Arbeitskräfte vom Balkan
14. September 2015... 20.000 Arbeitsplätze jährlich! Für die Menschen in den Ländern des Westbalkans klingt das wie ein Aufruf zum Aufbruch in das "Gelobte Land". Denn in Bosnien-Herzegowina, Serbien, dem Kosovo, Montenegro, Mazedonien und Albanien herrscht vielerorts die Vorstellung, dass Deutschland ein Land sei, in dem sie ein besseres Leben finden.
Im Kosovo, dem Land, aus dem in den vergangenen Monaten die meisten Balkan-Flüchtlinge nach Deutschland kamen, wird die Ankündigung der deutschen Ministerin als pro-europäischer Impuls verstanden. Safet Gerxhaliu, Präsident der Wirtschaftskammer des Kosovo, betont, dass so eine Idee, wenn Berlin sie denn auch in die Tat umsetzt, positive Effekte für die Kosovaren hätte. "Dies würde eine Botschaft beinhalten, dass wir zu Europa gehören", sagt Gerxhaliu. "Da wäre aber auch eine wirtschaftliche Dimension. Wenn schon keine direkte Investitionen in die Balkanländer getätigt werden, kann man auf diese Weise einige Prozesse in der Region erleichtern oder beschleunigen." Die Wirtschaftslage im Kosovo sei nicht gut und immer weniger ausländische Investitionen kämen ins Land. Jobaussichen in Deutschland wären für viele junge Menschen aus dem Kosovo ein Hoffnungsschimmer, sagt Gerxhaliu.
"Wer einmal weggeht, kommt nie wieder zurück"
Nicht ganz so positiv sieht das allerdings die mazedonische Wirtschaftsprofessorin Marija Zarezankova-Potevska. Sie warnt vor negativen Folgen der Initiative von Ministerin Nahles für die Westbalkan-Länder. Die direkte Abwanderung von Arbeitskräften bedeutete zwar eine kurzfristige Entspannung, weil auch nichtqualifizierte Arbeitskräfte und Arbeitslose weggingen. Andererseits könnten sich dadurch aber demographischen Strukturen ändern, "weil das keine großen Länder sind". Wenn man zulasse, dass Menschen, die dort ausgebildet wurden, weggingen, müsse man sich auch dessen bewusst sein, dass sie nicht wieder zurückkämen. Deswegen sei es wichtig, für diese Menschen langfristig "Lösungen in den eigenen Ländern zu finden".
Dass Andrea Nahles nun jährlich Arbeitsplätze für 20.000 Menschen ausgerechnet vom Westbalkan zugänglich machen wolle sei eine logische Entscheidung, sagt Erol Mujanović, Arbeitsmarktexperte aus Bosnien-Herzegowina. Schließlich hätten sich Gastarbeiter vom Balkan im Ausland als fleißig im bewiesen; in Deutschland seien sie zudem sehr gut integriert. Arbeitskräfte vom Westbalkan bedeuteten für die Wirtschaft Deutschlands "einen vollen Gewinn", so Mujanović.
Er sei sich auch bewusst, dass der Weggang junger Arbeitskräfte einen Verlust für ihre Heimatländer bedeute, "aber es ist auf jeden Fall besser, sie gehen nach Deutschland um zu arbeiten, anstatt in Bosnien-Herzegowina arbeitslos zu sein." Mujanović verweist dabei auf die Devisen, die dann durch solche "neuen Gastarbeiter" in ihre Heimatländer zurückflössen und die Wirtschafte ankurbelten.
Weit weg vom "verblödeten Balkan"
Die Einschätzung Mujanovićs spiegelt wohl die Meinung des Großteils der Bevölkerung wider. Seit Jahren plagt diese Balkanländer eine hohe Arbeitslosigkeit. Auf bis zu 50 Prozent wird die Jugendarbeitslosigkeitsquote in Bosnien-Herzegowina geschätzt. Kosovo zählt immer noch zu den ärmsten Ländern Europas und die Perspektiven für junge Menschen in Mazedonien, Albanien oder Serbien sehen ebenfalls eher düster aus.
Das kann man gut an den Reaktionen auf Nahles' Idee im Netz sehen. So schreibt auf Facebook ein Student aus Sarajevo, er würde sofort weggehen, wenn er könnte nur um nicht mehr "unsere Politiker sehen zu müssen. Ich möchte weit weg von diesem 'verblödeten' Balkan." Andere wiederum halten die Idee von einem festgelegten Kontingent für "dumm" und betonen, man solle so oder so versuchen, in Deutschland Arbeit zu finden.
Soziale Netzwerke verbreiten die Nachrichten
In den sozialen Netzwerken finden sich allerdings auch Kommentare, in denen eigene Erfahrungen mit der Jobsuche in Deutschland weitergegeben werden. Es wird oft darauf hingewiesen, dass eine Beschäftigung in Deutschland mit vielen Bedingungen verknüpft ist. Auf der serbischen DW-Seite auf Facebook zeigt sich, dass die Information über Nahles' Initiative in kürzester Zeit mehr als 100 Mal geteilt wurde. Andererseiits reagieren die Medien in den Ländern bisher eher zaghaft auf die Ankündigungen aus Deutschland. Die Information wurde auf den größeren Online-Portalen zwar veröffentlicht, aber nicht weiter kommentiert. Man will wohl abwarten, was für eine Entscheidung diesbezüglich aus Berlin kommt.
Doch, wie auch immer die Entscheidung über die Initiative von Andrea Nahles ausfällt, angesichts der großen Zahl an Ausreisewilligen ist eine Abwanderung junger Menschen vom Westbalkan wohl nicht aufzuhalten. Deutschland wäre ihre erste Wahl. Wenn das nicht geht, wollen viele junge Menschen ihr Glück anderswo suchen. Hauptsache in Richtung Westen und weit weg vom Balkan.