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Neues von Ai Weiwei

Rick Fulker14. Juli 2016

Strandgut von geretteten Flüchtlingen und ein chinesischer Tempel sind der Mittelpunkt der Ausstellung "translocation - transformation" in Wien. Ai Weiwei visualisiert erneut die Flüchtlingsthematik in seiner Kunst.

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Österreich Ausstellung von Ai Weiwei im Park des Wiener Belvedere
Bild: picture alliance/AP Photo/R. Zak

Von weitem betrachtet, sehen sie wie stilisierte Seerosen aus: 1005 gebrauchte Rettungswesten, die Flüchtlinge an griechischen Stränden zurückgelassen haben. Auf insgesamt 201 schwimmenden Ringen hat der chinesische Künstler sie im Park des Wiener Schlosses Belvedere platziert - in Form eines großen "F". Mit diesem Bild, das die Verzweiflung der Betroffenen zum Ausdruck bringen soll, plädiert der chinesische Konzeptkünstler Ai Weiwei für mehr Menschlichkeit. "Das erzählt so viel über unsere Zeit", erklärte er bei der Eröffnung der Ausstellung "translocation - transformation" in Wien.

Künstler mit Migrationshintergrund

"Ich habe nicht gedacht, dass ich mit 55 Jahren noch ein neues Kapitel über Humanität lernen werde", sagte Alfred Weidinger. Der Kurator der Ausstellung wies auf Ai Weiweis starkes politisches und künstlerisches Engagement für Flüchtlinge hin. Sichtlich bewegt erwähnte er auch den Shitstorm, der dem Künstler entgegen geschlagen war, nachdem er das inzwischen zur Ikone gewordene Foto des toten Flüchtlingsjungen am Strand fotografisch mit seinem Körper nachgestellt hatte.

Ai Weiwei habe das Flüchtlingselend für seine Zwecke instrumentalisiert, sagten einige Kritiker und warfen ihm Opportunismus oder gar Zynismus gegenüber dem realen Flüchtlingselend vor. Auf Facebook oder Twitter waren Kommentare wie "ein Skandal", "plakativ" oder "zur Hölle mit Ai Weiwei" zu lesen. Der umstrittene, international sehr angesehene Künstler hat mehrere Arbeiten und einen Dokumentarfilm zur Flüchtlingsproblematik gemacht.

Ai Weiwei auf einem Strand auf Lesbos. © picture alliance/AP Photo/India Today/Rohit Chawla
Umstrittene Kunstaktion: Ai Weiwei stellte in Lesbos das Foto des ertrunkenen Flüchtlingsjungen nachBild: picture alliance/AP Photo/India Today/Rohit Chawla

Schwimmwesten von Flüchtlingen waren bereits diesen Februar in einer Aktion des Künstlers am Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt zu sehen. Im März ließ Ai Weiwei dann einen weißen Flügel in das "wilde" Flüchtlingslager Idomeni in Griechenland transportieren, auf dem eine syrische Pianistin im Schlamm und strömenden Regen ein Konzert gab. Auf der Insel Lesbos plant Ai Weiwei eine Gedenkstätte für verstorbene Migranten.

Fernregie aus China

Der 58 Jahre alte chinesische Aktionskünstler und Regimekritiker lebt seit einem Jahr mit seiner Frau und seinem Sohn in Berlin. Zuvor hat er vier Jahre Inhaftierung und Hausarrest in China durchgemacht. Während dieser Zeit konnte Ai Weiwei trotzdem von dort Austellungen und Interviews im Westen organisieren - auch mit regimekritischen Arbeiten. Das amerikanische Smithsonian Institute nannte ihn "den gefährlichsten Mann Chinas", die Zeitschrift "Art Review" hält ihn dagegen für "den mächtigsten Künstler der Welt."

Ai Weiwei mit jungen Palästinenserinnen in Gaza. (c) Reuters/M. Salem
Der Künstler bei Dreharbeiten für seinen Dokumentarfilm mit jungen Palästinenserinnen in GazaBild: Reuters/M. Salem

Unter dem Titel "Unser Lieblingschinese" bezeichnete das Wochenblatt "Die Zeit" Ai Weiweis Kunstwerke dagegen als reine Exportware für den Westen. Wenn sie den Kapitalismus anprangerten, dann nur die chinesische Variante. "Überwachung ist bei ihm immer chinesische Überwachung, nicht die der NSA" war dort über den künstlerischen Ansatz von Ai Weiwei zu lesen. Seine weltweite Popularität erkläre sich von selbst: "Wer ihn liebt, ist auf der sicheren Seite. In seiner Kunst wird die Welt wieder überschaubar."

Anerkennung als Professor

Nach Beendigung seines Hausarrests und vor seiner Abreise nach Europa schlug der starke Regimekritiker Ai Weiwei versöhnlichere Töne gegenüber der chinesischen Regierung an, äußerte sogar Verständnis für deren Handlungen. Dafür erntete er wiederum wütende Schmähungen von anderen chinesischen Bürgerrechtlern.

Ai Weiwei im Flüchtlingscamp.(c) DW/P. Kouparanis
Besuch des Künstlers im Flüchtlingslager IdomeniBild: DW/P. Kouparanis

Ai Weiwei, seit Herbst 2015 Professor an der Universität der Künste in Berlin, hat sich nach seiner Übersiedelung mehrfach in Kunstprojekten und Dokumentarfilmen der Flüchtlingsproblematik gewidmet. Für ihn sei das selbstverständlich, sagte der Künstler jetzt bei der Eröffnung seiner Ausstellung in Wien. Schließlich sei er selbst Flüchtling: "Ich bin über viele Jahre in Flüchtlingslagern aufgewachsen, während mein Vater öffentliche Toilettenanlagen putzen musste." Er wisse genau was es bedeute, diskriminiert und unterdrückt zu werden.

Gigantisches - und Winziges

Weitere Exponate, die in der Wiener Ausstellung zu sehen sind, enthalten ebenfalls versteckt politische Botschaften, wenn auch in subtilerer Form. Eine alte chinesische Ahnenhalle wurde in China in 1300 Teile zerlegt und von dort in Kisten nach Wien verschifft. Im 21er Haus ist das 14 Meter hohe Holzbauwerk aus der späten Ming-Dynastie (1388-1644) wieder detailgenau zusammengesetzt.worden. Der Tempel gehörte einmal einer chinesischen Teehändlerfamilie, die zur Zeit der Kulturrevolution vertrieben wurde.

Ausstellung von Ai Weiwei im Park des Wiener Belvedere. (c) dpa - Bildfunk+++ Copyright: picture alliance/dpa/C. Bruna
Wie Seerosen: Schwimmwesten von gestrandeten Flüchtlingen als KunstobjektBild: picture alliance/dpa/C. Bruna

Das fragile Gebäude wird zum ersten Mal außerhalb Chinas gezeigt. Nicht nur das Ziel - in diesem Fall der angekommene Tempel - zähle, sondern auch der Weg des Kunstwerks nach Europa, sagte Kurator Alfred Weidinger. Daher habe er veranlasst, dass man per GPS den Transport im Internet verfolgen könne.

Aber nicht nur monumentale Arbeiten, wie sie für Ai Weiwei typisch sind, sind in Wien zu sehen, sondern auch kleine Objekte - etwa ein aus Teeblättern angefertigtes winziges Häuschen, das wiederum auf einem Teeblatt steht. Ein Sinnbild für den kulturellen Hintergrund, aus dem Ai Weiwei stammt.