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Alleskönner Algen

22. Juni 2010

Algen sind nicht nur äußerst vielfältig, robust und anpassungsfähig. "In ihnen stecken auch wertvolle Inhaltsstoffe, Vitamine und Mineralstoffe", schwärmt Biologe Bruno Kremer im Gespräch mit DW-WORLD.DE

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Algen in Kunststoffschläuchen (Foto: DW)
Bild: DW

DW-WORLD.DE: Herr Kremer, was genau sind Algen?

Bruno Kremer, Biologe, Universität Köln: Algen sind eine interessante Organismengruppe mit einer sehr beachtlichen Bandbreite. Algen können einzellige Organismen sein, die nur Bruchteile von Millimetern groß sind, bis hin zu Lebewesen, die man fast nicht mehr alleine wegtragen kann, die viele Kilogramm schwer sind und 40, 50, teilweise sogar 60 Meter lang sind.

Diese einzelligen oder größeren Algen können grün, braun oder rot sein – was hat es mit den verschiedenen Farben auf sich?

Die verschiedenen Farben der Algen stellen äußerst interessante Versuche der Evolution dar, unterschiedliche Bauplantypen zu erproben. Die letzten Endes erfolgreichsten aus dieser – sagen wir mal – Testserie sind die höheren Pflanzen, die sich von den Grünalgen ableiten. Auch wenn Pflanzen unterschiedliche Grünnuancen haben, besitzen sie im Grunde die gleichen Farbstoffe wie die Grünalgen, nämlich zwei Chlorophylle. Andere Algen, die eher braun oder rot sind, haben alternative Farbstoffausstattungen.

Der Biologe von der Kölner Universität, Bruno Kremer, zeigt zwei unterschiedliche Braunalgen (Foto: DW)
Bruno Kremer zeigt zwei unterschiedliche Braunalgen-ArtenBild: DW


Sind die unterschiedlichen Farben eine Anpassung an das Leben unter Wasser?

Genau. Denn in einem Gewässer werden die Farben des Sonnenlichtes, also die Regenbogenfarben, in unterschiedlichen Tiefen unterschiedlich stark absorbiert. Sie werden also schlicht verschluckt und verschwinden. Deshalb sind etwas tiefere Meere eher bläulich, da haben wir ein blaues Tiefenlicht und die dort vorkommenden Algen müssen noch irgendwie Lichtenergie einfangen können und dazu haben sie besondere Farbstoffe.

Wo leben Algen?

Unter Algen verstehen wir normalerweise Lebewesen, die im Wasser leben. Das können Binnengewässer sein, also Süßwasserbiotope aber Algen leben ebenso im Meer. Dieser riesige Lebensraum funktioniert im Grunde genommen fast nur mit Algen, denn sie stellen ganz wichtige Stoffproduzenten dar.

Und wir finden Algen auch auf dem Festland. An Bäumen bilden sich gerne grünliche Überzüge oder auch an Gebäuden oder alten Grabsteinen auf dem Friedhof. Im Prinzip können sich Algen überall dort bilden, wo es schattig und feucht ist.

Bretter, überzogen mit Grünspan (Foto: Flickr/Rookuzz)
Mit einem Algenteppich überzogene BretterBild: cc-by:Rookuzz-sa-2.0

Neben den Grün- Braun und Rotalgen gibt es auch sogenannte Blaualgen. Trotz ihres Namens gehören sie aber zu den Bakterien, genauer gesagt zu den Cyanobakterien. Sie fingen vor etwa 3,8 Milliarden Jahren an, Licht für die Energiegewinnung zu nutzen. Was ist damals passiert?

Anfangs hatten wir eine sogenannte reduzierende Atmosphäre, in der kein freier Sauerstoff vorhanden war. Die Organismen, die sich damals allmählich entwickelten, lebten also ohne Sauerstoff. Dann tauchten innerhalb der Bakterien Formen auf, die nun genau die Art von Photosynthese voranbrachten und praktisch erfunden haben, die wir bis heute bei unseren grünen Landpflanzen finden, nämlich Photosynthese mit Sauerstoffentwicklung. Die rund 20 Prozent Sauerstoff, die wir in der Atmosphäre haben, sind das ausschließliche Ergebnis organismischer Photosynthese.

Freier Sauerstoff ist für die Organismen die normalerweise in Lebensräumen ohne Sauerstoff vorkommen ein arges Gift. Das heißt, diese Umstellung war für viele Organismen eine absolute Katastrophe. Die mussten sich entweder in nach wie vor sauerstofffreie Regionen zurückziehen, zum Beispiel in tiefere Bodenschichten oder sie starben schlicht und ergreifend aus.

Und das berühmte Meeresleuchten verursachen auch Algen?

Das ist eine Gattung, bei der nicht mehr alle Arten zu den Algen gezählt werden. Sie hat den schönen Namen Noctiluca, was soviel bedeutet wie nachtleuchtender Organismus. Die Spezies ruft tatsächlich ein rätselhaftes Leuchten hervor. Die biologische Bedeutung kennen wir - im Gegensatz zum Leuchten anderen Organismen - leider noch nicht. Bei Glühwürmchen dienen Leuchtsignale beispielsweise der Partnerfindung. Bei der Noctiluca haben wir noch keine Idee.

Algen sind ja allgegenwärtig, wir sind uns dessen jedoch nicht immer bewusst oder?

Wir kommen jeden Tag mehrfach mit Algenstoffen zusammen. Das beginnt spätestens zu Hause unter der Dusche. Die meisten Duschgele sind mit Algenstoffen angereichert, die die Kontaktzeit mit der eigentlich reinigenden Komponente eines Duschgels und der Haut verlängern sollen, damit das Wasser nicht sofort wieder abperlt. Außerdem gibt es jede Menge Algeninhaltsstoffe in der Zahnpasta. Dass die so schön geräuschlos aus der Tube quillt, verdanken wir Zusatzstoffen von Braunalgen. Auch beim Frühstück kommen wir in Kontakt mit Algen, nämlich dann, wenn wir Joghurt essen. Hier sorgen die Algen dafür, dass der Joghurt fest bleibt.

Nori-Algen-Blätter (Foto: cc_GNU 1.2)
In solche Nori-Algen-Blätter wickeln Japaner Fisch, Gemüse und Reis einBild: cc_GNU1.2

Algen sollen ja auch gesund und schmackhaft sein. Haben sie schon mal Algen gegessen?

Ich habe sie probiert, ich habe auch gelegentlich selber mit Algen gekocht, es ist eine interessante kulinarische Erfahrung! In bestimmten Ländern dieser Erde leben Menschen seit Jahrtausenden von Algen. In Europa ist das nicht ganz so populär, jedenfalls nicht im binnenländischen Europa. In den Küstenregionen gehören Algen schon zum traditionellen Meeresgemüse. So kann man beispielsweise in Frankreich, in der Bretagne, in jedem Supermarkt einen Salat de Pêcheur, also einen Fischersalat oder Anglersalat erwerben. Das ist ein Mix aus verschiedenen Meeresalgen. Und der schmeckt gar nicht schlecht!

Bruno Kremer ist Biologe an der Universität Köln und Autor verschiedener Bücher über Algen.

Das Gepräch führte Insa Pohlenga
Redaktion: Judith Hartl