Algenschwemme in der Karibik - Fluch oder Chance?
28. April 2023Wer derzeit in der Karibik oder am Golf von Mexiko im Meer schwimmen möchte, muss sich erst einmal durch einen meterbreiten Teppich aus Algen kämpfen, genauer gesagt durch Braunalgen der Gattung Sargassum. Selbst Barrieren vor den Stränden oder das Abfangen im Meer reichten nicht aus, um die immense Menge zu bewältigen, berichtet die Deutsche Presse-Agentur.
Und so türmen sich an vielen Stränden breite Algenstreifen und verbreiten einen unangenehmen Gestank. Es ist Schwefelwasserstoff, der durch ihre Verrottung entsteht - und er kann lebensgefährlich sein, wie Fälle aus der Bretagne zeigen, wo man ebenfalls immer wieder mit Algenschwemmen zu kämpfen hat.
Wie gefährlich ist eine Algenschwemme an der Küste?
Würden die Braunalgen nicht fachgerecht getrocknet und entsorgt, entstünden noch weitere Probleme, sagt Mar Fernández-Méndez vom Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung mit Sitz im deutschen Bremerhaven. Sie forscht dort zum Kohlenstoffkreislauf des Meeres.
"Wenn die Algen verrotten, setzen sie auch Kohlendioxid (CO2) und Methan frei, was den Klimawandel anheizt. Außerdem geben sie giftige Substanzen wie Arsen ab, die sie aus dem Meer aufgenommen haben - und die können das Grundwasser vergiften." Doch gerade in den ärmeren Staaten der Karibik sei es oft so, dass man einfach ein Stück Dschungel rode und die stinkenden Massen dort sich selbst überlasse - Hauptsache weg von der Küste.
Die im Wasser treibenden Algen veränderten außerdem das küstennahe Ökosystem, erklärt die Wissenschaftlerin. "Die angeschwemmten Sargassum-Teppiche lassen kaum noch Licht ins Wasser, auch der Sauerstoff wird knapp, weil Bakterien bei der Verrottung im Wasser Sauerstoff verbrauchen." Darunter litten viele Meereslebewesen: Fische, Korallen aber auch Mangrovenbäume.
Kein Ende der aktuellen Algenplage in der Karibik in Sicht
Satellitenbeobachtungen deuten darauf hin, dass es mehr Sargassum gibt als jemals zuvor zu dieser Jahreszeit. Und zwar im sogenannten Großen Atlantischen Sargassumgürtel (Great Atlantic Sargassum Belt - GASB), der sich zu Spitzenzeiten von der Küste Floridas durch den Golf von Mexiko über die Nordküsten Südamerikas bis nach Westafrika zieht. Der Universität von Südflorida zufolge trieben Ende März rund 13 Millionen Tonnen der freischwimmenden Braunalgen vom Zentralatlantik auf die Karibik zu.
"Die Sargassum-Populationen nehmen im Frühjahr und Sommer zu, wenn die Bedingungen für das Wachstum (durch Sonne und Wärme - Anm.d.Red.) günstiger sind; daher wird die Blüte in diesem Jahr wahrscheinlich stärker ausfallen als im Spitzenjahr 2018", sagt Brigitta van Tussenbroek. Sie ist leitende Forscherin der Abteilung für Riffsysteme an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko mit dem Schwerpunkt Seegräser und Makroalgen.
Der Höhepunkt der Blüte wird im Juni oder Juli erwartet. Wann und wo die Algen dann später an die Küsten gespült werden, lässt sich nur schwer vorhersagen.
Insgesamt lasse sich feststellen, dass die Algenblüte seit der Entstehung des GASB im Jahr 2011 zunehme, so van Tussenbroek. Das heißt: Das Problem der Algenschwemme dürfte noch zunehmen.
Was ist der Grund für das starke Algenwachstum im Atlantik?
Sargassum stammt ursprünglich aus der Sargassosee, östlich von Florida, wo es die Braunalgen immer schon gab. Durch Veränderungen der Winde und Strömungen im Nordatlantik, verursacht durch den menschengemachten Klimawandel, wurde im Jahr 2011 ein Teil aus der Sargassosee südwärts herausgetrieben und gelangte bis zum tropischen Atlantik. Dort fanden die Braunalgen günstige Ausbreitungsbedingungen: viel Sonnenlicht, hohe Wassertemperaturen und Nährstoffe.
Warum sich die Algen so extrem stark ausbreiteten, ist in der Wissenschaft nicht abschließend geklärt. Klar sei aber, dass allein die erhöhte CO2-Konzentration in der Atmosphäre das Wachstum der Algen verstärke - wie das aller Pflanzen, so Fernández-Méndez. Zudem beschleunige die Erderwärmung alle biologischen Prozesse, auch im Meer, betont Florian Weinberger, zuständig für den Bereich Marine Ökologie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung im deutschen Kiel.
"Grundsätzlich aber nehmen die Nährstoffeinträge in die Ozeane ganz generell zu. Bisher war das ist den meisten Gegenden der Erde kein Problem, weil das Meer in der Lage war, die Nährstoffe zu verdünnen - aber irgendwann ist auch hier eine Grenze erreicht."
