Altkanzler rät Deutschen zu mehr Konsum
9. November 2012Die Panik an den Finanzmärkten ist vorerst vorbei. Spanien muss für seine Staatsanleihen deutlich weniger Zinsen zahlen als in der ersten Hälfte des Jahres. Dennoch sei die Krise keineswegs überstanden. "Wir sind mittendrin in einer Staatsschuldenkrise und einer Weltrezession", sagt Altkanzler Helmut Schmidt auf dem Wirtschaftsforum der Wochenzeitung "Die Zeit" in Hamburg.
Auch der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hält die momentane Entspannung an den Finanzmärkten für fragil. In der Griechenland-Frage wisse er nicht, wie die Eurozone in der kommenden Woche eine Entscheidung zustande bringen könnte. Schon am Montag (12.11.2012) beraten die Finanzminister erneut über die nächste Hilfszahlung für Athen.
Kein Kundenmangel für den ESM
Das nächste Sorgenkind heißt Spanien. Bereits in einigen Wochen wird das Land einen Kredit vom Dauerrettungsfonds ESM bekommen, um seinen Bankensektor zu sanieren. "Das wird der erste Kunde des ESM sein", sagt Klaus Regling, der bereits den provisorischen Rettungsfonds EFSF geleitet hatte und seit Mitte Oktober dem ESM vorsteht.
An hilfesuchenden Kunden wird es dem ESM nicht fehlen. Mit Zypern wird bereits verhandelt. Slowenien wird es allein auch nicht mehr schaffen. Spannend bleibt, wie lange der spanische Staat durchhält und ob Italien beim nächsten Flächenbrand kippen wird.
Die Lage ist schlechter als die Stimmung
Den Ernst der Lage spiegeln die Finanzmärkte nicht wider. Das liege an Interventionen aus der Politik und der Europäischen Zentralbank, meint Karsten Schröder, Geschäftsführer des Hedgefonds Amplitude Capital. Die riesige Geldschwemme setze Anleger unter einen Investitionsdruck. Das macht kurzfristige Erholungen an den Börsen möglich, obwohl die Wirtschaftsdaten aus einigen Ländern der Eurozone dies nicht rechtfertigen. "Fundamental ist das Bild schlechter, als wir es an den Märkten beobachten können", so Schröder.
Gerade wegen ihrer entschlossenen Interventionen bekommen die beiden EZB-Präsidenten Jean Claude Trichet und Mario Draghi Lob vom Altkanzler Helmut Schmidt. "Sie haben sich über manche Verträge etwas hinweggesetzt", sagt Schmidt und meint damit die vor allem in Deutschland sehr umstrittenen Anleihekaufprogramme der Zentralbank. Damit bestätigt Schmidt aber auch indirekt, dass das in seinen Augen ein Rechtsbruch war. Das Regieren in Krisenzeiten beinhalte auch, "dass man nicht alle Regierungsabkommen einhält, dass man international ratifizierte Verträge verletzt", sagt Schmidt freimütig.
Lieber Rechtsanpassung als Rechtsbruch
Soweit will der aktive Politiker Wolfgang Schäuble nicht gehen. Lieber würde er die Rechtsordnung anpassen als sie verletzen. "Wir müssen gelegentlich Vorschläge machen, wie wir die Rechtsordnung anpassen, einschließlich unserer Nationalverfassung", sagt Schäuble. Seine gelegentlichen Vorschläge, vom Sparkommissar bis zum gemeinsamen Finanzminister in der Währungsunion, stoßen allerdings sowohl bei den Euro-Partnern als auch in der eigenen Bevölkerung auf wenig Gegenliebe. So stellt Helmut Schmidt einen Vertrauensabbau in die europäische Vereinigung in der Mehrheit der öffentlichen Meinung fest. Sogar eine Revolution schließt er nicht aus: "Wir sind am Vorabend der Möglichkeit einer Revolution in Europa." In welche Richtung die Revolution gehen könnte, wollte der 93-Jährige den Zuhörern nicht verraten.
Auch ESM-Chef Klaus Regling findet es beunruhigend, dass laut einer Umfrage 76 Prozent der Deutschen den Eindruck haben, dass die Politik die Situation nicht im Griff habe. Regling macht die Medien für die Vermittlungsprobleme mitverantwortlich. Es stimme einfach nicht, wenn die Medien behaupteten, es sei in den Krisenländern nichts passiert. "In Griechenland sind die Einkommen und Renten in den letzten zwei Jahren um 40 bis 50 Prozent gekürzt worden, in Irland um 20 bis 30 Prozent." Dadurch habe sich die Wettbewerbsfähigkeit eindeutig verbessert. Die Zahlungsbilanzdefizite seien zurückgegangen. "Griechenland hat konjunkturbereinigt sein Haushaltsdefizit in den letzten drei Jahren um zwölf Prozent des Bruttosozialprodukts verringert", redet sich Regling in Rage. Weitere Fortschritte seien die verschärften Fiskalregeln, die geplante Bankenaufsicht und die Rettungsschirme, die institutionelle Lücken in der Währungsunion schließen.
Investoren sind nicht überzeugt
Bei so viel Eigenlob muss die Frage erlaubt sein, warum Investoren weltweit die Eurozone weiterhin misstrauisch betrachten. Zwar müssten sich die Politiker nicht den Finanzmärkten unterwerfen, sagt Fondsmanager Karsten Schröder, aber "sie können auch nicht verlangen, dass ein Anleger einem Land Geld gibt, wenn er zu der Einschätzung kommt, dass das Land mit diesem Geld nicht ordentlich wirtschaftet."
Letztlich steht und fällt die Währungsunion mit der Frage, ob es ihr als einer Gemeinschaft gelingt, in einer globalisierten Welt wettbewerbsfähig zu sein. Wolfgang Schäuble ist der Meinung, dass dabei die sogenannten Südländer mehr zu leisten hätten als Deutschland und bescheinigt ihnen Fortschritte: "Inzwischen gehen die Lohnstückkosten in Spanien, in Irland und in Griechenland deutlich zurück. In Deutschland steigen sie moderat." Wenn es nach Helmut Schmidt ginge, sollten die Deutschen noch mehr Geld ausgeben und etwas weniger hart arbeiten, um anderen Ländern in der Eurozone entgegenzukommen.
Dass die Währungsunion auseinanderbrechen könnte, hält Wirtschaftswissenschaftler Thomas Straubhaar für völlig unrealistisch. "Es gibt in Europa nicht eine einzige, ernst zu nehmende Partei, die sich für ein Auseinanderbrechen des Euro stark macht."