die Menschenrechtssituationen dort sind absurd. Trotzdem hält die Regierung daran fest, mit den Sicherheitsdiensten solcher Regime zu kooperieren. Ich glaube, dass wir irgendwann den Preis dafür zahlen werden. Totenstille ist kein Frieden und auch keine Sicherheit, sondern Totenstille. Und es wird auch wieder Bewegungen dagegen geben.
Augenscheinliche Demokratien, mit denen die EU Abkommen zum Beispiel hinsichtlich der Flüchtlingspolitik beschließt, entpuppen sich häufig als Autokratien oder Staaten, in denen Diktatoren und alte Eliten herrschen. Wie können wir so verlässliche Partnerschaften aufbauen?
Die Frage ist ja, ob wir bereit sind, auch friedliche Übergänge zu gestalten; ob wir bereit sind, Akteure, die vor Ort für Wandel stehen, zu unterstützen; ob wir bereit sind, zu schweigen, wenn es um massive Menschenrechtsverletzungen geht, weil wir auf die Kooperationen mit den Diktatoren und Autokraten angewiesen sind. Wir sind mittlerweile bereit, sehr viel mitzumachen, um einen Grenzschutz zu haben.
Meinen Sie damit die Sahelzone-Initiative, eine Sicherheitskooperation, bei der Frankreich und Deutschland mit Mali, dem Tschad, Burkina Faso, Mauretanien und Niger eine Eingreifgruppe zur Sicherung der Grenzen aufbaut?
Das sind die ärmsten Länder, in denen wir nicht bereit sind, in den Aufbau eines Rechtsstaats zu investieren, aber in die Finanzierung der Grenzschützer. Für die Menschen, die dort leben, ist das der blanke Hohn. Sie wissen, dass den Diktatoren von den westlichen Ländern Geld zur Verfügung gestellt wird, aber nicht für die eigenen Lebensgrundlagen. Das sind alles Dinge, die Extremismus eher schüren. Andererseits haben wir Länder wie Tunesien, die auf einem schwierigen Weg hin zu einem demokratischen Staatswesen sind. Die Unterstützung von uns ist viel zu gering. Dort sind wir nicht bereit, die Gelder zur Verfügung zu stellen oder unsere Märkte für tunesische Produkte zu öffnen.
Die Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner leitet den Unterausschuss Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln im Deutschen Bundestag. Zuvor war sie im Europäischen Parlament als außenpolitische Sprecherin der Fraktion Grüne/EFA und ständige Berichterstatterin für das EU-Stabilitätsinstrument für Konfliktlösung und Krisenreaktion tätig.
Das Interview führte Sabrina Müller-Plotnikow.