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AGOS - eine armenisch-türkische Zeitung

Basak Özay18. Januar 2016

Rund tausend Menschen haben des vor neun Jahren erschossenen armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink gedacht. Seine Zeitung AGOS setzt sich für die Aufarbeitung der armenisch-türkischen Geschichte ein.

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Ein Plakat mit dem Konterfei von Hrant Dink (Foto: dpa)
Ein Plakat erinnert an den ermordeten AGOS-Journalisten Hrant DinkBild: picture alliance/AA/B. Doruk

Am 19. Januar 2007 wurde der armenisch-türkische Journalist und damalige Chefredakteur der armenischen Wochenzeitung AGOS, Hrant Dink, von einem ultranationalistischen Jugendlichen ermordet. Sein Tod wurde vor allem in der Türkei, aber auch international mit großer Bestürzung aufgenommen. Er thematisierte die Massaker an den Armeniern 1915 und bestand auf Dialog und der Freiheit journalistischen Arbeitens.

Bis heute ist der Mord immer noch nicht restlos aufgeklärt. Der mutmaßliche Täter wurde zwar schnell gefasst, doch das Verfahren gegen ihn dauert immer noch an. Mehrere Hundert Menschen nutzten deshalb den neunten Todestag, um gegen die ihrer Ansicht trägen Ermittlungsbehörden zu demonstrieren. Auf ihrer Kundgebung im Stadtteil Harbiye trugen sie unter anderem Schilder mit der Aufschrift "Gerechtigkeit für Hrant". Die Versammlung fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. Polizisten durchsuchten Taschen und tasteten die Teilnehmer ab.

Der heutige AGOS Chef-Redakteur Yetvart Danzikyan meint, um den Mord aufzuklären, müsse sich der Staat selbst verurteilen und dazu sei er nicht bereit. "Dieser Mord war eine Folge der Tatsache, dass die Türkei nicht bereit ist, sich mit (den Ereignissen im Jahr) 1915 auseinanderzusetzen. Der Völkermord an den Armeniern wird weiterhin verleugnet", so Danzikyan. Damals kamen bei Massakern und Todesmärschen mehrere Hundertausend Armenier in der Türkei ums Leben. Danzikyan ist überzeugt, dass Dink sterben musste, weil er offen von Völkermord sprach.

Hrant Dink (Foto: ddp images/AP Photo/Murad Sezer/File)
Hrant Dink war sehr populär - seine Ermordung ist jedoch bis heute nicht restlos aufgeklärtBild: AP

Eine Zeitung mit vielen Aufgaben

Heute leben in der Türkei rund 60.000 Armenier, die meisten in Istanbul. Als Hrant Dink und seine Kollegen 1996 die Wochenzeitung AGOS gründeten, war ihr Ziel, die Probleme der türkischen Armenier, eine Gesellschaft, die bis dahin als "schweigsam und in sich geschlossen" galt, der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Die Macher der Zeitung legten großen Wert auf unabhängigen Journalismus und die Meinungsfreiheit - in der Türkei keine Selbstverständlichkeit, weder damals noch heute.

Das ist einer der Hauptgründe, weshalb AGOS als eine der wenigen unabhängigen Zeitungen zu einem sehr gefragten Medium geworden ist. "Die Türkei befindet sich im Vergleich zu der Situation vor sechs, sieben Jahren in einer noch schlimmeren Lage. Damals war die AKP auch an der Macht, aber wenn man die damalige Situation mit der heutigen vergleicht, stellt man fest, dass die AKP inzwischen ein autoritäres Regime anstrebt. Und je autoritärer die AKP wird, desto kleiner wird der Raum für die Pressefreiheit", sagt Danzikyan.

"Armenier unter Generalverdacht"

Die Türkische Regierung wird nicht nur wegen der Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit, sondern auch wegen des repressiven Umgangs mit den Minderheiten, vor allem den Kurden, kritisiert. Der abermals entfachte Konflikt zwischen den türkischen Sicherheitskräften und der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) sorgt seit einigen Monaten im Südosten der Türkei für kriegsähnliche Zustände. Nach Armeeangaben wurden in Cizre, Silopi und Sur seit Dezember 544 PKK-Kämpfer getötet. Menschenrechtsaktivisten weisen auf mehr als 160 zivile Opfer hin. Gleichzeitig starben mehr als 200 türkische Soldaten und Polizisten. Die Zahlen steigen täglich.

"Die Armenische Gesellschaft ist sehr beunruhigt " sagt Danzikyan. Er erinnert sich daran, dass es in der Vergangenheit, vor allem in den 1990'ern, immer wieder Versuche gab, die PKK mit den Armeniern in Verbindung zu bringen. "Heute wird in regierungsnahen Kreisen behauptet, dass einige PKK Mitglieder Armenier sind. Dieser Vorwurf ist sehr besorgniserregend", sagt er. Deshalb achte AGOS sehr darauf, von den Entwicklungen ausführlich zu berichten. "Denn, die Demokratisierung der Türkei hängt von der Lösung dieses Problems ab und das Wohlergehen der armenischen Gemeinschaft von der Demokratisierung der Türkei", betont Danzikyan.

Armenische Flüchtlinge in der Türkei

Das zweite große Thema für AGOS derzeit: armenische Flüchtlinge, die aus Syrien und dem Irak in die Türkei geflohen sind. "Wir haben erfahren, dass 72 armenische Familien sich in Yozgat - einer mittelanatolischen Stadt - aufhalten", sagt Danzikyan. "Sie haben keinen Flüchtlingsstatus in der Türkei und möchten in die USA oder nach Kanada weiterreisen, oft zu den dort lebenden Verwandten. Aber für diejenigen, die dort gar keine Verwandte haben, wird es schwierig." Grund genug für die in Istanbul lebenden Armenier und deren Kirche, Hilfskampagnen zu organisieren und Solidarität mit den Flüchtlingen zu zeigen.

Redaktionsgeschehen in der armenischen Wochenzeitung Agos (Foto: dpa - Bildfunk)
AGOS setzt sich für unabhängigen Journalismus und Meinungsfreiheit einBild: picture-alliance/dpa/L. Klimkeit

Am neunten Jahrestag der Ermordung von Hrant Dink erscheint AGOS mit dem Titel "Sehnsucht seit 9 Jahren". "Heute", sagt Danzikyan, "können wir schreiben: Ja, es war ein Völkermord". Allerdings habe für diese Freiheit Hrant Dink mit seinem Leben bezahlt. Wie lange man noch diese Freiheit haben wird, wisse zurzeit in der Türkei niemand, so Danzikyan.