#almanhass: Wird der Twitter-Spaß ernst?
18. Januar 2016"Inshallah heute Almans in Disneyland schlachten", twittert der Nutzer Can und postet dazu das Bild des Gangster-Rappers Massiv, der mit erhobenem Daumen vor einem Disney-Märchenschloss posiert. "Almans" ist das türkische Wort für "Deutsche". Das Boulevardblatt "Bild" kommentiert: "Diesen geschmacklosen Tweet unter dem Hashtag #almanhass kann, wer möchte, als Terrordrohung verstehen." In Onlineforen ereifern Nutzer sich gar: "Bei Twitter wird zum Mord an Deutschen aufgerufen."
Ist das wirklich so? Oder handelt es sich um Satire, die Stereotype des deutschen Spießbürgers auf den Arm nimmt? Wie in diesen spöttischen Tweets: "#almanhass weil in jedem anderen land der welt @mariobarth arbeitslos wäre." Oder: "#almanhass, weil Jens mich bis heute noch wegen den 60 Cent anruft und behauptet mit Zinsen seien das jetzt übrigens 90."
Schwarzer Humor versus böse Rhetorik
Sucht man bei Twitter nach dem Hashtag #almanhass, stößt man auf ein Sammelsurium an Statements: Von erklärten Hip-Hoppern, Netzaktivisten und von Usern, die soziale Medien üblicherweise für krude Pöbeleien oder handfeste Anfeindungen missbrauchen. Bei einigen Kommentaren fällt es allerdings schwer, überhaupt einen Sinn auszumachen:
Das nährt den Verdacht, dass eine ursprünglich aus der Rapper-Szene stammende Aktion gekapert worden ist - von türkischstämmigen Twitter-Nutzern, die den satirischen Spaß zu weit treiben, oder von Rassisten, die hier Dampf ablassen - oder gar von beiden.
Das Phänomen ist nicht neu. Erst vor einigen Tagen haben Internetnutzer die Aktion #ausnahmslos umgedreht. Die ursprünglich gegen Sexismus und Rassismus gerichtete Kampagne haben Twitterpiraten dabei mit Pornobildern und anderen frauenfeindlichen Inhalten überflutet. Offenbar hatten sie sich in Foren zu der feindlichen Übernahme verabredet. Dieses Vorgehen sei typisch für Twitter, meint Kristina Lunz, eine der Initiatorinnen von #ausnahmslos. Es diene dazu, "bestimmte Gruppen, in unserem Fall eben Feministinnen, ruhigzustellen".
Debatte mit 140 Zeichen
Die Bloggerin und Netzaktivistin Anne Wizorek kennt das Problem der Twitter-Unterwanderung. Sie initiierte den Hashtag #aufschrei, mit dem sie 2013 eine Debatte zum Thema Alltagssexismus angestoßen hat. Gegner der Aktion verwendeten den Hashtag nach kurzer Zeit auch für sexistische Herabwürdigungen und frauenfeindliche Angriffe. In einem Artikel für die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt Wizorek, Online-Plattformen seien "auf Echtzeitdiskussionen ausgelegt. Besonders Twitter ist mit seiner Begrenzung auf 140 Zeichen zwar eine fantastische Initialzündungsplattform, aber zum tatsächlichen Diskutieren komplexer Sachverhalte kaum geeignet."
Dafür müssen Aktionen wie #aufschrei oder #ausnahmslos von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden. "Bei unserer Kampagne ist es so, dass wir Twitter und Facebook als Instrumente verstehen, um unsere Forderungen auch im richtigen Leben publik zu machen", erklärt Kristina Lunz im DW-Interview. Große Twitter-Kampagnen zeigten, dass es ein gesellschaftliches Anliegen gebe, meint sie. Die Reichweite des Kurznachrichtendienstes sei jedoch begrenzt. "Twitter ist eine Art exklusive Blase und erreicht einfach nicht so viele. Es ist die Aufgabe der traditionellen Medien, darüber zu berichten und die geteilten Erfahrungen nach außen zu tragen."
Twitter-Trolle
Nicht alle auf Twitter geführten Debatten hätten ein solches Sprachrohr verdient, findet Lunz. Denn es gibt immer wieder sogenannte Trolle, die Diskussionen blockieren und andere Nutzer provozieren : "#almanhass scheint eine ganz typische Troll-Aktion auf Twitter zu sein, die von einer bestimmten Gruppe initiiert wurde. Da ist natürlich die Frage, wie viel Einfluss so ein Hashtag hat und wie viel Aufmerksamkeit ich ihm widmen will."
Im Jahr 2014 nutzten rund 3,6 Millionen Menschen in Deutschland den Kurznachrichtendienst Twitter. Das sind weniger als fünf Prozent der Gesamtbevölkerung. Unter dem Hashtag #almanhass findet man höchstens einige tausend Tweets, viele gepostet von den gleichen Usern und augenscheinlich aus einer bestimmten Gruppe.
Laut schreiende Einzeltäter
Im Falle von #almanhass drängen sich daher viele Fragen auf: Ist das Ernst oder Satire? Und wenn es Satire ist, wer findet es lustig, zwischen "uns" und "den Anderen" weiter zu polarisieren und das Wort "Hass" im Zusammenhang mit einer Nationalität zu verwenden?
Eindeutige Antworten kann es für eine Online-Plattform, die so anonym und heterogen ist wie Twitter, nicht geben. Hinweise liefern aber Zahlen und Fakten: Hass auf Twitter - ob gegen Deutsche, türkische Migranten, Flüchtlinge oder gegen Frauen - ist immer in der Minderheit und nie repräsentativ. Hier äußern sich laut schreiende Einzeltäter - und die straft man am besten mit Ignoranz. Dann behalten Online-Kampagnen, die eine breite gesellschaftliche Basis trägt, den Raum, wichtige Debatten anzuregen und können ernst genommen werden.