Neuer Anführer
16. Juni 2011Mit Aiman Al Sawahiri hat das Al-Kaida-Netzwerk eines seiner bekanntesten Gesichter und ein langjähriges Führungsmitglied zum Nachfolger des getöteten Osama Bin Laden ernannt. Sawahiri wurde 1951 im Kairoer Stadtteil Maadi geboren und stammt aus einer angesehenen Familie. Sein Vater war Mediziner, ein Großonkel Imam an der berühmten al-Ahzar-Universität in Kairo. Der von klein auf als besonders gläubig geltende Aiman trat in die Fußstapfen seines Vaters und studierte in Kairo Medizin. Bereits als Jugendlicher trat er der verbotenen Moslembruderschaft bei. Nach dem Studium arbeitete er drei Jahre lang als Chirurg in der ägyptischen Armee, später als Arzt in einem Kairoer Krankenhaus.
Nach der Ermordung von Präsident Sadat im Jahr 1981 wurde Sawahiri der Mittäterschaft angeklagt. Er wanderte für drei Jahre ins Gefängnis. Nach seiner Haftentlassung reiste der Gotteskrieger nach Afghanistan, wo er Bin Laden kennenlernte und am Kampf gegen die sowjetischen Truppen teilnahm. Nach Kriegsende nahm er erneut den Kampf gegen die ägyptische Regierung auf. Das 1995 in Addis Abeba gegen den damaligen ägyptischen Präsidenten Mubarak verübte Attentat trug Sawahiris Handschrift.1998 wurde er dafür in Kairo in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Schon frühzeitig sah Sawahiri die Anwendung von Terror als Mittel zum Zweck an.
Ägypter aus gutem Haus
Die gewaltsame Errichtung eines islamischen Gottesstaates und die Vertreibung der USA aus der Golfregion verband ihn auch ideologisch mit Osama bin Laden, der 1988 das Terrornetzwerk der Al Kaida gegründet hatte. Gemeinsam planten beide die Anschläge auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania im Jahr 1998. Der rhetorisch aggressive und theologisch gebildete Akademiker Sawahiri stieg schnell zum Chefideologen der Kaida auf. "Es gibt niemanden, der sein intellektuelles Gewicht erreicht. Im verbleibenden Al-Kaida-Führungspersonal ist er der Riese", sagt Fawaz Gerges, Professor für Nah- und Mittelost-Studien an der London School of Economics.
Den größten Triumph des Terrornetzwerks teilte sich Sawahiri demonstrativ mit Bin Laden. In einem kurz nach den Anschlägen vom 11. September veröffentlichten Video tauchten die beiden gemeinsam auf. In den letzten Jahren wurde Sawahiri immer mehr als rechte Hand Bin Ladens und nach ihm als wichtigster Mann der Kaida angesehen.
Hassprediger von intellektuellem Gewicht
Für Guido Steinberg, Islamexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, ist die Ernennung des Ägypters denn auch keine Überraschung: "Aiman Al-Sawahiri war die unbestrittene Nummer zwei der Organisation und es war gar nicht möglich, dass ein anderer jetzt die Rolle des Al-Kaida-Führers einnimmt." Das liegt auch daran, dass Sawahiri, anders als der hauptsächlich mit seiner Flucht beschäftigte Bin Laden, über die Jahre hinweg immer wieder und in mehr als 20 Videobotschaften in Erscheinung trat. Mit seinem weißen Turban, dem Gewehr an seiner Seite und einer angeblich vom Beten stammenden Narbe an der Stirn wurde er neben Bin Laden zu einem der Gesichter der Terrororganisation. In diesen Videobotschaften rechtfertigte Sawahiri regelmäßig Terroranschläge der Al Kaida, wie die auf das öffentliche Nahverkehrssystem in London im Jahr 2005.
Al Sawahiri steht seit dem Tod von Osama bin Laden ganz oben auf der Fahndungsliste des FBI. Zusammen mit anderen Al-Kaida-Führern war er nach dem Sturz der Taliban mutmaßlich im benachbarten Pakistan untergetaucht. Es hat mehrere Versuche gegeben, ihn mit Drohnen zu töten. Der wohl spektakulärste Versuch schlug im Januar 2006 im pakistanischen Damadula fehl, wo sich Sawahiri nicht, wie zunächst vermutet, unter den Opfern befand.
Herkunft als Spaltpilz
Mit dem Ägypter Sawahiri an der Spitze der weltweit agierenden Terrororganisation verschieben sich die Gewichte innerhalb des Netzwerkes. Vor allem der jemenitisch-saudische Teil Al Kaidas habe damit an Einfluss eingebüsst, meint Guido Steinberg: "In der neuen Führung wird man nun einen saudi-arabischen Staatsbürger benötigen, um die Golfaraber an die Organisation zu binden und eine Spaltung zu verhindern".
Nach Einschätzung von Terrorexperten hatte Sawahiri - ebenso wie Bin Laden - zuletzt kaum noch Einfluss auf das operative Geschäft der Terroristen. Seine Ernennung zum Al-Kaida-Chef könnte von daher vor allem symbolischen Wert haben und von dem Bemühen getragen sein, die fortdauernde Präsenz des Netzwerks zu demonstrieren.
Autor: Daniel Scheschkewitz
Redaktion: Thomas Latschan