1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Kein schmutziger Deal"

19. März 2016

Die EU hat sich mit der Türkei auf ein umstrittenes Abkommen zur Begrenzung der Zahl der Flüchtlinge geeinigt. Nail Alkan von der Gazi Universität in Ankara spricht im DW-Interview von einem "Gewinn für beiden Seiten".

https://p.dw.com/p/1IGR6
Jean-Claude Juncker, Ahmet Davutoglu, Donald Tusk, Mark Rutte in Brüssel - Foto: Olivier Hoslet (EPA)
Bild: picture-alliance/dpa/O.Hoslet

Deutsche Welle: Herr Alkan, ist dieses Abkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Union eine Lösung für die Flüchtlingskrise?

Alkan: Die Zeit wird zeigen, dass es sich nicht um eine endgültige Lösung handelt. Aber das Abkommen ist eine Lösung auf Zeit. Das heißt, mit kleinen Schritten werden vielleicht größere Lösungen gefunden. Meiner Ansicht nach ist dieses Vorgehen nötig, damit die Europäische Union positiv in die Zukunft blicken kann. Die Europäische Union versucht, den Flüchtlingsstrom einzudämmen und die Schlepperbanden zu bekämpfen. Das heißt, wenn die Menschen nach Europa wollen, dann sollen sie auf legalen Wegen kommen. Das ist einer der wichtigsten Punkte, die in Brüssel jetzt verabschiedet wurden.

Wie bewerten Sie dieses Abkommen aus der Perspektive der Türkei? Ist es ein Erfolg für den Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu?

In der türkischen Presse wird von einem historischen Tag in den Türkei-EU-Beziehungen gesprochen. Die türkische Bevölkerung wartet seit Jahrzehnten darauf, dass sie ohne Visa in die europäischen Staaten einreisen kann. Mittlerweile spricht man offen darüber, dass ab Juli der Visumszwang wegfällt. Auf der anderen Seite, es ist ein historischer Tag, weil neue Kapitel in den Beitrittsverhandlungen eröffnet werden. Auch das ist ein Erfolg. Also, die Türkei - Bürger wie Medien - ist von dem Abkommen positiv beeindruckt. Die einstige Euphorie für die Europäische Union war zuletzt sehr stark gesunken. Ich glaube, mit solch kleinen Schritten wie der Visumsfreiheit und den neuen Beitrittskapiteln wird sich das wieder ins positive verkehren.

Der türkische Ministerpräsident Davutoglu sagte nach dem Gipfel, dass die Türkei bereits 37 von 72 Bedingungen erfüllt habe, um eine Visa-Befreiung zu erreichen. Die türkische Regierung will alle Bedingungen bis Mai erfüllen. Ist das realistisch?

Es ist eine politische Frage: Wenn die Regierung die Kriterien erfüllen will, sollte sie sich auch mit der Opposition zusammensetzen. Es ist machbar. Es ist erst mal vom Prinzip her wichtig, ob die Türkei bereit ist, diese Kriterien zu erfüllen und dann sollte man auch noch bedenken: Ist die Europäische Union bereit, die Visapflicht abzuschaffen? Das sind sehr heikle Fragen auf beiden Seiten. Staaten wie Frankreich und Österreich sind nicht unbedingt sehr angetan. Natürlich braucht die Europäische Union zurzeit die Türkei, weil die EU sonst die Flüchtlingskrise nicht lösen kann. Deshalb sollte man auch einige Zugeständnisse machen. Denn bedenken Sie, die Türkei wartet 1959 vor den Toren Europas, um eingelassen zu werden. Irgendwann wollen die Türken nicht mehr warten. Deshalb sollte auch die EU versuchen, auf die Türkei zuzugehen.

Das Abkommen zwischen der Türkei und Europäischen Union wurde von der Opposition in Deutschland heftig kritisiert. Auch Menschenrechtsorganisationen äußern Bedenken. Sie sagen, dass dieses Abkommen nicht menschlich ist und gegen das Völkerrecht verstößt. Ist es ein schmutziger Deal, wie die Kritiker sagen?

Nein, es ist kein schmutziger Deal. Es ist ein Deal! Beide Seiten versuchen, hier etwas zu gewinnen. Es zwingt ja keiner die Europäische Union, mit der Türkei ein Abkommen zu schließen. Das heißt, die beiden Seiten brauchen einander. Auch die Türken haben ein Problem mit den Flüchtlingen. Wir haben zurzeit 2,7 Millionen Flüchtlinge im Land und auch wir wollen, dass es irgendwie geregelt wird. Wie gesagt, beide Seiten versuchen, hier einen Gewinn herauszuschlagen: Die Regierung in Ankara sieht den vielleicht eher auf der Schiene Türkei-EU. Die Europäische Union wird durch den Stopp der illegalen Zuwanderung gewinnen.

Mustafa Nail Alkan ist Professor an der Gazi Universität in Ankara. Sein Forschungsschwerpunkt sind die Beziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union.

Das Gespräch führte Jülide Danışman.