Ahrtal: Zwei Jahre nach der Flut geht es voran, aber langsam
13. Juli 2023Es war eine der schwersten Naturkatastrophen in Deutschland: Sintflutartige Regenfälle ließen den Fluss Ahr im Westen Deutschlands in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 zu einem reißenden Monster anschwellen, das Menschen, Häuser, Brücken und Bahnschwellen mit sich riss. Allein im Bundesland Rheinland-Pfalz starben mindestens 135 Menschen.
Auch der Winzer Lukas Sermann hat in dieser Nacht Freunde und Nachbarn verloren. "Ich sehe die Flut dennoch als Chance", sagt Sermann trotzig. Der Familienbetrieb, den er erst zwei Jahre vor der Katastrophe übernommen hatte, war gegen Flutschäden nicht versichert. Dennoch hat Sermann den zerstörten Betrieb in Altenahr wieder aufgebaut und weitergemacht. "Nach diesen zwei Jahren bin ich müde, glücklich und gespannt", sagt er.
Sermann profitierte von dem 30-Milliarden-Euro-Wiederaufbaufonds, den Bund und Länder aufgelegt hatten, um den von der Flut Betroffenen beim Wiederaufbau zu helfen. 80 Prozent seiner Schäden konnte der Winzer und stellvertretende Vorsitzende von Ahrwein e.V., der Dachorganisation für die Weinbranche im Ahrtal, aus öffentlichen Mitteln ausgleichen.
Heute betreibt er ein Gästehaus, eine Vinothek und das eigene Weingut, das vor allem den hier typischen roten Spätburgunder produziert. Auf einem Hektar seiner Gesamtrebfläche von über elf Hektar wird aber auch Riesling angebaut, der sich gut verkauft, "weil Weißweine gerade sehr im Trend sind", erläutert Sermann.
Das enge Ahrtal war früher eine eher ärmliche Gegend; bäuerlich und bodenständig. Doch Wein gedeiht hier prächtig, wie schon die Römer herausfanden. Heute zählt das Tal mit rund 560 Hektar Rebfläche zu den Rotweinparadiesen Deutschlands. Die Steilhänge mit ihren Weinreben lockten vor allem in den letzten Jahrzehnten immer mehr Weinkenner und Touristen an.
Der Wein selbst verkaufe sich wieder gut, aber viele Touristen blieben weg, sagt Sermann. Das liege unter anderem daran, dass die Straßen zum Teil noch nicht wieder hergestellt seinen, meint der Winzer. Auch Fahrradwege und Bahntrassen sind noch nicht wieder komplett hergerichtet, ebenso wie viele der Stellflächen für Busse und Camper.
Infrastruktur-Lücken machen dem Ahr-Tourismus zu schaffen
Carolin Groß, Leiterin der Geschäftsstelle von Ahrwein e.V., nennt einen weiteren Grund: "Viele große Hotels und Tagungszentren haben noch nicht wieder eröffnet." Manche würden auch nicht wieder öffnen. Wann wieder Besucherzahlen wie 2019 - also vor der Corona-Pandemie und vor der Flut - erreicht werden könnten, sei vollkommen offen. Damals wurden rund 1,3 Millionen Gäste gezählt. Die Bettenkapazität sei im Vergleich zu damals heute erst zu rund 60 Prozent wieder hergestellt, berichtet Groß. Die neuen Ahr-Touristen blieben eher ein Wochenende statt - wie früher - mehrere Tage.
Thomas Winges gibt unumwunden zu, dass das Ahrtal heute noch nicht wieder ein Top-Urlaubs-Ziel sei. "Erholsam ist anders", sagt er und meint damit den Bau- und Maschinenlärm, der fast im ganzen Tal immer noch omnipräsent ist. Überall wird aufgeräumt, gehämmert, gezimmert, gebaut, planiert. Doch sein Geschäftsmodell läuft. Schon vor der Flutkatastrophe bot Winges im romantischen Altenahr Wanderungen an. Jetzt heißt seine Tour "Wanderung zwischen den Welten". Der Titel spielt auf den Unterschied zwischen dem teilweise noch zerstörten Tal und der der Schönheit oben in den Weinbergen an.
Winges zeigt Fotos vom zerstörten Altenahr direkt nach der Flut, erzählt betroffen von den zehn Toten, die es allein in diesem Örtchen gab. Und vom Hochwasser, was hier auf 10,60 Meter (derzeit liegt der Pegel bei 48 Zentimetern) anstieg und alles mit sich riss. Aber er berichtet auch von der großen Solidarität unter den Menschen, die sich gegenseitig halfen und den vielen freiwilligen Helfern, die von überall her kamen und im Ahrtal mit anpackten.
Normal sei aber vieles bei weitem noch nicht, berichtet Hubert Pauly, der Weinbaupräsident. Die Angst stecke den rund 130.000 Menschen im Tal immer noch in den Knochen, sagt Pauly. Die Angst vor dem großen Wasser, der Flut, dem Leid. Die Angst vor den Bildern, die nicht wenige Menschen bis in Träume verfolgten. Die angstvollen Blicke in den Himmel bei jedem neuen Unwetter.
"Geht die Wohnung jetzt wieder kaputt?"
Draußen fängt es an in Strömen zu regnen. Für diesen Tag Ende Juni sind Unwetter vorhergesagt. Die Schule in Ahrweiler bleibt vorsichtshalber geschlossen. "Wenn starker Regen fällt, wenn es donnert, wie an diesem Tag, haben viele Menschen hier wieder Angst", berichtet Pauly. Die Enkelin eines Freundes, frage dann: "Opa, geht die Wohnung jetzt wieder kaputt?"
Hubert Pauly beziffert die Schäden, die die Ahrwinzer erlitten haben, auf bis zu 200 Millionen Euro. Nur fünf der 35 Winzer im Tal seien nicht vom Hochwasser betroffen gewesen. Er erzählt von immer noch nicht verlegten Telefonleitungen, einem schlechten Handynetz, unkoordinierter Planung, Bebauung und fehlenden Vorkehrungen für den Hochwasserschutz an der Ahr.
Aber er berichtet auch von der großen Solidarität der Winzer aus anderen Weinregionen, beim Aufräumen nach der Flut, der Weinlese, dem Keltern und Lagern der Ahrweine geholfen hätten. Und von den solidarischen Kunden, die den sogenannten Flutwein erstanden: Flaschen, die verschlammt oder nur notdürftig gereinigt verkauft wurden.
Die Menschen hier wollten nach vorne schauen, sagt der Weinbaupräsident. Auch wenn nicht alles nach Plan laufe, sei das Ahrtal doch auch weiterhin "lebens- und liebenswert".
Hinweis: Die Recherchen wurden vom Deutschen Wein Institut unterstützt.