Die SPD-Basis macht ernst
27. November 2013Kürzlich machte in Deutschland eine Schlagzeile die Runde. "Mit 91 Jahren in die Partei." Dahinter verbirgt sich die Geschichte von Ruth Hering, die sich auf ihre alten Tage noch mal dafür einsetzen wollte, dass es in der Bundesrepublik gerechter zugeht. Deswegen trat die Potsdamerin extra der SPD bei, um über den Koalitionsvertrag abstimmen zu können. Trotz schlechter Wahlergebnisse hat sich die SPD offenbar den Ruf bewahren können, für Gerechtigkeit zu kämpfen. Und eben diesen Ruf sehen viele der 473.000 Parteimitglieder in Gefahr, sollte es zu einer Neuauflage der großen Koalition zwischen der SPD und der CDU/CSU kommen. Bundesweit mobilisieren die Gegner von Schwarz-Rot.
Einer von ihnen ist Norbert Kriech. Er ist stellvertretender Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Bochum-Hamme und seit 44 Jahren Mitglied der Partei. Er hat den Eindruck, dass der Ausgang der Mitgliederbefragung in Berlin völlig falsch eingeschätzt wird. "70, 80 Prozent sind gegen eine große Koalition, weil sie der Meinung sind, dass die SPD ihre sozialdemokratische Politik nicht genügend durchsetzen kann." Inhaltlich sei es nicht möglich, mit der CDU und CSU eine Politik zu machen, die für die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung eintritt. Politik müsse für ihn alle Schichten der Bevölkerung erreichen. Auch aus anderen Ortsvereinen in Deutschland bekomme er ähnliche Rückmeldungen, stellt Kriech zufrieden fest.
Abstimmung kann "Staatskrise" auslösen
Der Mitgliederentscheid, den Parteichef Sigmar Gabriel im Sommer vorgeschlagen hatte, entwickelt sich immer mehr zu einem Risiko. Nicht nur für die SPD, sondern für Deutschland. Viel ist dafür nicht nötig. Beteiligen sich 40 Prozent der Mitglieder an dem Votum, reichen 100.000 Nein-Stimmen aus, um die Bundesrepublik in eine "Staatskrise" zu stürzen - wie manche es nennen.
Norbert Kriech findet das völlig übertrieben. "Wie kann eine innerparteiliche Entscheidung als Staatskrise bezeichnen werden? Dieses Land wird doch regierbar bleiben." Die Grünen hätten sich doch auch noch mal angeboten, sollten die Koalitionsverhandlungen scheitern, Gespräche zu führen. Ein wenig Trotz schwingt da mit. Gegen eine Zusammenarbeit mit der Union und auch gegen die eigene Führung.
Für den Politikwissenschaftler Klaus Schubert von der Uni Münster ist das nichts Neues. Es sei typisch für das Verhalten der SPD-Mitglieder. Im Gegensatz zu konservativen Parteien wie der CDU oder der CSU, wo man Führung schätze, sei das bei den Sozialdemokraten anders. "Traditionell ist die Basis sehr kritisch gegen Führungen im engeren Sinne eingestellt." Willy Brandt sei da die letzte große Ausnahme gewesen. Er wurde wegen seiner Erfahrung und seines Charismas als Leitfigur respektiert. Dann kam lange nichts.
Sigmar Gabriel sei nun der Erste, der es mal wieder geschafft habe, als Führungspersönlichkeit akzeptiert zu werden. Und damit gehe dieser außerordentlich klug um, so Schubert. Der Widerstand der Parteibasis sei für die SPD ein großes Druckmittel in den Koalitionsgesprächen gewesen. "Da ist außerordentlich geschickt Regie geführt worden." Nicht die Parteispitze habe Druck ausgeübt, sondern man habe die gespaltene Partei selber sprechen lassen.
Ergebnis entscheidet über Zukunft der Partei
Ob mit oder ohne Regie: Das Mitgliedervotum ist besonders für Parteichef Sigmar Gabriel ein Wagnis, denn scheitert der Entscheid, scheitert auch er. Ein Nein der Mitglieder könnte zu Neuwahlen führen und die wären das bedrohlichste Szenario für die SPD, sagt Swen Bastian, SPD-Vorsitzender im hessischen Vogelsberg. Dass seine Partei aus dieser Situation gestärkt hervorgehen würde, daran hat Bastian erhebliche Zweifel. Denn der Schuldige wäre automatisch die SPD.
In seinem Kreisverband habe er bewusst keine Empfehlungen im Hinblick auf eine große Koalition ausgesprochen. "Wenn man die Mitgliederbefragung tatsächlich ernst nimmt, dann bedeutet das auch, dass auch jedes Mitglied selbst entscheidet." Jedes Parteimitglied stehe dann selbst in der Verantwortung, den Koalitionsvertrag zu lesen, zu bewerten und müsse dann selbst eine Entscheidung treffen. Ansonsten wirke es so, als wäre die Entscheidung schon getroffen und man solle nur noch zustimmen.
Viele, so glaubt Bastian, würden ihre endgültige Entscheidung aber ganz rational treffen, nämlich nach Ergebnislage. Dabei sei wichtig, dass die Handschrift der Sozialdemokratie erkennbar ist. Der Mindestlohn müsse kommen. Die Rentenverhandlungen müssen eine Perspektive haben und die Energiewende. Davon wird der Ausgang des Entscheides am Ende abhängen. Für Norbert Kriech vom SPD-Ortsverein Bochum-Hamme ist die Sache hingegen jetzt schon klar. "Als Gegner der großen Koalition bin und bleibe ich dagegen." Es müsse schon ein Wunder geschehen, damit das noch alles durchgesetzt wird und das zu glauben - dazu müsse man schon ziemlich naiv sein.