Amerika zuerst, Nord Stream zuletzt?
27. Juli 2017Die geplanten Sanktionen der USA gegen Russland könnten weitreichende Folgen für die Energieversorgung der EU haben. Wenn die Strafmaßnahmen gebilligt werden, würde der Bau geplanter Pipelines, durch die russisches Erdgas in EU-Staaten fließen soll, immer ungewisser werden. Fraglich wäre vor allem das Schicksal der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2. Über sie soll Gas aus Russland nach Deutschland und weiter in andere EU-Länder gelangen.
Das US-Repräsentantenhaus hatte am Dienstag einen Gesetzentwurf verabschiedet, der geltende Strafmaßnahmen gegen Russland verschärft. Damit soll Russland für die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, die Unterstützung von Präsident Baschar al-Assad im syrischen Bürgerkrieg und eine mutmaßliche Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahl bestraft werden. In dem Gesetzentwurf wird Nord Stream 2 ausdrücklich abgelehnt. Ein Teil der Strafmaßnahmen richtet sich gegen ausländische Unternehmen, die mit Russland im Energiesektor zusammenarbeiten.
Weitere Probleme für Nord Stream
Die möglichen US-Sanktionen sind aber nur eines der Probleme, mit denen Nord Stream 2 zu kämpfen hat. Das Projekt wird zudem durch regulatorische Anforderungen der Europäischen Kommission erschwert. Auch in Deutschland gibt es viele ungeklärte Fragen.
So teilte die Bundesnetzagentur am 26. Juli mit, dass fünf Maßnahmen im Zusammenhang mit der Erweiterung der Nord Stream-Pipeline noch zu unsicher seien. "Sie sollen erst dann in den Netzentwicklungsplan Gas aufgenommen werden, wenn Genehmigungen für den Bau der Nord Stream-Erweiterung vorliegen", so die Bundesnetzagentur.
Experten glauben, dass Sanktionen Investitionen in Nord Stream 2 erschweren, das Projekt aber kaum stoppen könnten. Christian Egenhofer, Experte für Energiesicherheit beim Brüsseler "Centre for European Policy Studies" (CEPS) geht davon aus, dass die europäischen Energieunternehmen eine Möglichkeit finden werden, die Sanktionen zu umgehen. Sie könnten zum Beispiel die Eigentümer-Strukturen von Nord Stream-2 dahingehend verändern, dass die beteiligten Unternehmen nicht unter die US-Sanktionen fallen.
"Meine Erfahrung sagt mir, dass günstiges Gas auf den Markt kommt, wenn es irgendwo vorhanden ist, wie in Russland", sagt Egenhofer. "Ich glaube nicht, dass die EU nach den US-Sanktionen, mit denen russische Gaslieferungen getroffen werden sollen, das teurere amerikanische Gas vorziehen wird." Egenhofer zufolge ist eine sichere Energieversorgung der EU nur mit russischem Gas zu haben.
Zwietracht unter Verbündeten
Simone Tagliapietra vom europäischen Think Tank Bruegel, ist überzeugt, dass Europas Antwort auf die US-Sanktionen hart ausfallen wird. "Die europäische Energiepolitik muss in Brüssel festgelegt werden, und nicht in Washington", so Tagliapietra. Seiner Ansicht nach sind mögliche US-Sanktionen gegen europäische Unternehmen, die sich an Nord Stream 2 oder an anderen mit Russland verbundenen Projekten beteiligen, nach internationalem Recht inakzeptabel.
Brüssel hätte auch die Möglichkeit, den US-Präsidenten zu bitten, keine Sanktionen gegen bestimmte Infrastrukturprojekte oder Wirtschaftsbereiche zu verhängen. "Der ehemalige US-Präsident Barack Obama hatte sich entschieden, das Gas nicht anzutasten, denn ihm klar war, wie wichtig es für einige europäische Verbündete ist", erinnert Marco Giuli vom European Policy Centre (EPC) in Brüssel.
Kreml als lachender Dritter?
Die Ukraine allerdings könnte von den möglichen US-Sanktionen profitieren. Denn wenn es Russland gelingen sollte, die Ukraine beim Bau neuer Pipelines zu umgehen, könnten die ukrainischen Leitungen, über die russisches Gas in die EU geliefert wird, überflüssig werden.
Doch die Freude der Ukraine dürfte nicht lange währen, denn Sanktionen würden die amerikanisch-europäische Geschlossenheit in der Russland-Politik untergraben. "Die USA haben beschlossen, einseitig Sanktionen zu verhängen. Somit gibt es keine geschlossene Front mehr, was die Ukraine angeht", meint Christian Egenhofer.
Somit könne der Kreml nun leichter die USA und die EU gegeneinander aufbringen, so der Experte. Er sieht wegen des einseitigen Vorgehens der USA nicht nur die transatlantische, sondern auch die europäische Einheit in Gefahr. Während Länder wie Deutschland und Österreich am Bau neuer Gasleitungen aus Russland interessiert seien, würden mehrere osteuropäische EU-Mitglieder, vor allem Polen und die baltischen Staaten, in ihnen eine Bedrohung ihrer Energiesicherheit sehen. Sie seien sogar nicht abgeneigt, so Egenhofer, einen Import-Stopp von Gas als Waffe gegen Russland einzusetzen.