Als "Gotteskriegerin" in den Dschihad
5. April 2014"Bin jetzt übrigens bei Al Kaida", schreibt Sarah ihren Freundinnen, kurz nachdem sie im Bürgerkriegsland Syrien angekommen ist. Ihre Mitschülerinnen in Konstanz am Bodensee sind schockiert. "Wir unterstützen unsere Ehemänner im Kampf und gebären Kämpfer", verkündet die damals 15-jährige Gymnasiastin später über soziale Netzwerke.
Es waren gerade Herbstferien, als das Mädchen vergangenen November aus Baden-Württemberg verschwand. Die Reise in den Dschihad, in den "Heiligen Krieg", war sorgfältig vorbereitet: Sarah kopierte sich den Pass ihres Vaters Mohammed O., fälschte dessen Unterschrift auf einer Einverständniserklärung und kaufte damit ein Ticket. Ihr Ziel: das Bürgerkriegsland Syrien. Seitdem ist sie verschwunden.
Sarah hat Spuren im Internet hinterlassen. In ihrer "Playlist" auf Youtube finden sich zahlreiche, den Dschihad verherrlichende Videos und ihr aktuelles Profilbild ist ein weißer Schriftzug mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die Zehntklässlerin nennt sich jetzt "Amatul' Aziz" - Gottesdienerin - und ist seit dem 4. Januar 2014 mit einem deutschen "Gotteskrieger" aus Köln verheiratet. Behörden vermuten das Paar bei einer deutschen Gruppe in der Gegend von Aleppo, die sich einer besonders brutalen Terrormiliz angeschlossen haben soll. Die Gruppe "Islamischer Staat im Irak und Syrien" (ISIS) soll für Entführungen, Hinrichtungen und Anschläge verantwortlich sein. Im Namen Gottes. Und es gibt Vermutungen, dass auch Sarah O. an mörderischen Aktionen direkt beteiligt ist.
Sehnsucht nach klar definierter Frauenrolle
Der Fall der inzwischen 16-jährigen Schülerin aus Konstanz hat Behörden und Öffentlichkeit schockiert. Verfassungsschützern ist seit längerer Zeit bekannt, dass Frauen aus extremistischen Milieus auch nach Syrien reisen. Doch die meisten begleiten ihre Männer und greifen vermutlich nicht zur Waffe. "Das interessante ist, dass wir innerhalb des salafistischen Milieus sehr aktive Frauengruppen haben", sagt die Berliner Islamismus-Expertin Claudia Dantschke. Muslimische Frauen - darunter auch viele Konvertitinnen - fühlten sich von der salafistischen Lehre angezogen, weil sie sich nach einer klar definierten Rolle sehnten: Hausfrau, Mutter, Unterstützerin des Mannes.
Darüber hinaus aber gäbe es Frauen, die von der Ideologie als solcher überzeugt sind. "Diese Frauen unterstützen dann die Männer propagandistisch und organisatorisch", sagt Dantschke. Frauen stecken auch hinter manchen radikal-salafistischen Internetblogs, in denen zu Gewalt aufgerufen wird. "Die sorgen dann dafür, dass Videos gepostet werden, dass Statements kommen und dass die Aktionen der Männer weiterverbreitet werden", berichtet Islamismus-Expertin Dantschke. In der Öffentlichkeit treten die Frauen aber nicht in Erscheinung, da sie Gefahr laufen, mit Männern in Kontakt zu kommen - und das ist im Salafismus verboten.
Über Facebook zur Dschihad-Ehe
Deutet die "Erweiterung der Frauenrolle" in dschihadistischen Kreisen auf eine neue Entwicklung hin? "Auch junge Frauen reisen allein und mit einer eigenen islamistischen Motivation nach Syrien", sagt der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen.
Dieser Trend wird auch in Großbritannien beobachtet. Einem aktuellen Bericht des "International Centre for the Study of Radicalization" (ICSR) zufolge, geht eine wachsende Zahl junger Britinnen nach Syrien. Dort heiraten sie Männer militanter Gruppen, die sie zuvor über soziale Netzwerke im Internet kennengelernt haben. Sie sehen in ihnen vermutlich Helden und eine Erfüllung darin, die Frau eines Mudschahed zu sein, eines Mannes, der im Dschihad kämpft.
Diese aktuelle Entwicklung wird auch als "Sexual Jihad" bezeichnet und schließt die zeitlich begrenzte Ehe mit ein. "Das ist ein heiß diskutiertes Thema in den arabischen Medien, dass Frauen nach Syrien reisen, um Dschihadisten zu unterstützen, indem sie mit ihnen schlafen", sagt der Berliner Psychologe und Extremismus-Experte Ahmad Mansour.
Ob das Praktizieren der zeitlich begrenzten Ehe der Wahrheit entspreche, wisse man allerdings nicht. Unumstritten ist hingegen, dass der sogenannte "Jihad al-Nikah" - die Ehe auf Zeit - unter sunnitischen Muslimen verboten ist und als Unzucht gilt. Ein Teil der schiitischen Muslime hingegen hält die Zeitehe für religiös erlaubt. "Die meisten Dschihadisten in Syrien aber sind sunnitisch orientiert. Dass dann einige Frauen die Zeitehe praktizieren und die Dschihadisten das mitmachen, erscheint mir rätselhaft", sagt Mansour. Wenn das stimme, zeige es jedoch die Doppelmoral dieser Leute: "Sie predigen Sexualmoral, aber in der Praxis sieht es ganz anders aus."
Für Propagandazwecke missbraucht
Die Konstanzerin Sarah O. praktiziert vermutlich keine zeitlich begrenzte Ehe. Sie gehört möglicherweise zu jenen Frauen, die von der salafistischen Ideologie überzeugt sind und notfalls auch mit dem Gewehr im Anschlag Jagd auf "Ungläubige" machen. Im Landeskriminalamt Stuttgart, das in dem Fall ermittelt, ist man sicher, dass die Konstanzerin an der Waffe ausgebildet wird. Damit sei sie allerdings eine Ausnahme, sagt Ahmad Mansour. "Dieses Mädchen wird für Propagandazwecke benutzt. Das heißt, man will andere junge Männer darauf aufmerksam machen, dass sogar Frauen in den Dschihad ziehen".
Man müsse jeden Fall individuell betrachten und nach der jeweiligen Motivation suchen. Noch wisse man nicht, ob sich Sarah mit ihrer Syrienreise "von ihren Eltern emanzipieren will oder ob sie aus einer Verliebtheit heraus ins Kriegsgebiet gereist ist". Eine rein ideologische Motivation sei dennoch nicht auszuschließen.
Beim Bundesamt für Verfassungsschutz sieht man es mit Sorge, dass es deutsche Islamisten zunehmend in den Nahen Osten zieht. "Seit Ausbruch des Konfliktes sind rund 300 Islamisten aus Deutschland in Richtung Syrien ausgereist. Vierzig Prozent sind unter 25 Jahre alt und ungefähr ein Dutzend war bei der Ausreise noch minderjährig", sagt Behördenchef Maaßen. Vor allem soziale Netzwerke und andere Internet-Plattformen dienten zunehmend als Propagandamedien.
Auch Sarah O. ist weiter im Netz aktiv. Sie postet Fotos von Burka-Trägerinnen auf einer ihrer Seiten im Internet und kommentiert sie mit liebevollen Smileys. Auch sie selbst hat sich inzwischen voll verschleiert. Auf einem Foto aus Syrien trägt die 16-jährige Konstanzerin einen lilafarbenen Ganzkörperschleier, schwarze Handschuhe und eine Maschinenpistole im Anschlag.