So zeigt eine aktuelle Studie aus den USA, dass in den vergangenen Jahrzehnten immense Mengen an Stickstoffverbindungen vor allem aus übermäßigem Düngemitteleinsatz der Landwirtschaft in die Ozeane gelangten, vor allem in Form von Ammoniak. Der Anteil dieser gasförmigen Stickstoffverbindung habe 2018 um fast 90 Prozent über dem von 1970 gelegen, berichtet das Forschungsteam.
Wie lässt sich das Algenwachstum stoppen?
Zwar könnten Filteranlagen helfen, dass etwas weniger Nährstoffe in den Ozean gelangten, erklärt Florian Weinberger. Doch selbst wenn ab sofort jeglicher Eintrag gestoppt würde, würde es viele Jahrzehnte dauern, bis das zu einer messbaren Veränderung der Meeresumwelt führen würde. "In Dänemark hat es mehr als 30 Jahre gedauert, bis die von der Regierung angeordnete Begrenzung der Düngemengen zu einer Verbesserung der Küstengewässer führte."
"Wir müssen aufhören, so viel CO2 in die Atmosphäre zu pusten, also die Erderwärmung stoppen", betont Fernández-Méndez. Doch selbst dann würden sich Effekte auf das Algenwachstum nur sehr langsam einstellen.
Algenfarmen in Aquakulturen: Rettung gegen Klimawandel?
So verwunderlich es angesichts der aktuellen Situation klingen mag: Mar Fernández-Méndez und Florian Weinberger wollen dafür sorgen, dass künftig sogar noch mehr Braunalgen in den Ozeanen wachsen. Denn die beiden Forschenden sind davon überzeugt, dass die Algen wichtige, und vielleicht entscheidende Helfer im Kampf gegen Erderwärmung und Klimawandel sein könnten.
Zum einen reflektierten schwimmende Algen mehr Sonnenlicht als der offene Ozean, was bei einer Vergrößerung der Algenfläche möglicherweise zu einem Rückgang der globalen Temperatur führen könnte. Zum anderen, so Fernández-Méndez: "Sargassum nimmt sehr viel CO2 auf und speichert es sehr schnell. Sein Potential, Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu ziehen, ist extrem hoch." Eine "Aufforstung" der Ozeane mit Braunalgen in Aquakulturen habe das Potential, pro Jahr 64 Gigatonnen CO2 aufzunehmen - wenn man alle dafür in Betracht kommenden maritimen Anbauflächen nutzen könnte.
Zur Einordnung: Laut Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) kann das Pariser Klimaziel zur Eindämmung der Erderwärmung auf 1,5 Grad nur noch erreicht werden, wenn der Atmosphäre aktiv CO2 entzogen wird. Dieses sogenannte Carbon Dioxide Removal, kurz CDR, muss demnach zwischen 100 bis 1000 Gigatonnen CO2 im Laufe dieses Jahrhunderts liegen.
Damit das in den Algen gespeicherte CO2 lange gebunden bleibt, müssten die Algen in Ballen gepresst in die Tiefsee versenkt werden, wo der Kohlenstoff im Laufe der Zeit von Sediment am Meeresboden überdeckt würde und mehr als 1000 Jahre verweilen könne, so die Idee.
Allerdings sei der gezielte und eingegrenzte Anbau auf offener See technisch bislang schwierig, vor allem wegen des oft hohen Wellengangs und starker Winde, gibt Weinberger zu.
Braunalgen als echte Alleskönner
Doch selbst wenn Braunalgen in kleinerem Stil in Aquakulturen angebaut würden, bringe das viele Vorteile. "Braunalgen enthalten bestimmte Mehrfachzucker, die eine sehr gute Gelierfähigkeit besitzen - das ist vor allem für die Kosmetik- und die Lebensmittelindustrie interessant", erklärt Weinberger. Vor allem aber könne aus ihnen Biogas und Bioöl gewonnen werden, was fossile Rohstoffe, wie Erdgas oder Erdöl und damit etwa auch fossiles Plastik ersetzen könne.
"Es gibt zwar schon viele kleine bis mittelgroße Initiativen zur Herstellung von kommerziellen Produkten aus Sargassum, das an Land gespült wird, etwa als Baumaterial und Biomasse", sagt Brigitta van Tussenbroek von der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko. Allerdings fehle denen bisher ausreichende Unterstützung.
Und es gibt noch ein ganz praktisches Problem bei der Verwendung der Biomasse aus der Braunalgenschwemme, wie Mar Fernández-Méndez berichtet. "Man weiß im Vorfeld nie ganz genau, wie viel Sargassum wann und wo angespült wird. Das verhindert, dass diese Initiativen langfristige Verträge, etwa mit Kosmetik- oder Baufirmen schließen können." Auch hier, so die Wissenschaftlerin, könnte der Anbau in Aquafarmen helfen, die benötigten Mindestmengen vorzuhalten.
Redaktion: Tamsin Walker
Korrekturhinweis: In einer früheren Version hieß es, dass 13 Tonnen der Braunalgen auf die Küste zuschwämmen. Tatsächlich sind es 13 Millionen Tonnen. Dies wurde korrigiert. Die Redaktion bittet, den Fehler zu entschuldigen.