Bischof Kräutler ausgezeichnet
6. Dezember 2010Es war ein außergewöhnliches Jahr, selbst für den mittlerweile 71-Jährigen Erwin Kräutler, "Amazonas-Bischof" genannt. Er lebt und arbeitet in der Prälatur Xingu im brasilianischen Amazonas, die mit 340.000 Quadratkilometern viermal so groß ist wie sein Heimatland Österreich. 2010 hat er dort den Protest gegen die Errichtung des Megastaudamms Belo Monte persönlich angeführt und dabei auch mehrmals öffentlich den Staatspräsidenten Luiz Inacio Lula da Silva angegriffen. Für den Staudamm sollen 500 Quadratkilometer Urwald überschwemmt werden - eine Fläche mehr als doppelt so groß wie die gesamte Stadtfläche von Frankfurt am Main, mindestens 17.000 Menschen verlieren dadurch ihre Heimat.
Der Widerstand gegen Belo Monte – auch wenn es im April grünes Licht für das Mega-Projekt gab – ist weltweit zum Sinnbild für die Verteidigung der Rechte der indigenen Bevölkerung Brasiliens geworden, und kaum ein anderer repräsentiert diesen Kampf so wie Erwin Kräutler.
Alternativer Nobelpreis
An diesem Montag (06.12.2010) erhält er in Stockholm den als "Alternativer Nobelpreis" bekanntgewordenen "Right Livelihood Award". Für seinen Einsatz zugunsten der indigenen Völker und "sein unermüdliches Engagement, den Urwald des Amazonas vor der Zerstörung zu bewahren", heißt es in der Erklärung. Ein Einsatz, der Kräutler selbst vielfach in Gefahr brachte.
Es sei nicht mehr - wie zur Zeiten der Militärdiktatur - der Staatsapparat, der ihn bedrohe. Dagegen gebe es immer wieder Drohungen aus dem Kreis von Großgrundbesitzern, Kraftwerksbetreibern oder auch von jenen, die von seinem Vorgehen gegen sexuelle Missbrauchstäter betroffen seien, erzählte Kräutler jüngst im Österreichischen Rundfunk.
Unter Polizeischutz
Verfolgung, Festnahmen, Gewalt, gar die Ermordung enger Mitarbeiter gehörten zu Kräutlers Alltag, seit er Ende 1965, nach dem Abitur, Österreich verließ, um in Übersee in der Mission zu wirken. Er sei überwältigt von der Schönheit des Amazonas gewesen. "Die Landschaft scheint noch unberührt, nahezu paradiesisch", beschrieb er jene Eindrücke in seinem Buch "Rot wie Blut die Blumen". Er lernte die Welt der Indianer am Xingu-Fluss kennen und lieben und wurde Zeuge der Verachtung, die den Indigenen entgegenschlug, der Profitgier und Gleichgültigkeit, die den Amazonas zerstört und Menschen und Tieren ihrer Lebensgrundlage beraubt.
Der "verprügelte Bischof"
1981 wurde Kräutler Bischof der Prälatur Xingu, zwei Jahre später unterstützte er Siedler, die eine Straße besetzten. Als die Militärpolizei eingriff, nahm sie auch fest, riss ihn zu
Boden, schlug auf ihn ein - vor laufenden Kameras. Nach Ende der Militärdiktatur 1985 sind es Bergwerksgesellschafter, Holzhändler und Großgrundbesitzer, die ihn bedrohen. 1987 überlebte er einen Mordanschlag schwer verletzt; enge Mitarbeiter und Mitstreiter
wurden ermordet, 1995 sein Ordensbruder und Mitarbeiter Hubert Mattle, zehn Jahre später die Ordensfrau Dorothy Stang.
Als Präsident des Indianer-Missionsrats setzte Kräutler 1987 einen Meilenstein. Er erreichte, dass den Indigenen in der neuen Verfassung des Landes explizit Rechte zugesprochen werden: das Recht auf ihr angestammtes Gebiet, ihre Sprache, ihre kulturellen Ausdrucksformen und die Naturreichtümer ihres Landes. Das rufe immer wieder Konflikte hervor, denn "die Indianer sitzen in Gebieten mit Bodenschätzen, die die Großgrundbesitzer beschlagnahmen wollen", erklärt Kräutler.
Hirte und Prophet
Ein Hirte und ein Prophet sei Kräutler, so Brasiliens Bischofskonferenz in einem Glückwunschschreiben zum Alternativen Nobelpreis, mit dem Menschen ausgezeichnet werden, die "auf dringlichsten Herausforderungen der Menschheit antworten". Wenn im Januar Lulas Nachfolgerin Dilma Rouseff in den Präsidentenpalast in Brasilia einzieht, wartet auf den "Amazonas-Bischof" wohl noch mehr Arbeit: Rouseff gilt doch als hartnäckige Verfechterin einer industriellen Erschließung der Amazonasregion.
Autor: Anne Herrberg (kna, dpa)
Redaktion: Oliver Pieper