Nawalny fordert den Kreml heraus
2. Mai 2013Ironie ist sein Markenzeichen, und er hat sie noch nicht verloren. "Ich bin im Zug aufgewacht und habe erfahren, dass gegen mich ein weiteres Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde", twitterte Alexej Nawalny. Die Reise habe sich gelohnt. Gemeint war die Fahrt in das von Moskau rund 900 Kilometer entfernte Kirow. Dort hatte am Donnerstag (18.04.2013) ein Prozess gegen Russlands bekanntesten Blogger und Oppositionspolitiker begonnen.
Nawalny wird vorgeworfen, 2009 den staatlichen Holzbetrieb "Kirowles" um umgerechnet 400.000 Euro geprellt zu haben. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft. Der 36-Jährige bestreitet alle Vorwürfe und spricht von einem politisch motivierten Verfahren. Viele Beobachter sehen das genauso. "Das ist ein rein politischer Prozess", sagte Jens Siegert, Leiter des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, der DW.
Führender Kremlkritiker
Gegen Nawalny laufen mindestens noch fünf weitere Ermittlungsverfahren, ebenfalls im Zusammenhang mit vermeintlichen Wirtschaftsverbrechen. Der Anwalt und Blogger gilt in Russland inzwischen als einer der führenden Kremlkritiker. Er war es, der die Regierungspartei "Einiges Russland" erstmals eine "Partei der Gauner und Diebe" nannte. Er steckte auch hinter dem Aufruf, Fälschungen bei der Parlamentswahl im Jahr 2011 zu dokumentieren. Zehntausende folgten dem Appell.
Groß, blond, eindrucksvoll - so beschreibt die US-Journalistin Julia Ioffe den Oppositionellen Nawalny. Sie berichtet für die Magazine "New Yorker" und "Foreign Policy" aus Moskau. Über Nawalny hat sie schon viel geschrieben. "Er ist der einzige Politiker im heutigen Russland mit Potential", sagte sie im DW-Gespräch. Nawalny sei einer, "der aus der Mittelschicht kommt und deren Sorgen versteht".
Kein Berufspolitiker
Dabei ist Nawalny kein klassischer Berufspolitiker. Eine Partei hat er auch nicht hinter sich. Er studierte Jura und Börsenwesen in Moskau. Danach verbrachte er einige Zeit an der renommierten Universität Yale in den USA. Zwischen 2000 und 2007 engagierte sich Nawalny bei der liberalen russischen Partei "Jabloko". Wegen umstrittener Äußerungen wurde er aber ausgeschlossen.
Nawalny bezeichnete sich damals selbst als "vernünftigen Nationalisten". Bis vor wenigen Jahren nahm er sogar an den so genannten "Russischen Märschen" teil. Sie werden von Rechtsextremisten organisiert, die Stimmung gegen Migranten machen. Nawalny distanzierte sich später von diesen Aktionen, sagte aber, im Vielvölkerstaat Russland sollte man das Thema "nicht tabuisieren". Dieser Überzeugung seien nicht nur einfache Russen, sondern auch Teile der Mittelschicht, glaubt die US-Reporterin Julia Ioffe. Nawalnys Beteiligung an den Märschen sei ein "zynisches Manöver" der Organisatoren, um eine breitere Unterstützung in der Bevölkerung zu bekommen. Jens Siegert von der Böll-Stiftung in Moskau teilt diese Kritik: "Ich glaube, dass Nawalny da mit dem Feuer gespielt hat."
Erfolgreich im Netz
Nawalny verdankt seinen Aufstieg in erster Linie dem Internet. Seinen Blog im russischen "LiveJournal" lesen Hunderttausende. Aber er betreibt noch weitere Internetseiten, auf denen er Korruption und Machenschaften russischer Staatsfirmen offenlegt. Einige Abgeordnete der Kreml-Partei "Einiges Russland" sahen sich bereits gezwungen, nach Nawalnys Enthüllungen ihr Mandat niederzulegen.
Als neuer Oppositionsführer trat Nawalny vor allem bei den Demonstrationen für mehr Demokratie im Winter 2012 in Erscheinung. Er organisierte Proteste und wurde mehrfach vorübergehend festgenommen. Im Herbst 2012 erhielt er bei den Wahlen zum Koordinationsrat der Opposition, der sich als Kopf der Protestbewegung versteht, die meisten Stimmen.
Blogger als Präsident?
Kurz vor Beginn des Gerichtsprozesses in Kirow machte Nawalny deutlich, er habe Ambitionen auf das höchste Staatsamt. "Ich will Präsident werden und das Leben im Land verändern", sagte er in einem Interview. Nawalny wolle damit aber nur Aufmerksamkeit auf den Prozess lenken, glauben Beobachter. "Einen Präsidentschaftskandidaten zu verurteilen, ist etwas anderes, als einfach nur einen normalen Oppositionellen", so Jens Siegert von der Böll-Stiftung.
Ob Nawalny tatsächlich Chancen hätte, bei der nächsten Wahl 2018 Präsident Russlands zu werden, lässt sich noch nicht abschätzen. Nach Umfragen sind derzeit nur 13 bis 19 Prozent der Russen bereit, für Nawalny zu stimmen. Sollte er verurteilt werden, wäre ihm der Weg in den Kreml versperrt. Auch wenn das Gericht eine Bewährungsstrafe verhängen sollte, dürfte er als Vorbestafter nicht kandidieren.