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Alle an Bord: Das 9-Euro-Ticket naht

16. Mai 2022

Wegen steigender Energiepreise will Deutschland die Kosten für den öffentlichen Nahverkehr senken - für drei Monate. Doch der Plan ist umstritten.

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Berliner U-Bahn
Bild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Es ist fast soweit: Bald beginnt ein Sommer des günstigen Reisens. Ab dem 1. Juni soll der öffentliche Nahverkehr in ganz Deutschland drei Monate lang nur noch neun Euro pro Monat kosten. Das gilt für alle Arten des Stadt- und Regionalverkehrs.

Zum Vergleich: 27 Euro zahlen die Fahrgäste also in den drei Monaten für das Ticket. Das ist etwa halb so viel wie die günstigste Monatskarte für die Berliner Innenstadt-Ringe kostet.

Das Ticket mit dem Namen "9 für 90" ist eine Reaktion auf den Einmarsch Russlands in der Ukraine, der die ohnehin schon hohen Energiepreise noch weiter in die Höhe getrieben hat. Es ist Teil eines größeren finanziellen Entlastungspakets und zielt darauf ab, den Benzinverbrauch zu senken und das klimaneutrale Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fördern.

"Jeder, der den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nutzt, leistet einen großen Beitrag, unser Land unabhängig von der russischen Energieversorgung zu machen und auf dem Weg zur Klimaneutralität voranzubringen", sagte Verkehrsminister Volker Wissing nach einem Treffen mit den Verkehrsministern der Bundesländer Anfang des Monats.

BG Deutschland neue Bundesregierung
Die Bundesregierung um Volker Wissing will das Ticket mit Milliarden finanzierenBild: Reuhl/Fotostand/picture alliance

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, dass 2,5 Milliarden Euro zur Finanzierung des dreimonatigen Programms bereitstehen. Bundestag und Bundesrat sollen noch in diesem Monat über die Maßnahme abstimmen. Es wird erwartet, dass sie trotz Bedenken mancher Bundesländer verabschiedet wird.

Durch die Stadt - und das ganze Land

"Das könnte längerfristig mehr Menschen dazu verleiten, statt des Autos die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen", sagt Jon Worth, ein Verfechter der Bahn, der DW. "Und es wird auch für Touristen funktionieren, denn jeder kann diese Fahrkarte kaufen.

Das subventionierte Ticket ist zwar in erster Linie für Pendler gedacht, damit sie sich ohne ihr benzinschluckendes Auto fortbewegen, könnte aber auch viel weiter gehen. Wer Zeit hat und sich von mehrfachem Umstiegen nicht abschrecken lässt, kann für neun Euro ganz Deutschland und sogar einige Orte jenseits der Grenze erreichen.

"Auch wenn das Ticket ein attraktives Angebot ist, werden die Menschen allein über den günstigen Preis, zumal befristet, nicht zum vermehrten Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen sein", teilt Huberta Sasse, Sprecherin des Deutschen Tourismusverbands (DTV), der DW mit. "Der DTV fordert seit langem einen schnellen und konsequenten Ausbau des Schienennetzes und der ÖPNV-Infrastruktur, bessere Verbindungen und eine dichtere Taktung im ÖPNV. Nur dann gelingt auch wirklich ein Umstieg."

Nachfrage bedienen - aber nur in der Stadt?

13 Millionen Pendler und Pendlerinnen nutzen in Deutschland täglich die Regionalzüge der Deutschen Bahn. Sie beschweren sich regelmäßig über überfüllte und verspätete Züge, schlechten Service und gestrichene Strecken. Das Unternehmen führt Ausfälle teilweise auf Gleisarbeiten zurück, die aber die Bedingungen langfristig verbessern würden.

"Mit den neuen und neu designten Zügen erhöhen wir die Kapazität, den Komfort und verbessern die Fahrgastinformation. Diese kontinuierliche Modernisierung ist ein stetiger Attraktivitätsschub für Bahn und ÖPNV - auch für den Zeitraum des 9-Euro-Tickets", sagt DB-Sprecherin Maria Menz der DW in einer Stellungnahme.

Es ist unklar, wie sich das 9-Euro-Ticket auf die Nachfrage auswirken wird. In einer aktuellen Umfrage für die ARD gaben 44 Prozent der Befragten an, dass sie das Ticket auf jeden Fall oder wahrscheinlich nutzen wollten. In der Stadt sind es 60 Prozent, auf dem Land weniger als 40 Prozent.

Viele vermuten, dass das Ticket kaum Auswirkungen auf ländliche Regionen haben wird, in denen die Bewohner stärker auf das Auto angewiesen sind und weit weniger öffentliche Verkehrsmittel zur Verfügung haben im Vergleich zu Städten. Der Sprecher des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, kritisiert den Plan der Bundesregierung als politischen Schachzug, der nur mit großem Aufwand umzusetzen sei und keine dauerhafte Veränderung bewirken werde. Besser sei es, die Milliarden in die Verbesserung von Infrastruktur und Angebot zu investieren, sagte er der Nachrichtenagentur dpa.

Die örtlichen Verkehrsunternehmen begrüßen zwar die politische Aufmerksamkeit, beklagen sich aber über den Verwaltungsaufwand. Sie müssen neue Plattformen für den Verkauf des Sondertickets entwickeln, und Fahrgäste mit bestehenden Monatskarten während des dreimonatigen Zeitraums für die Differenz entschädigen.

Die größte Unbekannte ist derzeit, wie es nach August weitergeht. In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung bereit erklärt, ihre finanzielle Unterstützung für den Nahverkehr zu erhöhen. Das war, bevor Inflation und Krieg die Energiepreise in die Höhe schießen ließen. Weder das Verkehrs- noch das Finanzministerium, die beide von der FDP geleitet werden, haben feste finanzielle Zusagen gemacht, die über das 9-Euro-Ticket hinausgehen.

"Wir haben die Sorge, dass nach dem schönen Sonderangebot die Ticketpreise durch die Decke gehen, weil die Kosten für Energie und Treibstoffe drastisch steigen", sagte Winfried Hermann, Verkehrsminister in Baden-Württemberg, bei der Ministerkonferenz Anfang des Monats.

Trotz der Unwägbarkeiten und der noch zu klärenden Details sind viele Bahn- und Klimaschützer zuversichtlich, dass das preisgünstige Reisen in diesem Sommer ausreichen wird, um mehr Menschen davon zu überzeugen, ihr Auto stehen zu lassen.

"Viele der Beteiligten sind zur Zeit dabei, im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles zu organisieren, damit diese drei Monate so sinnvoll wie möglich ablaufen und vor allem die Fahrgäste, die zum ersten Mal den ÖPNV nutzen, keine Abschreckungserlebnisse haben", sagt Peter Cornelius, Leiter des Berliner Büros von Pro Bahn, einem Fahrgastverband, der DW.

Bereits am 23. Mai soll der Ticketverkauf starten.

Dieser Text ist aus dem Englischen adaptiert.