Afrikas eigene Ölkatastrophe
11. Juni 2010Jedes Jahr sickern zehntausende Tonnen Rohöl ins Nigerdelta – so viel wie beim Unglück des Tankers "Exxon Valdez" vor Alaska. Poröse oder illegal angezapfte Pipelines verseuchen das Grundwasser und den Ackerboden, und auch das Atmen der Luft ist längst zu einer tödlichen Gesundheitsgefahr geworden. Vor der Verantwortung für den Umweltfluch drücken sich die großen Ölkonzerne ebenso erfolgreich wie Nigerias Politiker.
Die Ernte leidet - der Bauer auch
Lucky Amobi steht auf seinem kleinen Acker in der Nähe von Port Harcourt – und starrt ungläubig auf den gigantischen Flammenwerfer. Die Hitze und der Lärm sind kaum zu ertragen. Mehr als 120 solcher Mega-Gasfackeln stehen im Nigerdelta, und die meisten gehören Shell, dem größten Energie-Unternehmen der Welt. Hier wird das Erdgas verbrannt, das nach oben kommt, wenn Öl gefördert wird. Eine billige Methode, um mit dem unerwünschten Nebenprodukt fertig zu werden – anderswo ist das Abfackeln längst verboten, weil Treibhausgase und krebserregende Schwermetalle freiwerden. "Das Abfackeln ist sehr schlecht für meine Ernte – seit hier dieses große Feuer brennt, will auf meinem Feld einfach nichts mehr richtig wachsen."
Ein Paradies wird zur Schlammhölle
Aber das Abfackeln ist nur eine Begleiterscheinung der Ölpest im Delta. Ohne das Öl könnte es hier aussehen wie in den Everglades von Florida – ein verwunschenes Labyrinth von Wasseradern mit Mangrovensümpfen und einer reichen Tierwelt. Aber aus dem grünen Paradies ist längst eine Hölle geworden. Ein schokoladenbrauner Ölfilm liegt auf dem Wasser, Vögel sterben, Fische gibt es hier längst nicht mehr. Klebrige Ölklumpen schwappen auf die Felder, es stinkt nach Petroleum.
6000 Kilometer Ölpipelines durchkreuzen das Nigedelta im Zickzack - einige sind völlig veraltet. Wegen der Lecks und der immer häufigeren Öldiebstähle kommt es im Durchschnitt fünf Mal pro Woche zu einem massiven "Spill" – zu einer Öl-Havarie. Seit in Nigeria Öl gefördert wird, sind auf diese Weise viele Millionen Liter schwarzes Gold ins Wasser und in den Boden geflossen – ein Umweltdesaster, für das vor allem der Ölmulti Shell immer wieder Ärger bekommt. Der Konzern fördert allein rund 40 Prozent des nigerianischen Öls: Ein mächtiger Staat im Staate, der sein Geld auf Kosten von Mensch und Umwelt verdiene, sagen die Kritiker.
Schuld haben viele
Pressesprecher Bobo Brown von Shell Nigeria wehrt sich – und schiebt den Schwarzen Peter der nigerianischen Regierung zu: "In Wahrheit sind wir doch nur eine Firma – und keine Parallel-Regierung." Shells Einfluss auf die Regierung Nigerias hat seine Grenzen. Und das ist auch gut so. Denn Shell versteht sich als sozial engagiertes Unternehmen, als "corporate citizen."
Tatsächlich hat Shell sich schon vor langer Zeit an der Reinigung der Böden beteiligt und in den verseuchten Gebieten Schulen und Krankenhäuser gebaut. Ein Tropfen auf den heißen Stein, schimpfen die Bewohner. Und deswegen schlagen die Rebellen der MEND, der Befreiungsbewegung für das Nigerdelta, mit Sabotageakten und Entführungen von Ausländern zurück. Rund 600 Milliarden US-Dollar sollen in Nigeria seit Beginn der Öl-Förderung vor 50 Jahren erwirtschaftet worden sein.
Regierung drückt sich vor Verantwortung
Auch der US-amerikanische Journalist Peter Maass, der Nigerias Ölregion besucht und gerade ein Buch zum Thema veröffentlicht hat, sieht Shell und die anderen Ölfirmen als Teil der Ursünde im Delta. Dennoch dürfe man nicht nur allein auf sie mit dem Finger zeigen: Nigerias Elite verdiene ebenfalls – und von diesem Reichtum komme nichts bei den Bürgern an – außer giftigem Ölschlamm. Peter Maass: "In Nigeria ist nicht nur Shell das Problem, Nigerias Regierung ist noch ein viel größeres. Denn sie ist nicht nur an Shell Nigeria zu mindestens 50 Prozent beteiligt, sondern auch an allen anderen Töchtern der Ölkonzerne, die im Delta operieren. Wenn diese Regierung wollte, dann könnte sie die Firmen zwingen, bei der Ölförderung entsprechende Umweltstandards einzuhalten. Und wenn diese Regierung eine bessere wäre, dann wäre auch Schluss mit dieser furchtbaren Korruption, die Millionen und Abermillionen Dollar verschlingt."
Und vielleicht müsste dann auch Bauer Lucky Amobi nicht mehr jeden Tag barfuß in seinem Feld stehen – und den Ölschlamm wegschaufeln, der nebenan aus der alten Pipeline ausläuft – direkt auf sein Gemüse.
Autor: Alexander Göbel
Redaktion: Dirk Bathe